Apotheke ohne Kittel und Baldriangeruch Silvia Meixner, 28.07.2018 09:19 Uhr
Kaum zu glauben: Ein Vierteljahrhundert ist vorüber! Seit 25 Jahren steht Silvia Tüllmann in ihrer Stadt-Apotheke im bayerischen Freising. Dabei hatte sie das gar nicht geplant. Aber manchmal übernimmt das Leben die Regie. Und auch die Eltern hatten einen guten Ratschlag.
Der lautete: Studier mal besser nicht Kunstgeschichte. „Sie machten mir klar, dass es eine brotlose Kunst sein kann“, erzählt Tüllmann. Sie machte etwas, das junge Menschen gemeinhin nicht so gern tun. Sie hörte auf ihre Eltern. Und studierte Pharmazie. „Damals durfte man als Vorexaminierte drei Tage die Woche den Apotheker vertreten und Nacht- und Notdienst machen.“ Das machte die angehenden Pharmazeuten sehr beliebt. „Ich habe während des gesamten Studiums gearbeitet, wollte aber nie eine eigene Apotheke haben. Der Gedanke kam mir überhaupt nicht in den Sinn.“
Dann kam alles anders. „Eine Kollegin machte mich darauf aufmerksam, dass die Besitzerin eine Vertretung für vier Wochen suchte.“ Und so erfuhr Tüllmann, dass die Stadt-Apotheke zum Verkauf stand. „Mein Mann ist Zahnarzt, wir hatten zwei kleine Kinder und es war klar, dass er dann mehr für die Kinder da sein müsste als ich.“ Der Familienrat tagte, die Entscheidung fiel zugunsten der Apotheke. „Ich hatte ein paar schlaflose Nächte“, erinnert sich die 67-Jährige.
Dass ihre beiden Söhne nicht studieren wollten, betrachtet sie als Glücksfall. „Beide haben einen Handwerksberuf ergriffen, das macht mich überglücklich. Einer wurde Büchsenmacher, der andere ist Maschinenbaumechaniker und macht gerade seinen Meister.“ Das erspart ihnen den Bürokratie-Wahnsinn des Apothekerberufes, die Notdienste und den Druck der Selbstständigkeit. Die Mutter hingegen möchte trotz all der Widrigkeiten ihren Beruf so lange wie möglich ausüben. An Rente denkt sie nicht. Die Selbstständigkeit hat sie niemals bereut, würde sie heute allerdings niemandem empfehlen. „Man braucht als Apotheke eine gewisse Größe, um überleben zu können. Die Kompetenzen der Apotheker wurden uns durch viele Vorschriften weggenommen, sie erdrücken uns.“
Sie erinnert sich gern an ihren ersten Chef: „Er war Pharmazierat und bei ihm habe ich den Beruf lieben gelernt. Das ist bis heute so geblieben, ich mag die Vielseitigkeit und was man in der Offizin alles bewerkstelligen kann. Es ist schön, den Menschen helfen zu können.“
Erklären und beraten gehört für sie zu den wichtigsten Eigenschaften, die eine Apothekerin haben sollte. „Ich möchte, dass jemand, der aus meiner Apotheke geht, alles verstanden hat und nicht länger ratlos ist“, sagt sie. „Es ist mir wichtig, auf die Menschen einzugehen, mein Team und ich nehmen uns dafür gerne Zeit. Vom Landwirt bis zum Professor – jedem erklären wir alles so, dass er es versteht.“
Häufig rät sie Kunden, doch endlich zum Arzt zu gehen. „Einer klagte, dass er beim Augenarzt stundenlang warten müsste. Da habe ich ihm gesagt, dass er nur zwei Augen hat.“ Und schon vereinbarte er einen Termin beim Facharzt. „Ich habe zweimal einen Blumenstrauß von Kunden bekommen, die sich bedankt haben für den Ratschlag, zum Arzt zu gehen“, erzählt sie aus einem Vierteljahrhundert Berufserfahrung. „Und kürzlich rief sogar ein Arzt an, der sich bedankt hat, dass ich einen Patienten zu ihm geschickt hatte.“ Das sind die Sternstunden der Offizin, jene Momente, in denen man seinen Beruf noch ein bisschen mehr liebt.
Die Konkurrenzsituation in Freising ist erträglich, derzeit gibt es 13 Apotheken. Aber die Apothekerin quält wie viele Mitbürger ein Problem: „Über Jahre hinweg haben wir in der Innenstadt viele Baustellen. Alte Hausleitungen wurden und werden erneuert, Fernwärme wird installiert.“ Für Geschäftsbetreiber bedeutet das Warnstufe 1. „Die Außendienstmitarbeiter verzweifeln langsam und insgesamt kommen weniger Menschen in die Stadt.“ Das bedeutet auch weniger Umsatz. Die Apothekerin freut sich deshalb besonders über die Treue ihrer Stammkunden: „Auf die ist Verlass. Und unsere Botenlieferungen haben zugenommen.“ Ihre Apotheke bezeichnet sie als „Wohlfühlapotheke.“ Sie erklärt: „Ich möchte keine hochgeschlossenen weißen Kittel tragen, nur im Labor oder in der Rezeptur. Und ich wollte nie eine Offizin, in der es nach Baldrian stinkt und die Mundwinkel der Mitarbeiter nach unten zeigen. Unsere Kunden sind fast alle krank, ich möchte, dass sie etwas Positives mitnehmen. Und die beste Apotheke ist die, in der ich mich wohlfühle.“
Sie bietet eine große Auswahl an Gewürzen an. „Gewürze gehören seit Urzeiten zur Apotheke, wir bieten sie in Apothekenqualität an. Das bedeutet für mich, dass sie nicht Bioqualität haben müssen, aber ich muss das Herkunftsland kennen und wissen, welche Firma dahinter steckt. Ich gehe deshalb viel auf Messen.“ Im Angebot sind unter anderem auch Rosenzucker und Rosenhonig.
Obwohl Tüllmann im Rentenalter ist, denkt sie noch lange nicht an Ruhestand. „Ich mache weiter, so lange es mir Freude macht und ich gesund bin.“ Eines ihrer Hobbies ist Wurfscheibenschießen. „Da ist man viel an der frischen Luft, das ist gesund.“ Sie ist in ihrem Verein 1. Schützenmeisterin. Und nebenbei noch Gemeinderätin. „Das ist apothekertypisch, man hat immer noch ein paar Jobs nebenbei“, erklärt sie. Anstrengend findet sie das nicht. Eher inspirierend. „Man bekommt den Kopf leer und ist völlig weg von Apothekenfragen.“