Innerhalb weniger Tage wurden Apotheker Ferdinand Gabriel und seine Mitarbeiter zweimal Opfer von bewaffneten Raubüberfällen. In einem Fall wurde der Täter gefasst – und sofort wieder freigelassen. Der empörte Gabriel sandte einen Hilferuf an die örtliche Politik und schützt seine Mitarbeiter mit Panic Rooms.
Panic Rooms kennt man normalerweise eher aus Filmen. In einer Apotheke in Neu-Anspach hingegen erscheint ihre Existenz exotisch. Die 15.000-Einwohner-Stadt im hessischen Hochtaunuskreis würde man auf den ersten Blick nicht als Kriminalitäts-Hotspot einschätzen. Aber als Apotheker oder PTA lebt man dort durchaus gefährlich.
Gabriel betreibt drei Apotheken und zieht Bilanz: „Im Februar hatten wir zwei Einbrüche in der Kleeblatt-Apotheke und einen Einbruchsversuch während des Nachtdienstes. Allein in den Jahren 2015 und 2016 wurde dreimal in meiner Apotheke im Ärztehaus eingebrochen. In der Zeitung habe ich gelesen, dass die ‚erfasste Kriminalität‘ in Deutschland deutlich rückläufig sei. Auf Neu-Anspach trifft das augenscheinlich nicht zu.“
In den vergangenen 30 Jahren hat der Apotheker sein eigenes Sicherheitskonzept entwickelt. „Wir rüsten sicherheitstechnisch auf, das kostet viel Geld. Wir haben Alarmanlagen und Videoüberwachung installiert.“ Die Notdienst-Zimmer seiner drei Apotheken hat er zu Panic Rooms umfunktioniert. „Die Tür sieht von außen unscheinbar aus. Sie ist aber so konstruiert, dass ein Täter rund eine halbe Stunde brauchen würde, um in den Raum zu kommen.“ Darin sollen Mitarbeiter, die bedroht werden, flüchten und die Polizei informieren. An der Einrichtung der Zimmer wurde nichts verändert.
„Die Tür ist so schwer, dass man zwei Männer braucht, um sie zu tragen. Sie verschließt sich im Ernstfall auf der Griff- und Bandseite, Streben verhaken sich mit der Zarge.“ Dann ist der Mitarbeiter für eine gewisse Zeit zuverlässig geschützt und der Einbrecher gibt hoffentlich auf oder wird im Idealfall von der Polizei gestellt. Seine Mitarbeiter haben angesichts der aktuellen Sicherheitslage in Neu-Anspach mittlerweile Angst vor den Notdiensten. „Der Täter des Überfalls in einer weiteren Apotheke im Ort wurde gefasst und ist geständig. Er hatte eine Angestellte mit einem Messer bedroht. Da er einen festen Wohnsitz hier hat und seine soziale Perspektive nicht gefährdet werden soll, wurde er sofort wieder auf freien Fuß gesetzt“, sagt der Apotheker. Laut Auskunft der Kriminalpolizei sei es nicht ausgeschlossen, dass er auch für den jüngsten Überfall auf die Kleeblatt-Apotheke verantwortlich ist.
Gabriel ist empört, er hat einen Brief an den Bürgermeister der Stadt und weitere Lokalpolitiker geschrieben. Der Brief heißt „Ein Hilferuf“ und schildert die Problemlage aus Sicht des Apothekers. Er schreibt: „Für Beschäftigte in Neu-Anspachs Apotheken ist eine zunehmend bedrohliche Situation entstanden. Bitte bedenken Sie, dass in Apotheken fast ausschließlich Frauen arbeiten. Einmal wöchentlich versieht jede Apotheke den Notdienst, die Notdienst leistende Apothekerin ist dann alleinige Person in der Apotheke. Es gibt mittlerweile große Probleme mit der Besetzung des Notdienstes während der Nacht.“ Im Klartext: Die Mitarbeiter hätten Angst und wollen nicht mehr alleine arbeiten.
Gabriels Forderung: „Die aktuelle Diskussion zur Sicherheitslage in Neu-Anspach ist mehr als überfällig.“ Er fordert unter anderem „die deutliche Erhöhung der Präsenz von Ordnungskräften zur Sicherung der öffentlichen Ordnung und die Förderung des Engagements junger Menschen, die sich in die Gesellschaft einbringen wollen.“ Er zeigt ein gewisses Verständnis für junge Menschen, die in die Kriminalität abrutschen. Der Täter, der seine Apotheke kürzlich überfiel, gehört laut seiner Einschätzung einer im Ort tätigen Bande von Jugendlichen an.
Ein weiterer Aspekt könnte sich für die Bewohner von Neu-Anspach unerfreulich auf die Sicherheitslage auswirken: „In den letzten Jahren wurden unsere Öffnungszeiten ausgeweitet. Die noch bis 2011 übliche Mittagspause von 13 bis 15 Uhr wurde abgeschafft, heute sind die Apotheken bei uns durchgehend geöffnet. Auch in dieser betriebsschwachen Zeit ist häufig eine Angestellte alleinige Person in der Apotheke. Eine zusätzliche Angestellte kann nicht finanziert werden. Falls die Sicherheit der Mitarbeiterinnen nicht gewährleistet werden kann, müssen die Apotheken in der Mittagszeit künftig wieder geschlossen werden", sagt Gabriel.
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