Warum Tresorklau kein Diebstahl ist Patrick Hollstein, 15.07.2017 08:49 Uhr
Großhändler und Gauner: Vor dem Bundesgerichtshof (BGH) geht es nicht immer um Skonto oder ähnliche Grundsatzfragen. Manchmal klagen sich Kriminelle bis nach Karlsruhe, um Straferleichterung zu bekommen. Ein Argument, das erstaunlich oft zieht: Wir hatten es ja auf etwas ganz Anderes abgesehen. „Fehlende Zueignungsabsicht“ lautet das Zauberwort.
Zuletzt hatte der BGH über den Fall eines Kriminellen zu entscheiden, der vom Landgericht (LG) Bochum wegen schweren Bandendiebstahls in zehn Fällen und wegen versuchten schweren Bandendiebstahls in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt hatte.
Einer der Beutezüge ging in eine Apotheke. Am 2. Oktober 2014 zwischen kurz nach Mitternacht und zwei Uhr morgens war die neunköpfige Einbrecherbande aus Georgien in eine Offizin eingestiegen. Auf der Suche nach Bargeld nahm die Bande den Tresor mit – um festzustellen, dass sich darin nur Medikamente befanden.
Das war zwar unbefriedigend, vor Gericht aber hilfreich. Hatte das LG für den Fall noch eine Einzelstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt, erließen die Richter in Karlsruhe dem Deliquenten ein Jahr. Schließlich hatten er und seine Komplizen es nicht auf Medikamente, sondern auf Bargeld abgesehen.
Laut BGH ist die „subjektive Tatseite eines vollendeten Vergehens des Diebstahls des Tresors“ damit nicht belegt. In der Begründung liest sich das so: „Will sich der Täter, wie hier festgestellt, nicht das Behältnis, sondern in der Hoffnung auf möglichst große Beute allein dessen vermuteten Inhalt aneignen, fehlt es hinsichtlich des Behältnisses am Zueignungswillen zum Zeitpunkt der Wegnahme. Da der Angeklagte und seine Mittäter auch hinsichtlich der Medikamente keine Zueignungsabsicht hatten, liegt insoweit lediglich ein – aus Sicht des Täters fehlgeschlagener – Versuch des Diebstahls vor.“
Ähnliche Fälle muss der BGH permanent entscheiden: Einbrecher, die im Tresor der Arztpraxis nur Patientenakten finden und im Geldschrank des Autohauses nur Autoschlüssel. Oder Diebe, die einer Mutter aus dem Kinderwagen das Portemonnaie entwenden, in dem kein Geld zu finden war.
Genutzt hat dem Ganoven aus dem Apothekenfall sein juristischer Winkelzug nichts: „Im Hinblick auf die Summe der vom Landgericht in insgesamt 13 Fällen verhängten Einzelstrafen schließt der Senat einen Einfluss der Herabsetzung einer Einzelstrafe um ein Jahr auf den Ausspruch über die Gesamtstrafe aus.“
Auch die Kosten muss er selbst tragen. Zumindest theoretisch, denn wie seine Komplizen hatte der Georgier, der den Ermittlern unter drei Decknamen bekannt war, Asylantrag gestellt.
Der 24-jährige Chef der Einbrecherbande hatte es cleverer angestellt, er war bei einem Verhandlungstermin aus dem Gerichtssaal geflohen und in Abwesenheit zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Zwei Wachtmeister hatten kurz nicht aufgepasst.
Bei Beutezügen in ganz Deutschland hatte die Bande einen Beute- und Sachschaden von mehr als 100.000 Euro angerichtet. Der Prozess mit je zwei Pflichtverteidigern und einem Übersetzer zog sich über 13 Monate hin und war deutlich teurer.