Palliativdienste

Apotheker ermöglicht Sterben in eigenen vier Wänden

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Berlin -

Sterbenskranken Menschen ein würdiges Sterben in der vertrauten Umgebung ermöglichen, das will der Frankfurter Apotheker Helmut Beckmann. Dafür gründete er zwei ambulante Pflegedienste. Eine Benefizaktion für das „Kinder Palliativ Team Südhessen“ schaffte es dieses Jahr in die Endrunde bei den VISION.A Awards.

Nach seiner Approbation übernahm Beckmann 1983 die Süd-Apotheke in Frankfurt. Schon seit langen Jahren engagiert sich die Apotheke „überall da, wo Patienten langfristig erkrankt sind“, erläutert er. Vor allem bei Krebs und HIV habe sein Team viel Expertise gesammelt. „Wir haben langjährige Erfahrungen in der onkologischen Sterilherstellung und einen eigenen Raum für Infusionen. In der Betreuung dort entsteht ein intensives, durchaus emotionales Verhältnis zu den Patienten. Doch irgendwann wirkt keine Therapie mehr. Wir wollten auch ein Angebot für diesen letzten Lebensabschnitt schaffen.“

Seit 2007 haben GKV-Versicherte einen Anspruch auf eine Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV). Sie soll die häusliche Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen sicherstellen. Die fachgerechte Aufsicht übernehmen speziell dafür ausgebildete Ärzte und Pflegekräfte. Beckmann beschloss, einen eigenen Pflegedienst zu stiften. Dafür nahm er Ende 2009 eine Krankenschwester und einen Intensivpfleger unter Vertrag.

„Den Pfleger kannte ich schon aus der ambulanten Aids-Arbeit“, berichtet der Gründer. „Dann kam ein Arzt dazu, den ich aus einer stationären Einrichtung in Hanau abgeworben habe. Über den Arzt nahm ich die Verhandlungen mit den Krankenkassen auf.“ Im Februar 2010 unterzeichnete Beckmann gemeinsam mit zwei Medizinern einen Gesellschaftervertrag für eine gemeinnützige GmbH (gGmbH). Am 7. Oktober nahm das Palliativ-Team offiziell seine Arbeit auf.

Doch bis die Erstattung der Leistungen durch die Kassen gesichert war, musste Beckmann selbst in die Tasche greifen: „Die Krankenschwester habe ich in den ersten Monaten selbst bezahlt, den Pfleger zunächst auch. Dann wurde im Radio zu Spenden aufgerufen und auch durch ein großes Tennisturnier kam Geld herein.“ Etwa 20 Patienten wurden in dieser finanziell noch sehr unsicheren Zeit bereits versorgt. In den Folgejahren gelang es dem Dienst nach und nach, mit den Krankenkassen Verträge zu schließen, die eine Erstattung der Leistung sicherstellten. „Sie dienten als Blaupause für weitere Verträge und für regionale Dienste in anderen Bundesländern.“ Im März 2012 kam ein gesondertes Kinder Palliativ Team für Südhessen dazu.

„Der Erfolg hat uns überrollt, das hat unsere Ärzte am Anfang überfordert“, erzählt Beckmann. „Eine 24-stündige Rundumversorgung an allen 365 Tagen im Jahr ist mit ein bis zwei Ärzten kaum leistbar. Mittlerweile sind unsere Dienste gut in der Frankfurter Gesellschaft etabliert, die Ärzte hier sind kooperativ eingebunden und übernehmen anteilig Notdienste für uns.“ Das Palliativ-Team für Erwachsene ist nur für Frankfurt zuständig. „Mittlerweile gibt es noch weitere Angebote, aber wir sind der einzige Dienst, der an keinen konfessionellen Träger oder an ein Krankenhaus gebunden ist.“

Für sterbenskranke Kinder gibt es in Hessen dagegen nur wenig Angebote. Drei Dienste teilen sich jetzt die Versorgung. Das Frankfurter Team ist für den Bereich Südhessen bis hinunter nach Bayern zuständig. Um die weiten Strecken zu überbrücken, steht ein zum „Palli-Mobil“ umfunktionierter Mercedes-Bus bereit. „Er kann genutzt werden, wenn unsere Ärzte mal vor Ort bei einem Kind im Odenwald oder hinteren Spessart bleiben muss und nicht im Elternhaus übernachten kann“, erläutert Beckmann.

Etwa 600 Erwachsene werden von fünf Ärzten, vier Honorarärzten und zwölf Pflegekräften pro Jahr versorgt, im Durchschnitt etwa 40 zur selben Zeit. „Unser Ziel ist es, auf 55 zu wachsen“, sagt Beckmann. Im anderen Team kümmern sich sechs Ärzte und sieben Pflegekräfte jährlich um 100 bis 120 Kinder, durchschnittlich 22 zur selben Zeit. „98 Prozent aller von uns versorgten Patienten sind zuhause verstorben.“

Die Betreuungsdauer sei durchaus unterschiedlich. „Bei Erwachsenen kann es schon mal sein, dass das Team seine Sachen innerhalb von 48 Stunden wieder abholen muss, im Schnitt dauert eine Palliativversorgung bis zu zwei Wochen“, so Beckmann. „Bei Kindern mit einer terminalen Krankheit gibt es dagegen auch Langzeitbehandlungen von bis zu zwei Jahren. Zwischendurch stabilisiert sich ihr Zustand, dann brauchen sie erst beim nächsten Schub wieder eine Betreuung.“

Als drittes Standbein eröffnete 2016 das Würdezentrum. „Es wird überwiegend über Spenden finanziert. Hier bieten wir unter anderem ‚Letzte-Hilfe-Kurse‘ für Angehörige an, hier können sie lernen, was sie für ihren geliebten Menschen in der letzten Phase des Lebens tun können. Auch Themen wie Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht bringen wir hier näher“, so Beckmann. Als Ergänzung zu den kostenlosen Kursen für Verwandte und Freunde gibt es kostenpflichtige Kurse für Pflegekräfte. „Die tragen sich selbst.“ Alle Einrichtungen, die Palliativdienste wie das Würdezentrum sind gemeinsam auf zwei Stockwerken untergebracht. „Sie arbeiten Hand in Hand.“

Trotz Einigung mit den Kassen seien beide Dienste nach wie vor auf Spenden angewiesen. „Die Tagespauschale für einen Patienten deckt die medizinische Versorgung ab, der Pflegesatz die häusliche Pflege“, erläutert Beckmann. „Doch alles was darüber hinaus geht, die psychosoziale Betreuung, die Beratung von Angehörigen oder die Trauerbegleitung, muss von uns finanziert werden.“

Der Apotheker kümmert sich mit um das Fundraising. Dafür konnte er einen wichtigen Partner mit ins Boot holen. „Ich bin mit dem Chef der Frankfurt Hotel Alliance im Rotary Club und habe ihm vorgeschlagen, etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen.“ Mit großem Erfolg: Beim „FHA-Social Day“ steuerten im Laufe des Dezembers alle 58 im Verbund zusammengeschlossenen Hotels ein eigenes Event bei. „Dabei kamen Kleinstbeträge von 15,73 Euro bis hin zu großen Summen über 2000 Euro zusammen. Über 20.000 Euro wurden so für den Kinder-Palliativdienst gesammelt.“ Im Moxy-Hotel ließ sich Kult-Vloggerin Galia Brener vor laufender Handykamera ein Tattoo stechen. Das YouTube-Video dazu schaffte es bei den diesjährigen VISION.A-Awards in die Endauswahl in der Kategorie CSR Vision Award.

Die Süd-Apotheke hat einen Vertrag mit beiden Diensten abgeschlossen und liefert BTM. „Eine hundertprozentige Versorgung wäre rechtlich nicht haltbar“, so Beckmann. „Auf Wunsch der Angehörigen können wir aber einspringen, wenn die Apotheke vor Ort dringend benötigte Dinge wie ein bestimmtes Nasenspray nicht vorrätig hat.“ Beckmann ist weiterhin Gesellschafter und externer Berater der gGmbH. In seinem Engagement will er nicht nachlassen. „Ich sehe es als meine Verpflichtung an, neben der Apotheke noch Gutes zu tun, das der Gesellschaft zugute kommt.“

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