Apotheker und die Krebsmafia Patrick Hollstein, 03.01.2018 09:11 Uhr
Dass sich ein Buch investigativ mit dem Apothekenmarkt auseinandersetzt, kommt selten vor. Zuletzt erzählte „Das Schleppnetz“ vor vier Jahren davon, wie Politik und Wirtschaft gemeinsam daran arbeiteten, das Fremd- und Mehrbesitzverbot zu Fall zu bringen. Das jetzt erschienene Werk „Die Krebsmafia“ zeichnet ein verstörendes Bild der Zustände im Bereich der Zytostatika-Versorgung. Eine Pflichtlektüre für jeden mit Interesse an der Apotheken- und Pharmabranche.
Mitten in den Pfusch-Prozess von Bottrop platzt mit „Die Krebsmafia“ ein Buch, das der Debatte um die Sterilherstellung durch niedergelassene Apotheken neuen Schwung verleiht. Dabei ging es den Autoren gar nicht darum, über Extremfälle zu berichten. „Wir wollten Systemfehler finden, nicht Horrorszenarien ausmalen“, sagt Journalist Oliver Schröm, der das Buch gemeinsam mit seinem Kollegen Niklas Schenck geschrieben hat.
Schröm arbeitete erst beim Stern, dann bei Panorama, gerade ist er als Chefredakteur zum Recherchenetzwerk Correctiv gewechselt. Über Jahre hinweg hat er, gemeinsam mit Schenck und anderen Kollegen, die Entwicklungen bei der Versorgung von Krebspatienten begleitet. Das Team hat die Zustände in einem Hamburger Herstellbetrieb aufgearbeitet, Apotheker gefilmt, die einen Arzt bestechen wollten, die AOK mit den desaströsen Folgen der Zyto-Ausschreibungen konfrontiert und zuletzt Zeugen und Opfer im Pfusch-Skandal von Bottrop zu Wort kommen lassen.
Dass Schröm und seine Mitstreiter sich überhaupt mit der Branche beschäftigt haben, ist eher Zufall: Ein Bekannter litt an Krebs im finalen Stadium, als Ende 2014 die Mail eines Zyto-Apothekers aus Bayern in der Stern-Redaktion einging. Der Pharmazeut – es könnte nach Vermutungen von Branchenkennern auch eine Kunstfigur aus verschiedenen Kollegen sein – hat eine Apotheke samt Sterillabor übernommen und wird von den Onkologen zur Kasse gebeten. Gleichzeitig hat ihm ein Pharmahändler angeboten, bei entsprechenden Bestellungen über Drehscheiben in Luxemburg und Panama zusätzliche Rückvergütungen auszuschütten.
Nach einem ersten Treffen versiegt die Quelle, doch das Interesse der Journalisten ist geweckt. Zwischen ihren Arbeiten zum Krieg im Irak, Steuerschlupflöchern und zum NSU-Prozess recherchieren sie zur sogenannten Holmsland-Affäre, die nach Razzien im Jahr 2007 zu Gerichtsprozessen gegen Apotheker aus ganz Deutschland geführt hat. Als im Sommer 2015 die beiden Hintermänner – Hans-Theodor Riedel und Peter Henning Jebens – in Mannheim vor Gericht kommen, fahren die Stern-Reporter hin.
Schröm gelingt es, mit Riedel zu sprechen. Jebens hat er sogar ein paar Stunden lang im ICE nach Hamburg für sich. Dem Journalisten wird klar, dass er vorsichtig sein muss. In diesem Markt arbeiten dubiose Protagonisten mit zwielichtigen Methoden, hat jeder eine Rechnung mit jedem offen. Und nicht jede Räuberpistole stimmt. So gab es zwar nach Einführung des Rabattverbots 2006 einen Einkaufsclub in Österreich, aber nie ein Steuersparmodell für Apotheker in Panama. Doch das verraten die Autoren erst im letzten Kapitel.
Auch wenn sich die große Verschwörungsgeschichte als Ente entpuppt: Das Buch ist eine aufschlussreiche Lektüre darüber, wie das Zytogeschäft funktioniert. So lernt man unter anderem, dass Krebspatienten erst seit 1976 ambulant behandelt werden – bis dahin fand die Therapie mit überschaubarem Arzneimittelangebot in der Klinik statt. Professor Dr. Ulrich Kleeberg hatte das Konzept aus den USA mitgebracht und in Hamburg die Hämatologisch-onkologische Praxis Altona (HOPA) eröffnet.
In unmittelbarer Nähe befindet sich die Elb-Apotheke; deren früherer Inhaber Günter Zeifang ist einer der unfreiwilligen Hauptprotagonisten des Buches. Schon im Stern hatten Schröm und sein Team umfassend über ihn, seinen Herstellbetrieb und die angeschlossene MVZ-Konstruktion berichtet. Hier liefert das Buch neue Details – auch zur unrühmlichen Rolle von Pharmazierat, Aufsichtsbehörde und dem Büro von Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks.
Auf den 280 Seiten tauchen zahlreiche weitere bekannten Protagonisten und Unternehmen auf – von Omnicare über GHD bis hin zu Zytoservice. Andere werden namentlich nicht genannt, etwa der Pharmazeut mit Büro in einem Türmchen in der Berliner Friedrichstraße, der MVZ-Apotheker aus Niedersachsen oder der Kollege aus Bremen, der erfolgreich auch eine der größten Versandapotheken betreibt.
Die Versuche der Kassen, dem Geschäft über Ausschreibungen den Boden zu entziehen, sehen die Autoren als gescheitert. Schon für Panorama hatten die Autoren über zu lange Lieferzeiten und abgelaufene Medikamente berichtet. Im Buch kommen die Klinikapothekerin Professor Dr. Irene Krämer und der bayerische Apotheker Dr. Franz Stadler zu Wort.
Nicht allen Kennern des Marktes gefällt das Buch – vor allem weil die Autoren mit ihrem Argwohn gegenüber der Branche nicht hinter dem Berg halten. Dass Patienten aus reiner Profitgier, wie im Buch beschrieben und anhand von Zahlen rekonstruiert, sogar mehr Krebsmedikamente verschrieben werden als notwendig, wirkt für viele Leser wohl nach wie vor überzogen. Aber auch dass ein Kollege Infusionsbeutel strecken könnte, hätte noch vor einem Jahr wohl niemand zu glauben gewagt.
Das Antikorruptionsgesetz halten Schröm und Schenck für ein stumpfes Schwert. So machen sie sich in den letzten beiden Kapiteln auf die Suche nach möglichen Alternativen wie Zwangslizenzen und dem Ersatz für Monopole. Krebs sei zwar nicht ansteckend, überteuerte Medikamente richteten aber denselben finanziellen Schaden an wie eine Epidemie, zitieren sie Manon Ress von der Union for Affordable Cancer Treatment (UACT).
Im Epilog skizzieren die beiden Autoren dann noch, wohin sich die Branche entwickeln könnte, da der Finanzmarkt den Bereich zunehmend für sich entdeckt: „Wenn Zytostatika-Herstellbetriebe eben noch die örtlichen Apotheken aus dem Markt gedrängt haben, dann ist jetzt die nächste Eskalationsstufe erreicht: Die Herstellbetriebe werden von privaten Krankenhauskonzernen bedroht oder von Herstellbetrieben mit einem Finanzinvestor an Bord.“ Dann könne man es mit der Angst zu tun bekommen, so ihr Fazit. „Vor allem, wenn man sich in Erinnerung ruft, wie viel Unheil schon ein einzelner Apotheker anrichten kann, bei dem Geldgier über die medizinischen Interessen trumpft.“