Mr. Go und T-Re(ta)x Patrick Hollstein, 24.05.2014 10:36 Uhr
Bald ist Fußball-WM. Das heißt für viele Fans: Public Viewing. Gemeinsam das Spiel sehen, gemeinsam feiern. So geplant hatte man bei Gehe/Celesio auch für den 19. Mai 2009: Der Stuttgarter Pharmahändler hatte seine besten Freunde aus der Industrie eingeladen, um in trauter Eintracht der EuGH-Entscheidung zum Fremd- und Mehrbesitzverbot entgegenzufiebern. Ein Reporter berichtete live aus Luxemburg, doch am Ende gab es lange Gesichter. Fünf Jahre später redet keiner mehr davon – und wenn, dann künftig nur noch in Englisch. Just another week of pharmaceutical madness.
In Stuttgart gilt ab Juli eine neue Amtssprache. Denn im Celesio-Chefsessel nimmt mit Marc Owen ein Vertreter des US-Mutterkonzerns McKesson Platz. Der ehemalige McKinsey-Mann kommt aus England und sollte zumindest wissen, dass Europa aus mehreren Ländern mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen besteht. Und dass man Gehe nicht einfach mit Go übersetzen kann. Ob er deswegen versteht, was Främdbiseetz bedeutet?
Ein weiteres Wort, das die Amerikaner vermutlich erst noch lernen müssen, ist Retax. Genauer genommen: T-Retax. Die deutschen Apotheker werden Owen und seinem Team schnell erklären, dass es sich dabei nicht um eine Dinosaurierart handelt, sondern um eine alte/neue Gemeinheit der Krankenkassen: Die DAK lässt eine Apothekerin aus Baden-Württemberg auf 12.000 Euro sitzen, weil das Kreuz auf zwei T-Rezepten fehlte.
Und während die Kasse noch beteuert, nur die Sicherheit im Blick zu haben, meldet sich aus Sachsen der nächste Apotheker, dem es genauso ergangen ist. Bleibt zu hoffen, dass das Fass jetzt endgültig überläuft und am besten die AOK Hessen gleich mit klatschnass macht, die ihre Zyto-Retax durchzieht.
Vielleicht müssen die Kassen aber auch dringend sparen. Nicht nur, dass Ärzte nicht in Regress genommen werden können, wenn sie mit der Rekonstitution von Antikörpern Apotheken beauftragen statt sich selbst zu bemühen. Jetzt will ihnen die Politik auch noch die Impfstoffausschreibungen halb verbieten.
Was passiert, wenn mindestens zwei von zwei Anbietern mit Zuschlägen bedacht werden müssen, sieht man doch in Baden-Württemberg: Da verweigert sich das Pharmaduett dem Kassenkartell. Geradezu vernünftig klingt da die Forderung des BAH, die Kassen zu einer Mindestabnahme zu verpflichten.
Gefahr droht laut GKV-Spitzenverband auch durch das geplante Freihandelsabkommen TTIP: Streitigkeiten um Sparmaßnahmen könnten vor „Schiedsgerichten außerhalb des normalen Justizsystems“ landen – wer will das schon? Und bitte keine Liberalisierung durch die Hintertür. Jedenfalls nicht in der Pharmawerbung.
Derweil droht den Kassen neuer medialer Ärger: Weil Daiichi Sankyo und Berlin Chemie den im Hauruckverfahren festgelegten neuen Festbetrag für Olmesartan nicht akzeptieren, müssen Patienten demnächst bis zu 86 Euro auf- und zuzahlen. Aber vermutlich wird die GKV-Pressestelle den Herstellern ans Bein pinkeln, bevor die es umgekehrt tun.
Apropos Pressestelle: Der Beinahe-ABDA-Pressesprecher Sven Winkler streitet in München mit einer Apothekerin vor Gericht, weil die Behauptungen über ihn in die Welt gesetzt hatte, die bei der ABDA für Panik sorgten (Stichwort: Dienstreisen-Kodex-Compliance) und ihn so noch vor Dienstantritt seinen Job kosteten.
Sein Nachfolger Reiner Kern hat es im wahrsten Sinne des Wortes ruhiger angehen lassen und die Dinge erst einmal sechs Wochen lang auf sich einwirken lassen. Jetzt hat er seinen Chef das erste Mal in den medialen Ring geschickt: Dass SPD-Gesundheitspolitikerin Martina Stamm-Fibich beim Versandapothekenkongress Versandapotheken lobte, verstand man in der Jägerstraße überhaupt nicht.
ABDA-Präsident Friedemann Schmidt attestierte ein „ganz erhebliches Missverständnis darüber, welche Aufgabe eine Apotheke für den Patienten übernehmen soll“. Wie scharfzüngig, nach all dem esoterischen Geblubber des ersten Amtstrimesters.
Ansonsten stand die Woche im Zeichen von Arzneimittelfälschungen: In Stuttgart ging der Omeprazol-Prozess zu Ende, vier Jahre muss der Hauptbeschuldigte hinter Gittern. Jede 25. Packung der betroffenen Hersteller könnte zwischen Mai 2008 und Februar 2013 gefälscht gewesen sein. Wo das Geld geblieben ist, verrät Jürgen Andreas J. – auch unter den Namen Müller und Scholz bekannt – natürlich nicht. So druckt man bei Ratiopharm schon einmal die Einladungskarten für die große Weinparty.
Und während Interpol noch den Erfolg von Pangea VII feierte, tauchte mit Norditropin schon die nächste Fälschung auf. Vielleicht wäre der Markt ja insgesamt überschaubarer, wenn es weniger Produkte gäbe. Die EMA hat sich nach MCP jetzt Ambroxol vorgeknöpft, doch bei Boehringer Ingelheim hält man es für ausgeschlossen, dass Mucosolvan aus der Sichtwahl verschwinden muss.
Den Platz wird man für die Pille danach jedenfalls so schnell nicht brauchen: Der Bundesrat hat seine Forderung nach einem OTC-Switch in der politischen Diskussion erst einmal hintenan gestellt. Jedenfalls kann die EU-Richtlinie zur Anerkennung ausländischer Rezepte jetzt auch ohne PiDaNa-Klausel in deutsches Recht umgesetzt werden. Stattdessen mauert die Länderkammer bei der Durchführungsrichtlinie, ohne die EU-Rezepte eben doch nicht anerkannt werden können. So geht Politik.
Und im Markt? AstraZeneca will einfach nicht zu Pfizer, Lauer-Fischer hat dank Expopharm wieder volle Bücher und AEP hat 1000 Kunden. Das RWI kritisiert, dass in den Kontrollgremien deutscher Genossenschaftsbanken zu wenig finanzwirtschaftlicher Sachverstand sitzt, der mit Vorständen auf Augenhöhe kommunizieren könnte.
Wie zur Bestätigung lassen die Kontrollapotheker und –ärzte der Apobank den Vorstand ziehen, der ihr Haus irgendwie, aber eben nicht erstinstanzlich justiziabel in Brand gesetzt hat. Obendrein gibt es Abfindungen und Pensionen. So wiederum geht Wirtschaft.
Dazu passt zu guter Letzt eine Anekdote, die uns zurück zu Celesio führt. Den Stuhl warm gehalten für Marc Owen hat nach dem Rauswurf von Markus Pinger nämlich ein Jahr lang Dr. Marion Helmes. Als Finanzchefin war sie die richtige Frau zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Schließlich ging es zuletzt weniger um ordentlich gepackte Wannen als um sauber gepflegte Excel-Tabellen.
Jetzt kann sie gehen, und weil – zumindest im zweiten Anlauf – alles klappte mit dem Verkauf, gibt’s wohl mal wieder einen dicken Scheck zum Abschied: Noch im Herbst war Helmes‘ Vertrag um fünf Jahre verlängert worden. Ob sie ab Juli parallel auch noch ein Beraterhonorar kassiert? Fest steht: Bei Celesio haben es scheidende Vorstände warm und gemütlich. Schade, dass die Yankees jetzt diese guten Plätze selbst blockieren.