Mehr als 300 Jahre lang gab es die Adler-Apotheke in Paderborn. Jetzt muss Inhaber Dr. Ralph Brachvogel die Türen für immer schließen. Dem über 70-Jährigen tut das leid – er und seine Mitarbeiter hätten gerne noch weitergemacht. Die Apotheke hat historische Bedeutung: Hier wurde 1805 das Morphin entdeckt.
Ganz am Anfang stand eine fürstbischöfliche Konzession. Damit gründete Abraham Cramer 1698 die Cramer'sche Hofapotheke in Paderborn. Sie bestand fast 200 Jahre unter diesem Namen. 1799 nahm Friedrich Wilhelm Adam Sertürner in der Offizin eine Lehre als Apothekengehilfe auf. Er begann, dort wissenschaftlich zu arbeiten und zu forschen. „Er suchte nach dem wirksamen Prinzip des Opiums“, erzählt Brachvogel. 1805 gelang Sertürner die Isolierung einer kristallinen Substanz aus der Schlafmohn-Droge. Er nannte das Alkaloid Morphin, nach Morpheus, dem griechischen Gott der Träume, Sohn von Hypnos, dem Gott des Schlafes.
Sertürner schrieb seine Entdeckung auf und sandte die Abhandlung an ein pharmazeutisches Fachjournal. Als der Brief bereits abgeschickt war, las er eine andere Fachabhandlung, in der stand, dass sich die Wirksamkeit auf einen Sauerstoff, nicht auf einen alkalischen Stoff gründe – das war die damals vorherrschende Auffassung in der Wissenschaft.
Sertürner hatte selbst keinen akademischen Hintergrund und daher großen Respekt vor dieser Fachmeinung. Darum schrieb er dem Herausgeber des von ihm kontaktierten Journals einen zweiten Brief, um seine Abhandlung zurückzuziehen. Doch dieser versicherte Sertürner, die Messergebnisse seien ordentlich, und veröffentlichte sie trotz des Protests. „Es gab im 19. Jahrhundert viele solcher Außenseiter, die außerordentliche Entdeckungen machten“, kommentiert Brachvogel.
Nach Napoleons Krieg gegen Preußen und Russland wurden im neu geschaffenen Königreich Westphalen die kirchlichen Güter enteignet. „Mit dem bischöflichen Hof war es also vorbei“, so Brachvogel, und in der Folge auch mit der Hofapotheke. Die historischen Veränderungen brachten für die Offizin eine Umbenennung in „Adler-Apotheke“ mit sich. Der Name griff den Vogel in der Flagge und im Wappen Preußens auf.
Brachvogels Großvater kaufte die Apotheke 1903. Zusammen mit der Adler-Apotheke gab es damals insgesamt drei Apotheken in Paderborn. Die zwei schon etablierten Apotheker wollten nicht allzu viel Konkurrenz in ihrer Nähe, also musste Brachvogels Großvater 1905 mit seiner Offizin in die Neustadt außerhalb der Stadtmauern ziehen.
1942 übernahm Brachvogels Vater die Leitung, 1977 Brachvogel selbst. „Nach mehr als 100 Jahren ist die Lage hier nicht mehr eine, wo das pulsierende Leben ist“, sagt er. Das Viertel sterbe langsam aus, viele Einzelhändler und Handwerker hätten bereits zugemacht.
Doch Brachvogel hat noch andere Gründe: Er habe keine Lust mehr auf neue Investitionen wie eine elektrische Eingangstür oder eine Klimaanlage gehabt, die er sonst dieses Jahr hätte tätigen müssen.
Trotzdem tue ihm und seinen drei Mitarbeitern das Ende der Traditionsapotheke leid – und seinen Kunden auch. Viele hätten am letzten Betriebstag noch ein paar Blümchen vorbeigebracht und mit Tränen in den Augen Abschied genommen.
Brachvogel sieht die Interessen kleiner Apotheken in der Berufsvertretung unterrepräsentiert. Zwar hätten Apotheker Einfluss auf die Gestaltung der Gesetzgebung – doch diejenigen, die Zeit für Berufspolitik hätten, seien meist die Inhaber größerer Geschäfte. Wachsen oder sterben, das sei die Devise für Apotheken. Für seine Offizin ist es leider Letzteres.
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