Der Retaxwahnsinn hat eine neue Dimension erreicht: Mittlerweile reicht es nicht mehr aus, das Rezept stundenlang auf fehlende i-Punkte hin zu untersuchen. Heute werden selbst vollkommen korrekt belieferte Verordnungen retaxiert, weil sich alle anderen auf Kosten der Apotheker aus der Verantwortung ziehen. Allein gegen alle bleibt ihnen nur noch eine Hoffnung: Retax Roy.
Apotheker Michael Mantell ist in einer ausweglosen Situation: Er will seine Patienten versorgen, gern auch mit dem richtigen Rabattarzneimittel, doch der Vertragspartner kann nicht liefern. Dafür gibt es zwar eine Sonder-PZN, aber die allein reicht heute keiner Kasse mehr aus. Nein, der Hersteller muss zugeben, dass er einen Engpass hat. Weil diesem aber Vertragsstrafen drohen, wird die vermeintlich vorhandene Ware zusammen mit der Verantwortung gern an den Großhandel weitergeschoben.
Der Großhandel hat oft selbst zu wenig Ware und kontingentiert diese je nach Apotheke. Engpässe werden zwar bestätigt, aber nicht immer formal korrekt – was wiederum zu einer Retaxation führt. Wie sollen Apotheker einer retaxwütigen Kasse noch beweisen, dass etwas nicht da ist? Das ist fast vergleichbar mit einem Gottesbeweis – am Ende eine Frage des Glaubens.
Seinen Glauben an Hilfe aus der Politik hat sich Apotheker Wolfram Schmidt bewahrt. Er hat – wie viele Kollegen vor ihm – seinen Bundestagsabgeordneten angeschrieben und zu einer Formfehler-Vorführung in seine Apotheke eingeladen. Denn im Notdienst dürfte er fast jedes zweite Rezept nicht beliefern, ohne sich dem Risiko einer gemeinnützigen Nachtschicht auszusetzen. Er erbat Hilfe – und er bekam Antwort: Dr. Roy Kühne (CDU) will sich um die Sache kümmern. Auch dieses Versprechen haben schon viele Kollegen vor Schmidt gehört. Aber diesmal ist es Retax Roy.
Kühne ist nicht nur Mitglied im Gesundheitsausschuss, sondern in der Unionsfraktion auch noch Berichterstatter für Heilmittel. Und ein Heilmittel suchen die Apotheker doch schon so lange. Kühne hat seine Superkräfte schon einmal unter Beweis gestellt: Seine Therapeutenkollegen hat er schon von der Geißel der Retaxationen befreit, eine neue Software unterbindet ab 2017 Formfehler.
Kühne wird sich mit seinem Fraktionskollegen Michael Hennrich (CDU), Berichterstatter für Arzneimittel, besprechen und dann beim GKV-Spitzenverband anklopfen. Dort treffen sich die Kassenvertreter mit den Gesandten des Deutschen Apothekerverbands (DAV) zur Schiedsstelle. Denn die gesetzlich angeordneten bilateralen Verhandlungen zu Retaxationen waren schnell und mit Ansage gescheitert. Er will den Vertragspartnern Dampf machen. Wenn er das schafft, wird er für die Apotheker endgültig zum Superheld.
Und Helden werden gebraucht, wenn man sich die Schurken in dieser Geschichte anschaut. Professionelle Retaxfirmen, die so hohe Gewinne ausschütten, dass sie sogar Investoren aus ganz anderen Bereichen anlocken. Inter-Forum wird an die C&A-Familie verkauft, bei Syntela sind ebenfalls Kapitalgeber eingestiegen. Andere große Kassen haben ihre Retax-Roboter so eingestellt, dass sie jedes falsche Komma retaxieren. Es gibt eine Superman-Folge „The Mechanical Monsters“. Wäre auch ein Job für Retax Roy.
Nur in einem Fall kann auch Retax Roy nichts tun: Wenn die Apotheke von der eigenen Kundin retaxiert wird. Weil die Pharmazieingenieurin bei Kinderwunschpräparaten nur die gesetzliche Zuzahlung kassierte, nicht aber den Eigenanteil, bleibt die Apotheke jetzt auf 500 Euro sitzen. Denn die Kundin weigerte sich anschließend, ihre Rechnung zu bezahlen und gewann sogar den Prozess gegen die Apotheke. Den Kindern ein Vorbild.
Apotheker müssen aber nicht nur tadellos zum Thema Kinderwunsch beraten, sondern auch zum Gegenteil – der „Pille danach“. Die Frauenärzte hatten ja schon immer ihre politischen Zweifel, ob die Schubladenzieher das denn auch können. Aber jetzt zeigt sich auch die Generali skeptisch: Die Versicherung will bei Abschluss einer Haftpflichtversicherung die schriftliche Bestätigung, dass der Apotheker bei jeder Abgabe die BAK-Checkliste abarbeitet, sich unterschreiben lässt und zehn Jahre lang archiviert. Kommt auf die Pommes noch was drauf, Herr General?
Ein Superheld müsste sich bitte noch um das Anti-Korruptionsgesetz kümmern. Denn die Regierung hat in ihrem Entwurf ein bisschen dick aufgetragen: Die Apothekerkammern könnten zu Strafrechtsautoren werden und die Hersteller zu kriminellen Banden, befürchten Experten. Deshalb war es gut, dass die Union Branchenvertreter noch einmal zu sich eingeladen hat. Nota bene: Der Phagro hat sich für die Apotheker eingesetzt, um sie aus der Schusslinie zu holen – und sich damit auch.
Wie weit es mit der neuen Freundschaft her ist, zeigt sich demnächst in den Konditionengesprächen. Der Phoenix-Außendienst wurde Anfang der Woche schon auf die neuen Ziele und Spielräume eingeschworen. Bleibt für die Apotheker zu hoffen, dass der Branchenprimus wie kolportiert auf der Jagd nach Marktanteilen ist, und dass die anderen Großhändler nachziehen. Noch besser wäre natürlich eine Apotheken- und Großhandelsmarge, die beide Seiten auskömmlich arbeiten lässt. Um den Endgegner Gabriel zu besiegen, bräuchte es auf jeden Fall einen Superhelden. Jetzt, da das Kryptonit-verseuchte Mendelssohn-Palais geräumt ist, besteht vielleicht neue Hoffnung für die Apotheker.
Neue Hoffnung nach düsteren Tagen hat auch eine Apothekengruppe in Osnabrück. Gleich fünf Apotheken auf einmal sind in die Insolvenz gerutscht, für eine ist zum Monatsende endgültig Schluss. Die anderen sollen jetzt in einem Selbstverwaltungsverfahren gerettet werden, wenn das Gericht mitspielt. Der Apotheker will sich wieder auf sein Kerngeschäft konzentrieren und hat auch sein Kosmetikstudio bereits verkauft.
Apotheken müssen manchmal andere Wege gehen, um ihre Ware an den Mann zu bringen: Vor einer Woche hat eine Apotheke den örtlichen Schnäppchenmarkt genutzt, um im Lager Platz zu schaffen. Positiver Nebeneffekt: Die PKA sind als Kosmetikverkäuferinnen geradezu aufgeblüht. Ansonsten lohnt sich auch ein Wunderheiler in der Nachbarschaft.
Oder man macht es wie Stefano Pessina und macht die ganze Welt zu seiner Nachbarschaft. Seine neueste Idee in den Staaten: Die Apotheker kaufen keine Arzneimittel mehr beim Hersteller, sie lagern sie nur noch und geben sie gegen Gebühr ab. Provisions- statt Phantom-Apotheken, lautet die Konzept für den Hersteller Valeant, der Ende vergangenen Jahres aus dem Pharma-Olymp abgestürzt ist. Seine Idee hat der Walgreens-Boots-Alliance-Chef beim Weltwirtschaftsforum vorgestellt. In Davos konnte er zwar keine Apotheker mehr treffen, weil die sich jetzt in Schladming fortbilden, dafür aber den FDP-Sabboteur Philipp Rösler.
Bei dem hätte Gordian Schöllhorn in die Lehre gehen sollen. Da hätte er lernen können, wie man seinen Job schnell los wird. So muss Schöllhorn noch bis Mitte September bei Pharmatechnik bleiben, weil er nicht aus seinem Vertrag entlassen wird.
Dass manchmal Weniger mehr ist, dachte man sich auch bei Stada: Die Produktpalette Mobilat wird eingedampft und auf eine Salbe reduziert. Das Beruhigungsmittel Hoggar des Herstellers ist aus seinem Dornröschenschlaf erwacht und hat zuletzt kräftig an Umsatz zugelegt. In diesem Sinne, ein beruhigtes Wochenende. Denn für den Apotheker gilt, was für Superman gilt: „Er wird nicht allein sein. Niemals in seinem Leben.“
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