Apotheker und das Morsellen-Privileg Carolin Ciulli, 03.12.2018 14:48 Uhr
Ihre Herstellung ist schwierig, ihr Ursprung geht auf das Mittelalter zurück: Morsellen. Nur Apotheker hatten früher das Privileg, Zucker verarbeiten zu dürfen. Heute stellt fast niemand mehr das Konfekt mit den verschiedenen Gewürzen her. Dr. Klaus Fehske nimmt sich seit mehr als 30 Jahren vor Weihnachten die Zeit und weist Mitarbeiter in die feine Handwerkskunst ein. Dorothea Wendt verkauft ihre Morsellen auf einem historischen Weihnachtsmarkt.
Nur wenige Pharmazeuten wissen heute noch um das Rezept von Morsellen. „Ich habe es in meiner Lehrapotheke von Dr. Karl-Ludwig Wachsmuth Melm in Oerlinghausen gezeigt bekommen“, sagt Fehske. Der Apotheker übergab die Rathaus-Apotheke vor zwei Jahren an seinen Sohn Dr. Christian Fehske. In der Adventszeit übernimmt er in der Mitarbeiterküche in Hagen das Kommando. Mit zwei Angestellten stellt er das Zuckergebäck für die Kunden her.
Als Fehske nach dem Studium und Tätigkeiten in der Industrie vor 33 Jahren die Apotheke seines Vaters übernahm, wollte er die Morsellen-Tradition aus seiner Lehrapotheke wiederaufleben lassen. Er rief Melm an und ließ sich das Rezept durchgeben. Zudem beauftragte er einen Handwerker, ihm die Formen aus Eichenholz für das Konfekt herzustellen. „Noch heute benutze ich dieselben Formen“, sagt er. Früher mischte Fehske die Morsellen noch im Labor an, seit einigen Jahren wird in der Mitarbeiterküche gewerkelt.
Die Herstellung der Morsellen sei schwierig, so Fehske. Denn dem Konfekt aus Puderzucker, Orangeat und Zitronat sowie Zimt, Ingwer, Galgant und Nelken werde kein Bindemittel zugemischt. Der Zucker werde erhitzt, die Gewürze müssten bei der richtigen Temperatur zugefügt werden. Auch das Schneiden der kleinen Stücke sei heikel, da sie schnell auseinanderbrächen. „Ich verbrenne mir traditionell jedes Mal die Finger“, so Fehske. In diesem Jahr stellten die drei Zuckerbäcker 300 Tüten mit je sieben Stückchen her. In zweieinhalb Stunden wurden zehn Formen gefüllt.
Apothekerin Wendt bietet selbstgemachte Morsellen seit 2001 auf dem Historischen Christmarkt in Lüneburg an. Am vergangenen Wochenende verkaufte die Inhaberin der Apotheke am Kran das Konfekt und weitere Leckereien wie Marzipan, Senf und Magenbitter an ihrem Stand. Die Erlöse fließen in den Erhalt der Altstadt. Wendt präsentiert ihre Waren in einem historischen Kostüm als Inhaberin der fiktiven „Luna-Apotheke“. „Das Kleid haben ich und eine Kollegin, die auch mitmacht, selbst genäht.“
Die Morsellen stellt sie zuvor zu Hause mit ihrem Lebensgefährten her. „Ich benötige dafür ein ganzes Wochenende.“ Der Zucker werde mit einem Teil Wasser in einer kupfernen Stielpfanne zur Tafeldicke eingekocht, bis eine entnommene Probe sich federflockenartig abschleudern lasse. Im Anschluss werden die Zutaten hinzugefügt und in eine Eichenholzform gegossen. Nach dem Schneiden verpackt sie Wendt traditionell in Spanschachteln. Darin seien die Morsellen lange haltbar und das Konfekt könne etwas nachhärten. Was nicht auf dem Markt verkauft wird, können Apothekenkunden in der Offizin erwerben oder bestellen.
Wendt hat Freude daran, das historische Rezept im passenden Umfeld zu präsentieren. „Auf dem Markt gibt es keine Elektrizität. Abends leuchten nur Kerzen.“ Konfekte und Marzipane sei in der Renaissance ein Privileg der Apotheker gewesen. Die Süßigkeiten waren nur Adligen und Reichen vorbehalten. Der teure Zucker wurde bei der Herstellung von Arzneimitteln auch zum Überdecken des schlechten Geschmackes verwendet. Laut Wendt geht ihr Rezept auf das „Das Neue Pharmazeutische Manual“ von E. Dieterich aus dem Jahr 1901 zurück. Der Name ist aus dem Lateinischen abgeleitet von Morsus, der Bissen beziehungsweise Morsellus, der kleine Bissen. Die zweite Bedeutung bezieht sich auf Mors – der Tod. Bei der Herstellung des Konfekts werde die Zuckerlösung „bis zum Absterben“ gekocht.