Viele kleine und mittlere Kommunen wollen ihre Innenstädte mit Einzelhandelskonzepten schützen. Dazu definieren sie sogenanntes zentrumsrelevantes Sortiment. Doch nicht immer setzt man eigene Vorgaben konsequent durch. In Neumünster machte man offenbar so viele Ausnahmen, dass die Händler nicht mehr wissen, welche Kriterien tatsächlich gelten. Nach Ansicht des Apothekers Lars Peter Wall ist die Steuerung des Einzelhandels nicht mehr nachvollziehbar. Er kämpft seit über einem Jahrzehnt für eine Filiale im aufstrebenden Gewerbegebiet am Rande der Stadt.
Ein Modeladen auf der Kieler Brücke, einer am Großflecken, ein Feinkostgeschäft am Eingang zur Lütjenstraße oder ein Buchladen in der Nähe der Marktpassage. Und schon bald, so wird gemunkelt, sollen weitere Geschäfte am Großflecken, der Haupteinkaufstraße der Stadt, folgen. Die Schließung von mehreren Geschäften in der Innenstadt hat die Diskussion um die Verödung der Innenstadt auch in Neumünster wieder neu belebt.
„Die Gesamtsituation ist bedenklich“, räumt sogar Citymanager Michael Keller in einem Bericht des Holsteinischen Couriers ein. Man müsse ein konzeptionelles System aufbauen. Dabei gibt es auch in Neumünster – wie in vielen deutschen kleineren und mittleren Städten – ein Einzelhandelskonzept. Die Details variieren, im Kern besagen die Konzepte jedoch, dass sogenanntes zentrumsrelevantes Sortiment in der Innenstadt konzentriert sein muss. Für Einzelhändler bedeutet das nichts anderes, als dass sie ihre Läden nur in der Innenstadt eröffnen können.
Gibt es ein solches Einzelhandelskonzept, sind Apotheken ebenfalls davon betroffen. Regelmäßig werden Arzneimittel und andere in Apotheken angebotene Waren als zentrumsrelevantes Sortiment definiert. „Grundsätzlich ist es begrüßenswert, wenn darauf geachtet wird, dass die Innenstadt nicht verödet“, sagt Wall, dem drei Mühlen-Apotheken in Neumünster gehören. Doch in seiner Stadt werde mit zweierlei Maß gemessen, ärgert sich der Pharmazeut.
So würden beispielsweise trotz Innenstadtkonzept solche Zentren wie die Holstengalerie außerhalb der Innenstadt genehmigt. „Und dann wundert man sich heute über das Problem der Leerstände in der gewachsenen, alten Innenstadt am Großflecken und in der Lütjenstrasse“, echauffiert sich Wall.
Auch im Störpark, einem aufstrebenden Gewerbegebiet am Rande von Neumüster, bewilligte die Stadtverwaltung eine Reihe von Geschäften, darunter Famila, in dem sich unter anderem Bäcker, Frisör, Reinigung und Schlüsseldienst, Reisebüro, Schmuck-, Blumen- und Zeitschriftenladen befinden. Aber auch die Ansiedlung solcher Läden, wie den Sonderpostenmarkt Philipp Thomas, den Elektronik-Fachmarkt Expert oder ein Radgeschäft, sei mit dem Einzelhandels- und Zentrenkonzept der Stadt vereinbar, urteilen die Verantwortlichen.
„Das einzige, was nicht genehmigt wird, ist eine Apotheke“, berichtet Wall. Seit mehr als einem Jahrzehnt versucht er, eine Genehmigung der Stadt für eine Filiale im Störpark zu bekommen. Bisher vergeblich. Die Begründung: Apothekensortiment sei zentrumsrelevant. „Die Steuerung des Einzelhandels ist überhaupt nicht mehr nachvollziehbar“, kritisiert der Apotheker. Das Einzelhandelskonzept werde durch die Stadtverwaltung gefühlt willkürlich ausgelegt. Der Besitzer des gesamten Areals hat nach Auskunft von Wall bereits vor einiger Zeit eine Klage gegen die Entscheidung der Stadt eingereicht und will so die Änderung der Bebauungspläne erzwingen. Seitdem sei allerdings nichts passiert.
Auch für den geplanten Flagshipstore des Projektes Medikamente Now, das Wall mit einigen weiteren Kollegen vor einigen Monaten gegründet hat, erhielt der Apotheker keine Genehmigung für den gewünschten Standort. Zwar hätte die Stadtverwaltung auf eine Fläche im Fachmarkt Famila verwiesen. Diese sei jedoch lediglich rund 30 Quadratmeter groß und damit gänzlich für das Vorhaben ungeeignet, führt Wall aus. Den Wunschstandort im Gebäude nebenan, in dem eine entsprechend große Fläche vorhanden wäre, wollte die Stadt laut Apotheker nicht genehmigen. „Das ist doch absurd, dass ein Standort 50 Meter weiter die Innenstadt plötzlich gefährden soll“, sagt er. „Man kann hier echt die Lust verlieren, in dieser Stadt weiter zu investieren.“
Mit den Problemen steht Neumünster allerdings nicht allein da. Die Verdrängung kleiner Läden und Dienstleister in den Innenstädten schreitet immer weiter voran. Das zeigt eine eigenen Angaben nach repräsentative Umfrage von „Das Telefonbuch“. Das Ergebnis sind uniforme Innenstädte, die in fast jeder Klein- und Mittelstadt ähnlich aussehen und in denen die gleichen internationalen Ketten und Marken vertreten sind. 80 Prozent der Befragten sagen demnach, man könne „in meiner (nächst größeren) Stadt beinahe zusehen, wie die kleinen Läden verschwinden und das Flair der Innenstadt abnimmt“.Dabei gaben 74 Prozent an, lieber in kleinen Läden als in großen Kaufhäusern einzukaufen. Daher meinen ganze 83 Prozent der Teilnehmer, dass sich die Politik stärker mit der Verödung der Städte befassen müsste.
„Die Umfrageergebnisse zeigen, wie brisant das Thema ist. Dieses wird bisher aber hauptsächlich regional diskutiert. Wir haben daher die Initiative für das Gewerbe nebenan ins Leben gerufen, die sich für eine differenzierte Gewerbestruktur in Deutschlands Städten und Gemeinden einsetzt“, teilte Michael Wolf, Geschäftsführer der Telefonbuch-Servicegesellschaft. Ziel der Initiative sei es, nationale Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen. Dazu sei eine Online-Plattform gewerbe-nebenan.de gegründet worden, die Experten und regionale Aktionsgruppen sowie Vereine zu dem Thema zusammenbringen soll, die sich für das Gewerbe von nebenan stark machen wollen. Zudem werde ein News-Bereich aufgebaut, in dem Experten-Beiträge und Praxisbeispiele von Aktionsgruppen erscheinen sowie lokale Lieblingsläden vorgestellt werden sollen.
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