Abmahnungen

„Strafrechtsboot“ auf der Abmahnwelle Alexander Müller, 10.12.2014 10:17 Uhr

Berlin - 

Plötzlich ging alles sehr schnell: Apotheker Hartmut Rudolf Wagner und sein Anwalt Christoph Becker haben ihre tausendfachen Abmahnungen gegen Apotheker gestern zurückgenommen und wollen die Sache für erledigt erklären. Doch damit dürften sich viele der Abgemahnten nicht zufrieden geben. Etliche haben bereits Gegenklagen angekündigt oder wollen Strafanzeige stellen.

Nach dem Aussetzen der Fristen und Vergleichsangeboten hatte sich abgezeichnet, dass Wagner und Becker den Rückzug antreten. Dass es so schnell gehen würde, hat auch Rechtsanwälte der abgemahnten Apotheker gewundert. Überrascht sei er aber vor allem von der Offenheit in dem Schreiben aus Leipzig gewesen, sagt Rechtsanwalt Dr. Volker Herrmann von der Kanzlei Terhaag & Partner. Er vertritt mehrere Apotheker in dieser Sache.

In dem Rundfax „Rücknahme der ausgesprochenen Abmahnungen“ hieß es zur Begründung etwa, Wagner habe seinen Antrag auf Erteilung einer Versanderlaubnis zurückgezogen. In den Abmahnungen hatte es dagegen noch geheißen, Wagner betreibe eine Versandapotheke. „Es wäre strafrechtlich besser für ihn gewesen, er hätte das nicht auch noch zugegeben“, meint Herrmann. Denn bewusst falsche Aussagen zum vermeintlichen Wettbewerbsverhältnis wären nahe am Betrug.

Inwiefern davon auch Wagner betroffen ist, hängt laut Herrmann von den Absprachen zwischen dem Apotheker und seinem Anwalt ab. „Einen unerfahrenen Mandanten hätte man auf das Risiko hinweisen müssen, dass der Eindruck der Rechtsmissbräuchlichkeit entstehen kann“, so Herrmann.

Allerdings hält er es für unwahrscheinlich, dass Wagner die gesamte Verantwortung auf Becker abwälzen kann: „Wer mehrere tausend Abmahnungen freigibt und den Anwalt für jeden Einzelfall bevollmächtigt, sitzt vermutlich mit im Strafrechtsboot“, so Herrmann.

Es sei wichtig, dass die Ermittlungsbehörden jetzt aufklärten, was zwischen den beiden vereinbart war – etwa bezüglich der Aufteilung der eingeforderten Abmahngebühren. „Je mehr Strafanzeigen eingehen, desto intensiver wird der Staatsanwalt ermitteln“, so Herrmann.

Er geht davon aus, dass Wagner mehr über das Innenverhältnis zu Becker preisgeben wird, wenn die abgemahnten Apotheker nun ihrerseits Forderungen stellen. Betroffene können beispielsweise die Erstattung ihrer Anwaltskosten verlangen – sofern sie diese belegen können. Wer dies nicht schon mit der Zurückweisung der Abmahnung getan habe, könne jetzt eine Forderung schreiben.

Normalerweise gibt es Herrmann zufolge bei wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzungen zwar keinen Anspruch auf Erstattung der Anwaltskosten – egal, ob die Abmahnung begründet war oder nicht. „Es wird als allgemeines Lebensrisiko von Handeltreibenden angesehen, wettbewerbsrechtlich verklagt zu werden“, erklärt der Jurist. Die entscheidende Ausnahme seien aber rechtsmissbräuchliche Abmahnungen. „Und ich denke, wir sind sehr nah dran, das beweisen zu können“, so Herrmann.

Letztlich müsse jeder betroffene Apotheker für sich entscheiden, ob er eine Klage anstrengen möchte, um Forderungen gegen Wagner zu stellen. Viele Kollegen werden froh sein, dass die Sache mit dem Verzicht vor Weihnachten erledigt ist.

Bei einer Gegenklage besteht zumindest das Risiko, dass die Apotheker letztlich doch auf ihren Kosten sitzen bleiben: „Wer so eine Aktion wie diese Massenabmahnung betreibt, wird wohl nicht der reichste Apotheker in Süddeutschland sein“, so Herrmann. Zudem habe Wagner erklärt, seinen Betrieb einstellen zu müssen. Die Brücken-Apotheke in Schwäbisch Hall soll geschlossen werden.