Edle Tropfen sind im Prozess um gefälschtes Omeprazol ein bestimmendes Thema. Denn der Hauptbeschuldigte Jürgen Andreas J. ist geständig; die Zeugenaussagen liefern noch die Details zu den Vorgängen in der Lagerhalle nördlich von Hamburg. Für die Richter dreht sich das Verfahren daher zunehmend um die Frage, welche Vermögenswerte vorhanden sind, um mögliche Schadensersatzforderungen der betroffenen Hersteller zu bedienen. Im Zivilprozess werden sich Hexal und Ratiopharm womöglich mit der Lebensgefährtin von J. um 2000 Weinflaschen im Wert von einer Million Euro streiten.
Gleich im ersten Gang rechts, irgendwo am hinteren Regalende auf der linken Seite stand die Kiste. Die Weinkiste, in der J. größere Mengen Bargeld aufbewahrte, die er für seine Geschäfte brauchte, außerdem Lieferscheine und Unterlagen, die nicht herumliegen sollten. Der Raum befand sich in der Lagerhalle, in der die Omeprazol-Fälschungen verpackt wurden; zweitweise wurden mehrere Tausend Weinflaschen unter besonderen klimatischen Bedingungen gelagert.
Nur er habe einen Schlüssel zum Weinlager gehabt, sagt J. Wo die Kiste geblieben ist, kann oder will er nicht sagen. Ob sie sich womöglich noch unter den umfangreichen Asservaten befindet, die die Polizei beschlagnahmt hat, weiß im Gerichtssaal niemand. Auch die beiden Rechtspflegerinnen, die der jungen Staatsanwältin vom Zuschauerraum aus gelegentlich soufflieren, zucken nur mit den Schultern.
Auch ansonsten scheint der Vermögensabschöpfungabteilung bei der Staatsanwaltschaft bei J. nicht auf Reichtümer gestoßen zu sein. Mehrfach fragt der Richter nach: Ob den bei Einnahmen von 14 Millionen Euro nichts hängengeblieben sei? Er habe ja immer in Vorkasse gehen müssen, sagt J. gleichgültig. Wie sein Lebensstil gewesen sei? Normal, bestätigt auch der Bruder. Was er sich gekauft habe? Reisen, Kleidung, Geschenke. Etwas Größeres, eine Immobilie etwa? J. schweigt.
Also die Weinfalschen. Seit Ende der 1980er Jahre habe er wertvolle Weine gesammelt, sagt J. Dabei sei er nach persönlichen Präferenzen vorgegangen, auch nach Empfehlungen in der einschlägigen Literatur habe er sich gerichtet. Gekauft habe er bei Privatpersonen oder Händler, teilweise bei Auktionen. „Es gibt da nicht nur einen Bezugsweg“, erklärt er dem Richter.
2000 Flaschen im Gesamtwert von rund einer Million Euro sollen es am Ende gewesen sein, die er zeitweise für Beträge von mehr als 600.000 Euro verpfändete und die die Polizei vor einem Jahr an zwei Standorten beschlagnahmt hat. Elf Flaschen seien im Juni 2013 an die Lebensgefährtin von J. herausgegeben worden, erinnern sich die Mitarbeiterinnen der Staatsanwaltschaft ganz genau. Der Rest sei noch vorhanden.
Der Anwalt von J. erklärt, sein Mandant würde auf die Rückgabe der restlichen Bestände verzichten, damit die Forderungen der Geschädigten bedient werden könnten. Hexal hat bereits seine Forderungen ans Gericht geschickt, auch Ratiopharm wird Schadensersatz geltend machen. Der Ulmer Generikakonzern hat einen Anwalt zum Prozess geschickt, der alle Vorgänge protokolliert. Noch ist aber unklar, ob die Frau Anspruch auf weitere Flaschen erheben wird, die ihr gehören. Angeblich will sie die Hälfte des Weinlagers.
Die beiden Angeklagten sitzen in Kapuzenshirts neben ihren Anwälten. Wenn Pause ist, werden sie in Handschellen aus dem Gerichtssaal geführt. Jürgen Andreas J. verzieht keine Miene, manchmal wirkt es, als würde er still vor sich hin lächeln. Sein Bruder gibt sich betroffen. Im Prozess geht es für ihn darum zu beweisen, dass er nur Mittäter war.
Laut Staatsanwaltschaft beaufsichtigte er das Umverpacken in der Lagerhalle, dafür soll er monatlich rund 3000 Euro bekommen haben. Er und „die Mädchen“ hätten nur die Vorgaben seines Bruders umgesetzt, sagt Kay J. Und was den Kontakt zur Druckerei angeht: „Ich war im Grunde nur Kurier.“ Allerdings muss er ganz am Ende seiner Aussagen einräumen, dass auch ihm ziemlich schnell klar war, dass er an illegalen Geschäften beteiligt war.
Am Ende des zweiten Prozesstages wird der Mann befragt, bei dem die Brüder die Etiketten und Verpackungen drucken ließen. Schon seit 2001 habe er mit J. zusammengearbeitet, zunächst habe er nur für einzelne Produkte Druckvorlagen hergestellt und bei der Druckerei in Auftrag gegeben. Karvezide fällt ihm als Name noch ein. Ab 2005 sei ab und zu eine Omeprazol-Schachtel dabei gewesen, später seien immer mehr Aufträge für das Produkt gekommen, sodass er kaum noch nachgekommen sei.
Jürgen Andreas J. und später sein Bruder hätten Muster vorbeigebracht und die fertigen Aufträge abgeholt, erinnert er sich. Private Gespräche habe es nie gegeben. Was er sich dabei gedacht habe, will der Richter wissen? J. habe sich als Umverpacker vorgestellt, Reimporte seien ihm grundsätzlich ein Begriff gewesen, sagt der Mann. Als abwechselnd immer wieder Ratiopharm und Hexal nachgefragt wurden, habe J. auf Verträge mit Großkunden verwiesen. Ende 2012 habe er noch erklärt, kurz vor einem „Abschluss“ mit Stada zu sein.
Als im Frühjahr 2013 die Polizei vor seiner Tür stand, sei er zusammengebrochen. „Das war der schwärzeste Tag in meinem Leben.“ Bis heute habe er zu kämpfen – mit Selbstvorwürfen und damit, dass J. ihn mehr als zehn Jahre lang hinters Licht geführt habe. Scholz hätten sich die Brüder die ganze Zeit über genannt, erklärt der Druckspezialist. „Wie kann man so etwas über so lange Zeit durchhalten?“
Der Richter beruhigt ihn, dass die Fälschungen einen „hohen industriellen Standard“ hatten und keine Gesundheitsgefahr dargestellt hätten, und will noch wissen, wann der Zeuge J. das letzte Mal gesprochen habe. Anfang März 2013, lautet die Antwort. J. habe von Stress mit seinen Kunden gesprochen und drei Aufträge storniert.
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