ARD-Themenabend

Pharmabranche zittert vor Heiner Lauterbach

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Berlin -

Alarmstimmung in der Pharmabranche: Am kommenden Mittwoch läuft in der ARD zur besten Sendezeit ein Themenabend „Gefälschte Medikamente“. Die Preview des Spielfilms „Gift“ mit Heiner Lauterbach am vergangenen Freitag hat die Arzneimittelhersteller dermaßen aufgeschreckt, dass sich die vier großen Pharmaverbände zusammengetan haben. Gemeinsam wurde im Vorfeld präventiv die Sicherheit der Arzneimittelherstellung und der Vetriebswege beschworen. Fälschungen seien nicht nur so gut wie ausgeschlossen, sondern mögliche Täter könnten nicht entkommen: „Wir erwischen jeden Schurken“, versicherte Thomas Brückner vom BPI auf einer eilends organisierten Pressekonferenz.

Am vergangenen Freitag hatte der RBB zu einer Vorschau des Themenabends geladen. Anwesende Pharmazeuten waren entsetzt und gelangten offenbar zu der Auffassung, dass die Darstellungen geeignet sind, das ohnehin beschädigte Image der Pharmabranche weiter in den Schmutz zu ziehen. Zwar hatten die Pharmaverbände ebenfalls Gelegenheit, in Interviews zum Themenabend mit ihrer Sicht der Dinge zu Wort zu kommen.

Aber offenbar ist das Vertrauen der Pharma-Verantwortlichen in die Objektivität der Recherche und Darstellung des Themenabends nicht besonders ausgeprägt. Kurzfristig luden BPI, VFA, Pro Generika und BAH zu einem ungewöhnlichen Pressegespräch – mit dem Zweck, die Verlässlichkeit und Sicherheit der Produktionswege und Vertriebskette herauszustellen. Seit Tagen werden Pressemitteilungen und Infoschreiben zu dem Thema verschickt.

Quasi von der Herstellung der Wirkstoffe bis zur Abgabe an die Patienten in der Apotheke werde der gesamte Prozess lückenlos national und auch bei Lohnherstellern im Ausland kontrolliert, versicherten die bei der Pressekonferenz zum Teil per Telefon zugeschalteten Experten der vier Pharmaverbände unisono. „Deutschland verfügt weltweit über die sicherste Produktions- und Vertriebskette“, versicherte Bork Bretthauer von Pro Generika. Fälschungen seien so gut wie ausgeschlossen, vor allem, wenn ab 2019 das neue Sicherheitssystem Securpharm in Betrieb gehe.

Fälschungen und gesundheitsgefährdende Arzneimittel könnten ausschließlich über illegale Quellen im Internet erworben werden. Absolute Arzneimittelsicherheit hänge daher von den Verbrauchern selbst ab. Nur wer über zugelassene Apotheken Arzneimittel erhalte und nicht über „dubiose Quellen“ beziehe, könne auf Nummer Sicher gehen. In Frage gestellt wurde von Bretthauer die frühere Angabe der Weltgesundheitsorganisation WHO, dass 1 Prozent der Arzneimittel in der legalen Lieferkette in Deutschland gefälscht seien. Diese Angabe verwende die WHO inzwischen nicht mehr.

Diese Aussage ist deshalb von Bedeutung, weil sich diese Zahl in der Dokumentation im Rahmen des ARD-Themenabends wiederfindet. Die ARD strahlt am kommenden Mittwoch nämlich auch die „investigative“ Dokumentation „Gefährliche Medikamente – gepanscht, gestreckt, gefälscht“ aus. Dabei soll es sich um Recherchen von realen Fällen und vertiefende Informationen zum Thema Medikamentensicherheit handeln.

Gestützt auf vertrauliche Dokumente und Ermittlungsakten, auf Aussagen von Whistleblowern, Ermittlern und Experten entstehe das Bild einer Branche, in der nicht wenige Unternehmen buchstäblich über Leichen gingen, um die Rendite zu steigern, kündigt die ARD an. Die Sorgen der Pharmaverbände sind entsprechend groß. Die Dokumentation verfolgt nach ARD-Angaben den Weg der Medikamente von der Herstellung zum Patienten und zeigt, „wo gepanscht, gestreckt und gefälscht wird – immer öfter mit tödlichen Folgen“.

Denn längst würden nicht nur Lifestyle-Präparate manipuliert, sondern auch lebenserhaltende Medikamente. „Weltweit entspricht nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO bei 10 Prozent der Medikamente der Inhalt nicht dem Packungsaufdruck; in Deutschland gehen Experten von einer Fälschungsrate von einem Prozent aus, Tendenz steigend“, so die ARD.

Vor der Dokumentation läuft um 20.15 Uhr der Film „Gift“. Darin spielt Heiner Lauterbach einen skrupellosen Pharmahändler, der weltweit Arzneimittel aus dubiosen Quellen verkauft, ungeachtet der Gefahren und Folgen für die kranken Patienten. Diese landen auch in den Slums von Mumbai, in denen die Tochter des gewissenlosen Händlers als Ärztin die ärmsten Patienten behandelt. Der Pharmagroßhändler erkrankt an Krebs und will reinen Tisch machen und aus dem profitablen Geschäft aussteigen. Er will seiner Tochter ein „sauberes Erbe“ hinterlassen und wird zum Whistleblower.

Kein Wunder, dass solche Dokumentationen und der reißerische Spielfilm die Pharmabranche zu einer Abwehrreaktion veranlassen. Die Einladung zum Pressegespräch erfolgte jedenfalls kurzfristig. Zeitgleich dazu verschickte der BPI eine Erklärung, die ebenfalls präventiv beruhigen soll: Fast 90 Prozent der Patienten in Deutschland seien davon überzeugt, dass ihre Medikamente wirksam, sicher und qualitativ hochwertig seien. Das habe eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA im Auftrag des BPI ergeben.

„Das Vertrauen der Menschen in Arzneimittel ist gerechtfertigt“, so Dr. Norbert Gerbsch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BPI. „Unsere Produkte durchlaufen engmaschige Kontrollen. Jeder Schritt in der Herstellungs- und Lieferkette, von Wirkstoffproduktion bis zur Verpackung wird überwacht. Und die Anforderungen an die Sicherheit steigen ständig.“

Das Vertrauen der Patienten spiegele sich auch in der Frage nach der Angst vor Fälschungen wider. So gaben 89 Prozent der Befragten an, keine Angst vor Fälschungen beim Kauf von Medikamenten in einer ortsansässigen Apotheke zu haben, bei offiziellen Internetapotheken waren es 63 Prozent. Im Gegensatz dazu stehe das Vertrauen zu unseriösen Internetversandhändlern: Nur 36 Prozent fürchteten sich nicht vor Fälschungen beim Medikamentenkauf über solche Händler. 89 Prozent kauften ihre Arzneimittel in der Apotheke vor Ort, 41 Prozent bei einer Internetapotheke und nur 6 Prozent bei Internetversandhändlern. „Die Deutschen wissen, dass sie Arzneimitteln der Pharmaindustrie vertrauen können und wo Fälschungen von Kriminellen lauern“, so Gerbsch.

Trotzdem herrscht Alarmstimmung in der Branche. Denn mit dem Themenabend ist es nicht getan. Der Bayerische Rundfunk vertieft und begleitet das Thema Medikamentenfälschungen und stellt ab dem 13. Mai das Web-Special „Pharmacrime“ online. Ziel sei, die Verbraucher aufzuklären: Wo und wie werden die Fälschungen produziert, welche Manipulationen vorgenommen und wie gelangt die Ware nach Deutschland? Welche Gefahren gehen von den Produkten aus? Diese Fragen soll das Web-Special unter anderem beantworten. Und dann folgen weitere Beträge in verschiedenen ARD-Rundfunkanstalten über mehrere Tage. Auch ein kritisches Buch kommt auf den Markt. Es ist also kein kurzes Abendgewitter, dass die ARD über der Pharmabranche zusammenbraut.

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