So ein Umzug hat ja auch immer etwas Kathartisches. Eine ganz wundervolle Gelegenheit, sich von Überflüssigem zu trennen, verblichene Andenken zurückzulassen und zu entsorgen, was schon lange nicht mehr benötigt wird. Die ABDA hat es noch besser: Sie kann in den kommenden Jahren gleich zweimal umziehen und dann entschlackt und voller Tatendrang in der neuen Heimat durchstarten. Perspektivbau 2020.
Beim Deutschen Apothekertag (DAT) gibt es in jedem Jahr Anträge, bei denen die einstimmige Annahme feststeht, bevor der Antrag verlesen ist. Die Forderung nach mehr Honorar, ein Appell an die Politik wegen der Lieferengpässe – es gibt Fragen, in denen ist sich der Berufsstand immer einig. Immobilienfragen zählen für gewöhnlich nicht dazu.
Anders diesmal: Drei Häuser, Zwei Umzüge, eine Gegenstimme. Mehr als 99 Prozent der Mitgliederversammlung votierten für den Neubau in der Europacity inklusive Zwischenstopp im Lindencorso. Selbst wenn man die paar Enthaltungen nicht herausrechnet, ist das eine überwältigende Mehrheit – und ein durchschlagender Erfolg für Friedemann Schmidt und die ABDA-Spitze. Das Fehlen jeglicher Opposition und Gegenstimme lassen indes jeden nachdenklich zurück, der sich schon einmal eine Mehrheit beschaffen musste, oder der mal in Nordkorea war.
Es gibt verschiedene Erklärungsversuche für die 99,x Prozent: Der Vorschlag könnte tatsächlich bestechend gut gewesen sein, die jedem einleuchtende Entscheidung nach monatelanger Suche. Andere Möglichkeit: Die Wahlberechtigten waren sich nicht wirklich sicher, worüber sie abstimmen. Die Pläne waren zwar weitestgehend bekannt. Aber wer nicht alle Konsequenzen vorhersieht, vertraut auf die Empfehlung der Vorangehenden. Die Abstimmungen im Bundestag zu Hilfspaketen für Griechenland oder Auslandseinsätzen der Bundeswehr haben zuweilen diesen Charakter. Oder aber, dritte Option, die Apotheker wollten das Thema endlich vom Tisch haben. „Es muss ja etwas passieren“, sagt einer, der dafür gestimmt hat. Und dann ein anderer: „Alternativlos.“
Mehr als 40 Millionen Euro werden die Apotheker ausgegeben haben, wenn die ABDA 2020 ihr neues Haus besitzt und rund 110 Mitarbeiter einen funktionalen Arbeitsplatz haben. Das Tafelsilber der wirtschaftenden Töchter wird dann zum Gutteil versetzt sein, aber Schmidt trennt geradezu verbissen zwischen Haushaltskasse und Sparstrumpf der Apotheker. Wie auch immer: Viel Erfolg beim Umzug und ein glückliches Händchen beim Aussortieren.
Von der künftig noch erfolgreicheren Lobbyarbeit der ABDA werden aber nicht mehr alle Apotheken profitieren. Bei anhaltender Schließungstendenz wird die Anzahl der Apotheken bis 2020 unter die 20.000er-Marke gefallen sein.
Schon einen Tag vor dem folgenschweren Baubeschluss sperrte Christoph Leddin seine Apotheke zu, genauer gesagt, die Apotheke seiner Familie: 281 Jahre war die Rats- und Einhorn-Apotheke im Besitz der Leddins. Mit der Vermietung der Räume würde er mehr Geld verdienen, ohne Arbeit und den ganzen Ärger, so die einfache Rechnung. Und dabei ist die Immobilie nicht einmal in der Europacity, sondern in Buxtehude.
Kollege Andreas Hollasch in Senden-Bösensell wollte nicht schließen – musste aber vorübergehend. Wegen Zahlungsrückstand hatte Gehe die Ware abgeholt. Doch in dieser Woche gelang die Rettung und die St. Johannes Apotheke konnte wieder öffnen. Gehe, AEP und die Hausbank haben mitgespielt. Eine Geschichte mit gutem Ausgang, eine warnende dennoch. Die Einschläge kommen näher.
Prophylaktisch will der Großhändler Noweda für die Apotheken aktiv werden und sie im Retaxkampf unterstützten. Zusammen mit Hans Dampf Kaapke wird eine Umfrage unter Apothekern durchgeführt, wie viel und wie oft und wie schlimm die Kassen retaxieren und wer der Retaxkönig ist. Daraus soll ein Retaxationspapier 2015 erwachsen, mit dem die Apotheker lobbyieren gehen können.
Die gleiche Noweda legt allerdings im Osten der Republik den Mindestlohn ihrer Mitarbeiter auf ihre Kunden um. 1,43 Euro pro Tour wird zusätzlich eingestrichen. Aber die Noweda ist damit natürlich nicht alleine. Was solche Gebühren betrifft, zeigt sich der Großhandel meist sehr solidarisch.
Und sogar die Kassen haben das Miteinander nicht verlernt: Wegen der fehlenden Arztnummer auf dem Rezept wollen die Ersatzkassen zunächst nicht aktiv werden. Eine Friedenspflicht mit dem Deutschen Apothekerverband (DAV) wurde vereinbart. Frieden, ein unvertrautes Wort in diesen Gefilden.
Immer wieder Streit gab es auch zwischen DocMorris und der Apothekerkammer Nordrhein. Dass die Versandapotheke rechtskräftig verhängte Ordnungsgelder prellt, darum muss sich die Staatskasse selbst kümmern. Aber auf den eigenen Gerichtskosten wollte die Kammer nicht auch noch sitzen bleiben. Der geklebte Kuckuck auf der DocMorris-Homepage zeigte denn auch schnell Wirkung und die Versender überwiesen knapp 20.000 Euro. Die Domain wurde mittlerweile umgezogen, die DocMorris-Zentrale übrigens auch.
Auch beim Personal tut sich einiges: Die Gesundheitsminister der Bundesländer wollen mehr Rechte für PTA und junge Mütter und Väter in der Belegschaft können ihre Elternzeit künftig flexibler gestalten. Das verlangt auch den Inhabern mehr Planungsgeschick ab, schafft aber auch neue Freiheiten.
Und überhaupt, man muss auch mal das Positive sehen: Vielleicht gibt es im neuen Jahr doch mehr Geld: 2016 will die Koalition laut CDU-Mann Michael Hennrich Arzneimittelthemen anfassen. Mit dabei: Apothekenhonorar – in welcher Form auch immer. Auch beim E-Health-Gesetz hat die ABDA noch Hoffnung.
Bei einem müssen die Apotheker dafür nicht mehr anklopfen: Jens Spahn hat der Gesundheitspolitik den Rücken gekehrt und ist jetzt Staatssekretär bei Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Spahn darf also auch seine Kisten packen, und er wird sich darüber freuen.
Mehrere Regalmeter Akten mit der Aufschrift „Verhandlungen Kassenabschlag“ müssen die Apotheker zum Beispiel nicht mit umziehen. Das Tauziehen mit dem GKV-Spitzennverband hat ein Ende, der Gesetzgeber schreibt den Zwangsrabatt wunschgemäß bei 1,77 Euro fest. Die Apotheker wollen sich an anderer Stelle finanziell verbessern und im Herbst einen Honoraroffensive starten.
Wogegen auch ein besseres Rezepturhonorar und ein umfassendes Medikationsmanagement nicht hilft: Wenn irgendein Besoffener die Offizin mit dem Parkplatz verwechselt und mit seinem Auto in die Apotheke rauscht.
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