Steigen in der Apotheke die Temperaturen über 25 °C, droht die behördlich angeordnete Schließung. Auch die Versender geraten wegen mangelnder Temperaturkontrollen allmählich unter Druck. Aber was ist, wenn der Hersteller selbst beim Transport ein Auge zudrückt? Apothekerin Heike Nickolay hatte jetzt so einen Fall und fragt sich, wie sie künftig ihren Botendienst ausstatten soll.
Am Morgen des 25. Juli erhielt die St. Viktor Apotheke eine Lieferung Injektionssuspension Clustoid Pollen des Herstellers Roxall. Die Temperatur betrug nach Angaben der Apothekerin bei Ankunft 26,2 °C. Nickolay schrieb den Hersteller an: „Da der Sendung kein Temperaturprotokoll beigefügt war und die von Ihnen als Hersteller angegebene Lagertemperatur von 2 bis 8 °C deutlich überschritten wurde, bitte ich Sie um eine möglichst schnelle Zusendung einer Bestätigung, dass die gelieferte Ware, trotz nichttemperiertem Transport über mehrere Tage bei Tagestemperaturen über 35 °C, verkehrsfähig ist.“
Roxall antwortete schnell, Nickolay bedankte sich für die Qualitätsbestätigung der Clustoid-Präparate, hatte aber noch eine Frage: „Um das Ganze für mich nachvollziehbar zu machen, bitte ich um Zusendung der Stabilitätsdaten unter Stressbedingungen. Falls Sie eine Temperaturverteilungsstudie unter repräsentativen Bedingungen durchgeführt haben (s. EU Kommission Leitlinien vom 5. November 2013 für die gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln (2013/C 343/01) 9.4 Absatz 4), bitte ich auch um diese Zusendung.“
Roxall antwortete, man könne der Apothekerin in Bezug auf die beiden fraglichen Aufträge bestätigen, „dass uns gemäß den Richtlinien auch Stabilitätsdaten unter Stressbedingungen für einen Monat bei 30/40/50 °C vorliegen.“ Weiter ins Detail geht der Hersteller in seiner Antwort aber nicht: „Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass weitere Detailangaben vertraulich sind und nur an die zuständigen Behörden übermittelt werden dürfen, mit denen wir bereits in Kontakt stehen“, so die Antwort von Roxall.
Nickolay hatte in der Vergangenheit schon einen ähnlichen Fall, damals mit Bromelain-Tabletten. Hier habe der Hersteller auch eine Lagertemperatur von 2 bis 8 °C angegeben, sie seien aber regelmäßig mit der normalen Großhandelslieferung gekommen. Der Apothekerin ist bewusst, dass einen Unterschied zwischen Lager- und Transportbedingungen gibt, sie ist sich aber unsicher, wie sie das im Botendient künftig handhaben soll.
Denn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will den Botendienst zwar als Regelversorgung freigeben, gleichzeitig aber die Vorgaben verschärfen – „zur Gewährleistung der Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität von Arzneimitteln, die im Botendienst und im Versandhandel ausgeliefert werden“. Hierzu soll eine „Pflicht zur Temperaturkontrolle dieser Arzneimittel unter bestimmten Voraussetzungen eingeführt werden.“
Die in der Verordnung geplante Ergänzung der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) sieht vor, dass „die für das Arzneimittel geltenden Temperaturanforderungen während des Transports bis zur Abgabe an den Empfänger eingehalten werden“ und dass dies „bei besonders temperaturempfindlichen Arzneimitteln, soweit erforderlich, durch mitgeführte Temperaturkontrollen nachgewiesen“ werden muss.
Im oben geschilderten Fall hat der Hersteller selbst die Unbedenklichkeit ausgesprochen. Apothekerin Nickolay will aber nicht in jedem Einzelfall bei den Firmen anfragen, wie die Anforderungen für den Transport sind. In der Fachinformation sind nämlich nur die Lagerbedingungen angegeben, nicht die Temperaturvorschriften.
Die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz (ZLG) hat sich zu mehreren Fragestellungen zum Transport kühlpflichtiger und kühlkettenpflichtige Arzneimittel im Großhandel positioniert. Die Großhändler müssen zum Beispiel ihre Transportwege einer Risikobewertung unterziehen – mit Fahrtdauer, Jahres- und Tageszeit einschließlich Wettervorhersage, Ausrüstung der Fahrzeuge. Gegebenenfalls ist dann ein Temperaturmonitoring nötig.
Werden beispielsweise ausschließlich Arzneimittel transportiert, für die laut Kennzeichnung keine besonderen Lagerungsbedingungen gelten, ist vorübergehend sogar eine Temperatur bis 40 °C akzeptabel. „Bei Arzneimitteln, die nach den geltenden Regelungen der EU zugelassen sind und nach der Kennzeichnung keine besonderen Lagerungshinweise tragen, wurde im Rahmen der Zulassung nachgewiesen, dass diese Arzneimittel in der Primärverpackung über 6 Monate bei 40 °C stabil sind“, heißt es in den FAQ.
Ein Freibrief ist das aber nicht. Eine andere Frage lautet: „Kann ein Transport von nicht kühlpflichtigen Arzneimitteln grundsätzlich zwischen +2 °C und +30 °C erfolgen?“ Die Antwort der ZLG: „Nein. Nach Unterkapitel 9.2 Abs. 1 der GDP-LL sind die Lagerungsbedingungen auch beim Transport einzuhalten; eine grundsätzliche Akzeptanz auch von kurzfristigen Temperaturabweichungen ist in dem Zusammenhang daher nicht vorgesehen.“ Bei vielen Arzneimitteln müsse zudem nach den Angaben auf der Verpackung eine Lagerung unter 25 °C erfolgen. „Ein Transport dieser Kategorie von Arzneimitteln grundsätzlich bei Temperaturen bis zu 30 °C kann daher die geforderte Qualität nicht sicherstellen, da die Stabilität bei Temperaturen über 25 °C im Rahmen der Zulassung nicht nachgewiesen wurde.“ Verschiedene Arzneimittel dürften zudem nach den Angaben des pharmazeutischen Unternehmers ausdrücklich nicht unter +8 °C aufbewahrt werden. Zu beachten ist laut ZLG ebenfalls, dass mit sinkenden Temperaturen die relative Feuchte im Transportbereich ansteigen kann.
Nur wenn laut Packungsangaben oder vom Hersteller schriftlich bestätigt ein Transport innerhalb des Temperaturbereiches zu keinen Qualitätsminderungen führt, könne dies entsprechend erfolgen. Fraglich sei allerdings, ob im Einzelfall die Effekte möglicher zuvor erfolgter Transporte in dem Zusammenhang bekannt sind und entsprechend berücksichtigt werden könnten.
Die ZLG hat sich auch mit der Frage befasst, ob kühlkettenpflichtige Arzneimittel beim Transport „ausnahmsweise auch oberhalb eines Temperaturbereiches von +2 bis +8 °C befördert werden“ werden darf. Auch hier muss unterschieden werden: Gibt es einen entsprechenden Hinweis zur Einhaltung der Kühlkette auf der Packung, ist dieser einzuhalten – und zwar bei Lagerung und Transport. Gibt es lediglich einen „Hinweis“ auf eine Lagerung zwischen +2 bis +8 °C erfolgt, „wurde im Rahmen der Zulassung nachgewiesen, dass sie kurzfristig auch bis +25 °C ausreichend stabil sind“, so die Zentralstelle.
Zwar werden die Apotheken mit der Neuregelung des Botendienstes nicht den GDP-Vorschriften der Großhändler unterworfen, die Ausführungen der ZLG zeigen aber, wie fein die Anforderungen an den Transport unterteilt werden können. Und die Großhändler sehen nicht ein, dass sie gemäß der GDP-Richtlinien eine Temperaturkontrolle durchführen müssen, während zum Beispiel Versandapotheken ihre Päckchen mit der normalen Post verschicken dürfen. Der Branchenverband Phagro begrüßt es in seiner Stellungnahme zum Apothekenstärkungsgesetz daher ausdrücklich, dass die Versender sich künftig auch mehr um die Sicherheit der Medikamente kümmern müssen.
Wie heiß es in einem Paket werden kann, wollte in diesem Sommer mal wieder ein Apotheker wissen. Christian Gerninghaus, Inhaber der Sonnen-Apotheke in Schlitz, verschickte eine Sendung inklusive zwei Minimum-Maximum-Thermometern an seinen Sohn Joshua Gerninghaus nach Frankfurt. Nach Tagen unterwegs stand auf den Anzeigen, dass es in den Paketen bis zu 62,2 °C beziehungsweise 60 °C warm geworden ist.
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