Wenn Versender Rezeptur versuchen Alexander Müller, 28.10.2017 07:53 Uhr
Immer diese üble Nachrede: Versandapotheken würden schlecht beraten; nur weil die Stiftung das getestet hat. Sie achteten beim Versand nie auf die Temperatur; nur weil mal ein paar Kapseln eingeschmolzen sind. Aber was zu weit geht, geht zu weit: Wer öffentlich behauptet, Versender würden aufwändige Rezepturen lieber den Kollegen vor Ort überlassen, soll eines Besseren belehrt werden. Und seitdem wird gerührt und geschüttelt, was die Gefäße hergeben.
Zugegeben, ganz einfach war es nicht. Denn zunächst wusste keiner aus der Belegschaft des Versenders, wo die Rezeptur überhaupt ist. Ratlose Gesichter in der gesamten Lagerhalle. Schließlich wurden Labor und Rezeptur doch gefunden, die Tür war nur falsch beschriftet („Übervorrat 2/Deponie“).
Und es fand sich im Team sogar eine PTA, die ihr Handwerk nicht nur gelernt, sondern während ihrer vierjährigen Tätigkeit in einer Aachener Apotheke unter einer hautärztlichen Gemeinschaftspraxis auch perfektioniert hatte. Sie wollte sofort die Fantaschale schwingen – aber es kam kein Rezept... Ob sich die Kunden ihre Salben aus Gewohnheit in der Apotheke rühren lassen? „Vielleicht sollten wir die Rezeptur mit Boni bewerben“, schlug ein junger Mitarbeiter vor. Das wurde überhört.
Endlich ein Auftrag! Ein Rezept über Triamcinolonacetonid in Basiscreme DAC. Das traute sich die PTA zu und verschwand im Übervorrat. Zwei Stunden später kam sie mit vor ungewohnter Aufregung geröteten Wangen zurück und hielt nicht ohne Stolz ihre sauber beschriftetes Kruke in die Höhe. Ins Päckchen damit und ab dafür.
Und dann das: Der Kunde war wieder nur ein Testkäufer! Im Ergebnis gab es eine Abwertung, weil die Creme im Päckchen ausgelaufen war. „Ungenügend?! Unverschämtheit!“ Beim Versender war die Stimmung im Keller. Die Wut schlug schnell in Trotz um: „Dann machen wir das eben nicht mehr“, so die interne Anweisung.
Und so kamen sie schnell zurück, die Standardantworten an die wenigen fragenden Kunden, warum man in diesem Fall leider ausnahmsweise die gewünschte Rezeptur nicht anfertigen könne. Aber hey, auf unsere OTC-Produkte gibt es (bis zu) 70 Prozent Rabatt. Jetzt bestellen und übermorgen in Ihrer Postfiliale abholen!
Wir wissen nicht, ob sich das so oder ähnlich bei einem Versender zugetragen hat. Aber denkbar wäre es. Jedenfalls ist es schon lustig, dass DocMorris jetzt die Noweda abmahnt, weil die in einer unbestritten umstrittenen Plakatkampagne auf die Nachteile des Versandhandels und damit freilich auch auf diesen Bezugsweg an sich hingewiesen hat. Die Noweda freut sich anscheinend über die Abmahnung: „Die Aktion hat offensichtlich ins Schwarze getroffen“, so die Genossenschaft.
Etwas mehr Reaktion gewünscht hätte sich Apotheker Christopher Kreiss. Er hat nicht nur mit großem Aufwand verschiedene Versandapotheken getestet, sondern auch Gott und die Welt mit den wenig schmeichelhaften Ergebnissen dieser Tests konfrontiert. Doch weder Gott noch die Welt interessierten sich übermäßig dafür. Meistens kam als Antwort die urdeutsche Behördenausrede des Ich-bin-nicht-zuständig. Und die Verbraucherzentrale hatte gar die Frechheit, dem Apotheker sein Dasein als Normalbürger abzusprechen und des versandfeindlichen Lobbyismus' zu verdächtigen. Dafür sei man allerdings der falsche Ansprechpartner – aus grundsätzlicher Versandaffinität und mangels Zuständigkeit.
Vergleichsweise leicht muss es DocMorris in einem anderen Fall gewesen sein, die Waffen zu strecken: Die Zur Rose-Tochter darf keine Freiumschläge mehr an Kunden verteilen, ohne deren Telefonnummer anzufragen. Dass sich so sowieso fast niemand in Heerlen beraten lassen will, ließ das OLG Stuttgart nämlich nicht als Ausrede gelten. Ja, es geht ums Prinzip.
Prinzipientreu fühlen sich in der Regel auch Whistleblower. Aber werden sie auch so wahrgenommen? Der Apothekenmarkt hat nach der Holmsland-Affäre mit dem Zyto-Pfusch seinen zweiten großen Skandal. Den Protagonisten der Aufklärung wurde ein TV-Beitrag gewidmet: Held oder Verräter?
Etwas hintergangen fühlte sich auch das Team einer Apotheke Baden-Württemberg: Der nicht mehr jugendliche Chef hatte keinen Nachfolger gefunden und entschied sich für die Schließung. Dem Team hatte er vorher nichts gesagt, sodass sich die Angestellten etwas überrumpelt fühlten.
Verraten und verkauft fühlte sich eine andere Kollegin aus dem Ländle. Weil Pharmatechnik XT nach ihrer Darstellung nicht mehr richtig lief, wollte sie eine andere EDV. Sie entschied sich für Prokas. Laut einem Gerichtsurteil hätte sie aber das IXOS-Angebot von Pharmatechnik annehmen müssen. Jetzt soll sie bis 2020 noch 67.000 Euro zahlen. Aber noch gibt sie nicht auf und auch Pharmatechnik scheint wenig Interesse an einer öffentlichen Schlammschlacht mit Debatte über die Qualität der eigenen Software zu haben.
Denn so gut verdienen die Apotheken heute nicht, dass sie sich aus Spaß zwei EDV-Systeme parallel leisten können. Und für die Angestellten soll schließlich auch noch etwas übrigbleiben. Wie gut stehen die PTA und Approbierte im internationalen Vergleich da? Und mit welchen Gehältern lockt die Pharmaindustrie? Vergleichen Sie selbst!
Wie geht es weiter mit der EU-Versandapotheke? Vor der Schlappe vor dem OLG Brandenburg standen die Vorzeichen für den Weiterbetrieb jedenfalls schon einmal besser. Aus heiterem Himmel sah sich dagegen eine junge Apothekerin aus Regensburg mit Gerüchten konfrontiert, sie müsse ihren Betrieb schließen. Alles Quatsch, schickt sie über alle Kanäle. Definitiv geschlossen bleibt dagegen die Sabelus XXL Apotheke in Hennigsdorf. Nach nur einem halben Jahr ist schon wieder Schluss in der „modernsten Apotheke Brandenburgs“. Die Hintergründe liegen weiter im Dunkeln.
Die AOK Bayern sucht Kontakt zu Apothekern. Mitarbeiter rufen in der Offizin an und erkundigen sich nach Bestellbelegen für Hochpreiser. Denn leichter kann man nicht retaxieren, als wenn die PTA den vermeintlichen Beleg selbst faxt. Lieber vorher die Chefin fragen. Das machen die Unverschämteren unter den Kunden ja schließlich nicht anders. Nicht ärgern lassen. Auch nicht von dem fehlenden Vichy-Adventskalender, dann feiern eben andere.
Die Generikahersteller zählen derweil die Tage bis zum Patentablauf von Tadalafil. Am 15. November ist es endlich so weit. Auf Malta wartet die fertig verpackte Ware. Ganz so aufregend wie beim Sildenafil-Patentablauf ist es beim zweiten Mal zwar nicht, aber langweilig ist auch anders. In diesem Sinne: Schönes Wochenende!