20 Prozent auf alles – außer Tiernahrung: Der alte Praktiker-Claim könnte bald eine zweite Chance erhalten. Wenn Apotheker ihr Rx-Sortiment verramschen müssen, um mit den Billigversendern hinter der Grenze mitzuhalten. Wenn es nach Maciej Szpunar geht. Wenn der Europäische Gerichtshof (EuGH) den Ausführungen des Generalanwalts folgt. Wenn es ganz blöd läuft.
Die ganze Geschichte erinnert fatal an das EuGH-Verfahren zum Fremdbesitzverbot. Damals waren sich viele sicher, dass der EuGH die deutsche Regelung kippen würde. Dann erteilte der französische Generalanwalt den Ketten-Plänen eine Absage. Nach Veröffentlichung seiner Schlussanträge hieß es von den Kritikern plötzlich, seine Frau sei Apothekerin und er daher befangen, der EuGH werde sich in diesem Fall also nicht an das Votum des Generalanwalts halten. Tat er doch, und DocMorris brach in Tränen aus.
Und diesmal? Gerade wegen der 2009er-Entscheidung des EuGH waren die Apotheker ganz zuversichtlich nach Luxemburg gegangen. Und jetzt dies: Der Generalanwalt empfiehlt in seinen Schlussanträgen, die Preisbindung für EU-Versender zu kippen. Plötzlich heißt es, als Pole sei er vom liberalen System seiner Heimat beeinflusst, auch eine große Nähe zur EU-Kommission wird ihm nachgesagt. Der EuGH werde also bestimmt nicht seiner Einschätzung folgen, sprechen die Experten den Apothekern Mut zu. Auch ABDA-Chef Friedemann Schmidt hofft auf die Luxemburger Richter.
Und wenn nicht? Dann wird es ungemütlich. Dann legt DocMorris richtig los. Die Europa Apotheek Venlo (EAV) hat auch schon ein Chroniker-Versorgungs-Programm und weitere stehen mit Sicherheit in den Startblöcken. Welche Auswirkungen ein Wegfall der Preisbindung in letzter Instanz auf den Apothekenmarkt haben könnte, ist kaum absehbar. Was aus Praktiker geworden ist, ist hinlänglich bekannt.
Ein Umbruch – wenn auch anderer Art – könnte auch der Stada drohen. Der Generikakonzern wird vom Finanzinvestor Active Ownership Capital (AOC) aufgescheucht, der Thronsaal wird belagert. Das System Retzlaff wird plötzlich hinterfragt. Und dabei ist es wie beim EuGH: Manchmal reicht es schon aus, dass eine Frage gestellt wird. Die Absichten hinter den Fragen sind so eindeutig wie undurchsichtig, aber gestellt sind die Fragen.
Über die gemeinsame Zukunft verhandeln auch noch Sanofi und Boehringer. Die OTC-Cracks aus Ingelheim sollen nach der Übernahme möglichst wenig gestört werden, kündigte Vincent Warnery an, der bei Sanofi das CHC-Geschäft leitet. Never change a running system. Er sagte das bezeichnenderweise in Athen, beim OTC-Gipfel.
Kurz vor handfest ist der Streit zwischen Herrn Becker und Herrn Kohl, will sagen, zwischen dem Deutschen Apothekerverband (DAV) und dem Verband der Arzneimittelimporteure Deutschlands (VAD). Dem geht gehörig auf den Wecker, dass sich DAV-Chef Fritz Becker ausgerechnet mit Christopher-Exklusivvertrag-Hermann von der AOK Baden-Württemberg zusammentut, um wieder und wieder wider die Importquote zu stänkern. Die feine Klinge hoher Diplomatie wurde beiseite gelegt, jetzt kreist die Axt im Haus.
Heile Welt dagegen bei der Sanacorp. Die feierte das zehnjährige Bestehen ihrer Niederlassung in Chemnitz – und insgesamt 26 Jahre Präsenz vor Ort. Glückwunsch! Und die Genossenschaft ließ sich nicht lumpen: historische Busse für den Transport, Big Band, Hüpfburg, Bratwurst und Bier.
Nette Gesten und Symbole der Freundschaft wollen allerdings gut platziert sein. Ein aufmunterndes Witzchen auf dem Retaxbescheid zeugt von schlechtem Taktgefühl. Retax „off säggs'sch“ kommt vermutlich nicht einmal bei den Hüpfburg-euphorisierten Kollegen in Chemnitz gut an. Danke GfS, das Große Buche des Retaxwahnsinns ist um eine Anekdote reicher. Auch GSK hat aktuell Schwierigkeiten mit den eigenen Rechnungen, aber das ist ein hausgemachtes Problem.
In Viersen in Nordrhein-Westfalen gibt es ein Dialyse-Zentrum mit gleich mehreren Standorten. Ein Apotheker fand das eine gute Gelegenheit für eine Rezeptsammelstelle. Fand die Aufsicht nicht. Also stellte der Apotheker Personal zum Warten auf und wenn die Patienten zufällig ein Rezept loswerden wollten… Die Aufsicht verstand keinen Spaß, das Oberverwaltungsgericht auch nicht. Aber dem Vernehmen nach liegen in der Klinik jetzt vorfrankierte Umschläge aus. Es geht auch anders: Ein Apotheker lockt seine Kunden mit dem DilDo. Nicht, was Sie denken.
Zum Lieblingswirkstoff der Apotheker wird Levothyroxin in absehbarer Zeit nicht gewählt. Immer wieder Ausfälle und dann doppelt Aufwand oder Ärger wegen der Aut-idem-Liste. Seit mehr als einem Jahr sind Tropfen defekt. Sanofi kann die flüssige Form von L-Thyroxin Henning nicht liefern; bei kleinen Kindern und bei Risikopatienten ist die Versorgung seitdem schwierig. Mitte Juni will Aristo die Lücke schließen.
Wenn Sie wissen möchten, welche Wirkstoffe oder OTC-Hersteller die Versand-Konkurrenz so empfiehlt, können Sie ab sofort Dr. Kaske fragen. Die Marketingagentur hat ein Tool entwickelt, das die Tipps der Versender zählt und auswertet. Einige Hersteller empfehlen sich lieber selbst: Zusätzlich zur Gratis-Umschau gibt es jetzt auch noch ein Gratis-Rennie dazu – Apothekenkunde müsste man sein. Bei J&J ist man zwar „bereit für neue Abenteuer“, der Vertriebsleiter geht trotzdem.
Ob EuGH-Verfahren, Retax oder Personalmangel, so ernst all diese Alltagssorgen sind – sie können sehr schnell komplett in den Hintergrund treten. Wenn die eigene Apotheke von einer Schlammlawine vernichtet wurde oder sogar Personen bei den Unwettern zu Schaden gekommen sind. Allen Betroffenen alles erdenklich Gute! Und eines noch: Sollten Sie heute den Wunsch verspüren, jemanden zu bestechen – lassen Sie es! Das Antikorruptionsgesetz ist in Kraft. Schönes Wochenende!
APOTHEKE ADHOC Debatte