ApoRetrO

Und keiner dreht sich um

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Berlin -

The Voice of Pharmacy geht wieder los. Und bei den Blind Auditions sind die Chancen für alle gleich: Egal ob Kassenarzt, Krankenhauslobbyist oder Apothekenvertreter – der Gesetzgeber ist blind und gerecht wie die Justitia. Jeder darf seine Forderungen vorsingen, ohne Ansehen der Person oder Berufsgruppe. Es wird nur ab- und zugehört. Leider haben die Apotheker einen Ausdruckstanz vorbereitet.

Und so kommt es, wie es kommen musste: Präventionsgesetz, E-Health-Gesetz, GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) und sogar die Bundes-Apothekerordnung (BApO) – keiner nimmt die Apotheker in sein Team. Also muss der Vorsänger geknickt von der großen Bühne abtreten und sich von seiner Familie trösten lassen.

Im Einzelnen: Dass die Apotheker im Präventionsgesetz außen vor sind, haben die Kassen durchgesetzt. Und die haben vermutlich auch erreicht, dass die Retax-Neuregelung mit dem GKV-VSG sofort wieder ausgelagert wurde und nun im Schiedsverfahren hängt. Beim unseligen E-Health-Gesetz gleicht die Nichtbeachtung hingegen einer Mischung aus eigenem Unvermögen und politischem Böswillen.

Jetzt ist auch noch die BApO gegen den Willen der Apotheker durchs Kabinett gedrückt worden. Die ABDA fürchtet eine Ausgrenzung pharmazeutischer Tätigkeiten und hatte vor der Umsetzung der EU-Richtlinie gewarnt. Allenfalls über kosmetische Änderungen darf man sich in der Jägerstraße freuen. Ein durchschlagender Erfolg sieht anders aus.

Vielleicht versuchen es Apotheker daher öfter mal allein. So wie Bienen-Apotheker Michael Grintz, der dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) 140.000 Euro für eine Software zur Medikationsanalyse aus dem Kreuz geleiert hat. Natürlich ist das nicht die Welt und die Frage einer späteren Honorierung der Leistung damit noch nicht geklärt – aber es ist unbestreitbar mehr als Nichts.

Apotheker Hermann Rohlfs kämpft sogar allein gegen die Hersteller Bayer und Novartis. Von denen wurde er verklagt, weil er ihre Mittel Eylea und Lucentis auseinzelt. Dass Rohlfs sein eigenes Geschäft mit Rezepturen im semi-industriellen Maßstab macht, ist den Kassen egal. Sie sehen nur die Einsparungen und sind begeistert. Die AOK Baden-Württemberg hat sogar einen Vertrag geschlossen.

Doch die Hersteller haben eine eigene, auch irgendwie nachvollziehbare Sicht auf die Dinge: Ein aufgeteiltes Arzneimittel ist verändert, für dessen Haltbarkeit kann oder will kein Unternehmen mehr die Haftung übernehmen. Jetzt wurde ausführlich vor dem Landgericht Hamburg darüber gestritten, ob es in diesem Bereich ein Rezepturprivileg für Apotheker gibt, welche EU-Vorgabe sticht und welche Ausnahmen für Antikörper gelten. Rohlfs droht: Dann klage ich gegen die Kassen und die verpflichtende Verwertung von Restmengen. Das verursache dann eben Milliardenkosten.

Und dagegen sind die Kassen bekanntermaßen allergisch. Wirtschaftlichkeit ist das oberste Gebot, das Grundgesetz, das Dogma. Und dies zu bewahren und durchzusetzen steht den Kassen das Bundessozialgericht (BSG) zur Seite. Die Kasseler Richter finden nicht nur sinnlose Retaxationen sinnvoll, sondern auch gesetzlich nicht näher begründbare Regresse gegen Ärzte.

Eine Allgemeinmedizinerin hätte aus Sicht der Kasse und des BSG die Gerinnungsfaktoren für ihre Hämophilie-Patienten direkt beim Hersteller beziehen müssen, weil, na weil das eben möglich ist. Und weil Mitarbeiter der Kasse auf die Möglichkeit hingewiesen hatten. Eine Verpflichtung steht zwar nicht im Gesetz, wohl aber das Wirtschaftlichkeitsgebot. Der „Aufschlag“ der Apotheke war daher – wie diese selbst – zu umgehen. Weil die Ärztin das nicht einsehen wollte, hat sie jetzt einen Regress von 16.000 Euro höchstrichterlich am Hals.

Zumindest die Apotheke konnte in diesem Fall somit nicht retaxiert werden. Die wäre nur ins Retax-Messer gelaufen, wenn sie das Rezept ohne Unterschrift der Ärztin beliefert hätte. Denn da lassen die Kassen – hier die DAK – nie mit sich reden. Selbst wenn Arzt und Patient die Verordnung und Versorgung schriftlich beteuern, hat es das Rezept aus Retax-Perspektive nie gegeben. Und Protaxplus, jene Rezeptprüffirma mit dem größten Fanclub, gönnt sich derweil selbst datenschutzrechtlich bedenkliche Formfehler und verschickt retaxierte Rezeptimages an die falsche Apotheke.

Zum Glück wird bald alles überwacht, das erleichtert die Aufarbeitung. Der Bundestag hat die Vorratsdatenspeicherung durchgewinkt, das Bundesverfassungsgericht wird wiederum auf Null retaxieren. Die Apotheker haben sich in einer Allianz der Freien Berufe und einer argumentativ starken Resolution dafür eingesetzt, dass Berufsgeheimnisträger ausgenommen werden müssen. Leider hat die Abstimmung bis zum Vortag der Abstimmung im Bundestag gedauert.

Bleibt den Apothekern nur die Flucht nach vorn, rein in die digitale Welt. Rowa zeigt den Weg. Der Kommissionierautomatenhersteller aus der Eifel mit den amerikanischen Verwandten hat Vpoints für die Offizin entwickelt und Vshelf für den Supermarkt. Wie super.Oder doch Bedenken?

Der Übergang von Vivesco zu Alphega war ziemlich unwürdig und nicht alle Mitglieder haben den Wechsel mitgemacht. Zwar rechnet sich Alliance die Mitgliederzahl schön, weil offenbar jeder grüne Aufkleber im Schaufenster als Vollmitglied gezählt wird, aber die alten Seilschaften sind manchmal sichtbar geblieben: Apotheker Karsten Hitzemann hat einfach das verwaiste Vivesco-Logo gekapert.

Aus einer Kooperation aussteigen können die Apotheker auch in fast jeder (Apo)Bank-Filiale. Dann nämlich, wenn sie vor Jahr und Tag einen Immobilienkredit aufgenommen haben und die Bank sie dummerweise nicht richtig über ihr Widerrufsrecht informiert hatte. Gerade bei Vorfälligkeitsentschädigung ist das ein spannendes Thema.

Und zum Schluss: Es gibt doch noch ein Gesetz, in das die Apotheker auf jeden Fall aufgenommen werden: das Anti-Korruptionsgesetz. Nach den Großhändlern haben jetzt offenbar die OTC-Hersteller das Feld für sich entdeckt und machen in den Jahresgesprächen saure Miene. Noch lässt sich nur eines sagen: muss noch geklärt werden. Nur die Kassen wissen schon, was zu tun ist: Im Zweifel Strafantrag stellen. Aus Wirtschaftlichkeitsgründen. Also, ab in die Wirtschaft, schönes Wochenende!

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