Apotheker lässt seinen Heimatort durchimpfen APOTHEKE ADHOC, 20.06.2021 08:22 Uhr
Auch wenn sie (noch) nicht selbst impfen können: Apotheker können auch über die Belieferung hinaus einen wichtigen Beitrag zur Beschleunigung der Impfkampagne leisten, ist Inhaber Dr. Nojan Nejatian überzeugt. Und er zeigt selbst, dass er Recht hat: Am Wochenende führt er in seinem Heimatort Erzhausen bei Darmstadt einen eigenen Impfmarathon durch: Rund 1000 Impfungen wollen er und seine Partner in zwei Tagen verabreichen.
Die Hoffnung seines Kollegen Dr. Björn Schittenhelm scheinen sich zu bewahrheiten: Er hoffe, dass andere Apotheker sein Modell eines Impfmarathon kopieren und so ihren Beitrag leisten, erklärte der. „Ich habe das gesehen und dachte mir, das können wir doch auch“, sagt Nejatian. „Es hatte mich schon vergangenes Jahr frustriert, dass wir als Apothekerschaft so wenig selbst in der Hand haben.“ Schittenhelms Konzept gefiel ihm, also machte er sich auf, ein ähnliches in seinem Ort auf die Beine zu stellen.
„So ein Projekt ist nicht die Arbeit eines Einzelnen, sondern der ganzen Gemeinde“, sagt er. Und die wirkt tatsächlich auch hier mit: Vom Bürgermeister über die Ärzte und das Deutsche Rote Kreuz bis hin zu den Mitgliedern der lokalen „Altkerbburschen“ ziehen alle an einem Strang. Im Bürgerhaus von Erzhausen wurde dazu ein Mini-Impfzentrum eingerichtet – wobei Nejatian großen Wert darauf legt, dass es das genau genommen nicht ist. „Unser Konzept sieht vor, dass wir eine erweiterte Arztpraxis sind“, sagt er. Die Hausarztpraxis vor Ort, ein Mediziner aus Frankfurt und vier weitere Ärzte der Hilfsorganisation Humanity First, übernehmen dabei die Impfungen, Nejatian hat die Vials besorgt. „Die Ärzte hier in der Gegend benutzen sonst nicht so gern Vektorimfpstoffe, deshalb hatte ich gute Möglichkeiten, an den Janssen-Impfstoff zu kommen“, erzählt er. „Ich habe deshalb über den Großhandel 300 Vials bestellt und tatsächlich 262 bekommen.“ Bei fünf Dosen pro Vial macht das über 1000 Impfungen.
Die werden dann ab Samstagmorgen in zwei Impflinien mit jeweils zwei Ärzten verimpft. „Die agieren dort mit ihrer KV-Nummer und rechnen dann auch über die KV ab, es hat also alles seine Ordnung“, sagt Nejatian. Bei der Vergabe der Termine setzt der Apotheker nicht auf ein eigenes Tool, sondern hat sie klassisch per E-Mail vergeben. „Die Gemeinde hat uns dafür extra eine eigene E-Mail-Adresse eingerichtet und jemanden zur Verfügung gestellt, der die Anmeldungen einplant und die Bestätigungsmails verschickt. Das zeigt, wie sehr die Gemeinde hinter uns steht.“
Die Nachfrage ist erwartungsgemäß groß, Anfragen seien nicht nur aus dem Ort gekommen, sondern auch aus weit entfernten Städten wie Berlin und Hamburg – eine E-Mail sei sogar aus Spanien eingegangen. Allerdings merke man bereits, dass die Durchimpfungsrate steige, die Fluktuation sei relativ hoch. Nejatian hat 600 Dosen für Erzhausen reserviert und lässt die restlichen auch Menschen aus anderen Orten zukommen.
Und auch wenn die Vergabe vergleichsweise klassisch daherkommt: Der Zeitplan ist trotzdem straff. Die Termine wurden halbstündig für jeweils 25 Personen vergeben. Jeder der vier Ärzte impft also in 30 Minuten jeweils sechs bis sieben Personen. Die erweiterte Arztpraxis ist genau genommen ein Wahllokal: Das Bürgerhaus war bereits für die Landratswahl hergerichtet – und das ist nicht nur zum Nachteil, denn Laufwege, Abstandsmarkierungen und anderen Infektionsschutzmaßnahmen wurden bereits getroffen. „Wir haben die Wahlkabinen zu Impfkabinen umfunktioniert“, sagt Nejatian. Die Gemeinde stellt Security und Verpflegung, eine örtliche Brauerei sponsert zusätzlich noch Wasser und Softdrinks. Insgesamt rund 80 Helfer sind vor Ort, darunter auch Nejatians Vorgängerin, die ehemalige Inhaberin seiner Heegbach-Apotheke, der einzigen im Ort. „Sie hat die Apotheke 20 Jahre lang geleitet und kennt die Leute hier im Ort sehr gut“, erzählt er.
Ein weiterer Vorteil der Apotheker-Arzt-Kooperation: Anders als in vielen Praxen und Impfzentren können die Impflinge ihre digitalen Zertifikate gleich vor Ort erhalten. Während der Wartezeit nach der Impfung erstellt Nejatians Team die digitalen Impfzertifikate und lässt sie den Geimpften zukommen – „falls der Server nicht wieder abstürzt“, wie er einwendet. Er hoffe, dass seine Impfaktion ebenso Strahlkraft entwickelt wie die seines Kollegen Schittenhelm. „Ich würde gern weitere Kollegen dazu motivieren, so etwas zu machen. Wenn man die unterschiedlichen Modelle sieht, sieht man auch, wie viele Möglichkeiten es gibt, so etwas auf die Beine zu stellen. Wir Apotheker können so viel mehr als nur Medikamente über den Tresen zu reichen!“