Von Impfgegnern und Retaxverweigerern Alexander Müller, 28.02.2015 09:09 Uhr
AOK-Chef Jürgen Graalmann hat in der Sache recht, wenn er sagt, dass wir uns bei der Masern-Impfung an das halten sollten, was uns Medizin und Wissenschaft lehren. Impfung ist gut, Impfung hilft Masern auszurotten. Leider hat er es in der kassentypischen und mithin unnötig provozierenden Formulierung verpackt, wir sollten endlich aufhören, zu diskutieren. Wie viele radikale Impfgegner wird er mit diesem Appell wohl umgestimmt haben?
Die Frage ist allerdings, wie man Impfgegner überhaupt überzeugen kann. Vor einer gesetzlichen Impfpflicht will es die Regierung wenigstens noch versuchen. Vermutlich wird die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in einem halben Jahr einen millionenschwere Kampagne starten. Aber wer seine Kinder zu Masernpartys schleppt, ist wohl zumindest dagegen schon resistent.
Eine Impfpflicht wird mit Verweis auf den Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte bislang von der Politik überwiegend abgelehnt. Die Fachleute – auch unsere geschätzten Leserinnen und Leser – sind überwiegend dafür. Es ist in der Tat eine heikle Frage. Aber wenn man sich vor Augen führt, dass Neugeborene erst mit einem Jahr die erste Impfung erhalten sollen und somit zunächst schutzlos einer verantwortungslosen Minderheit ausgeliefert sein müssen, ist eine Pflicht zur Impfung vielleicht gerechter.
Deutlich weniger eng sieht es dieselbe Regierung mit den Freiheitsrechten übrigens bei der „Pille danach“. Mag sich die SPD noch so sehr für den OTC-Switch feiern; in Wahrheit hat einzig und allein die EU-Kommission die Union hinter ihrer konservativen Barrikade hervorgelockt. Und die Umsetzung in nationales Recht zeigt, wie widerwillig man die Vorgabe aus Brüssel umsetzt. Trotz OTC soll es Beschränkungen geben. Die „Pille danach“ soll nicht online verkauft werden dürfen, damit frau nicht auf die Idee kommt, sich das Notfallkontrazeptivum auf Lager zu legen. Wie glaubhaft sollen Frauen denn in der Apotheke vor Ort versichern, dass sie wirklich gerade ungeschützten Geschlechtsverkehr hatten, damit sie eine Packung bekommen?
Das Ansinnen ist nur auf den ersten Blick logisch: Keine Frau, die nach einer Verhütungspanne – oder sogar einer Vergewaltigung – nicht schwanger werden möchte, wird auf den Postboten warten. Und jede, die eine Packung zur Sicherheit in der Nachtischschublade haben möchte, wird dort eine liegen haben. Das sind wenig durchdachte Rückzugsgefechte der Union.
Normalerweise kämpfen Apotheker gegen die Abwanderung eigentlich apothekenexklusiver Produkte in die Drogerie. Doch dm, Rossmann & Co. sind längst von Jägern zum Gejagten geworden: Der Lebens- und nunmehr Nahrungsergänzungsmitteleinzelhandel hat viele Produkte für sich entdeckt und macht Druck von der anderen Seite. Immerhin hat eine Apothekerin aus Süddeutschland erreicht, dass ihr lokaler Edeka-Händler Almased wieder ausgeräumt hat – geklärt von Einzelhändler zu Einzelhändler.
Komplett ausgeräumt wird dagegen das Abnehmmittel Alli (Orlistat). Das hat Hersteller GlaxoSmithKline (GSK) eingeräumt. Seit Oktober ist das Produkt sowieso beim Großhandel defekt, der Vertrieb wird eingestellt.
50 Apotheken in Nordrhein-Westfalen (NRW) hatten Besuch von der Verbraucherzentrale, beziehungsweise von deren Testkäufern. Und die waren entsetzt: Vier von fünf Apotheken verkauften jeweils drei Packungen des Analgetikums Thomapyrin Intensiv (ASS/Paracetamol/Coffein) à 20 Tabletten. Die Apotheker missachteten ihre Beratungspflicht, so das Urteil. Die Apothekerkammern und-verbände im Bundesland fühlen zu Unrecht den ganzen Berufsstand an den Pranger gestellt. Dass neben einer ausführlichen Be- und Abratung immer auch Discountpreise von den Testern verlangt würden, sei zudem nicht sonderlich logisch, so das Echo der Kammern und Verbände zwischen Rhein und Ruhr.
Die ABDA in Berlin findet es gut, dass die Regierung den Medikationsplan ins Gesetz schreiben will. Und weil dazu nach ABDA-Definition die anzustellende Medikationsanlyse eine zusätzliche Leistung ist, soll diese bitte auch extra honoriert werden. Bei der Anhörung im BMG am Mittwoch konnte die ABDA nach eigenen Angaben alle zentralen Positionen aus ihrer schriftlichen Stellungnahme vortragen. Im Ministerium war Hauptgeschäftsführer Dr. Sebastian Schmitz mit Claudia Korf, Geschäftsführerin Wirtschaft/Soziales/Verträge, sowie dem Geschäftsführer Arzneimittel, Professor Dr. Martin Schulz. Ob es sich gelohnt hat, wird sich zeigen.
Definitiv mehr Geld gibt es jetzt für die Angestellten und zwar in der Nacht. Die Gewerkschaft Adexa und der Arbeitgeberverband ADA haben sich auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt: Im Notdienst wird ab sofort Mindestlohn gezahlt. Eigentlich eine traurige Meldung für diesen Berufsstand. In vielen Fällen wurden die Dienste aber offenbar schon vorher durch ein übertarifliches Gehalt abgegolten – oder gleich vom Chef selbst gemacht.
Chefs dürfen übrigens laut dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) so einiges, zum Beispiel im Namen anderer Apotheken Arzneimittel abgeben. Denn Beratung sei eine pharmazeutische Kernkompetenz und wer letztlich daran verdient, war anscheinend juristisch nicht so relevant. Insoweit liegen die Leipziger Richter auf einer Wellenlänge mit der Politik.
Missstimmung dagegen zwischen Linda und Ordermed. Die Kooperation und das Bestellportal stritten um 160.000 Euro wegen nicht bezahlter oder eben doch schon abgerechneter Leistungen. Und jetzt will Ordermed die Apotheken schnell zum neuen Konzept Vitabook lotsen, um den Schaden umzuschichten.
Bei Aristo gibt es schon wieder Änderungen in der Geschäftsführung. Stephan Walz geht, Dr. Kristian Ruepp rückt nach. Die Strüngmann-Brüder haben außerdem schon wieder bei Hexal/Sandoz gewildert und Dr. Sabine Brand abgeworben. In der Geschäftsführung von Aristo wird sie den Bereich Produktion und Qualitätskontrolle übernehmen.
Temperaturkontrollen sollen künftig auch die Großhändler durchführen, damit die Arzneimittel nicht schwitzen oder frieren. Alles quatsch findet Dr. Armin Welker: Die kurzzeitige Überschreitung der Obergrenze von 25 Grad Celsius sei völlig unbedeutend für die Stabilität und Qualität des Arzneimittels, so der Apotheker, der sich im Rahmen seiner Forschungstätigkeit mit dem Thema beschäftigt hat. Er nennt dem Großhandelsverband Phagro „drei triviale Lösungsvorschläge“. Das wäre doch schön, denn wenn keine Kosten entstehen, gibt es auch nichts umzulegen.
Alles aufdecken will immer das Finanzamt, in dieser Woche sogar bei den Strüngmanns. Doch manchmal schießt der Fiskus ein bisschen über das Ziel hinaus. Ein Apotheker durfte nicht gezwungen werden, sich neue Module für seine Software anzuschaffen, um Daten in der gewünschten Form zu liefern. Der Generalverdacht auf Steuerhinterziehung reichte vor Gericht nicht aus. Endgültig Schluss machen mit dem Wegschaffen von Schwarzgeld will Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU): Alle bargeldintensiven Branchen sollen ihre Kassen zählen, damit diese möglichst bald mit einem Fahrtenschreiben oder Anti-Zapper ausgestattet werden können. Die ABDA soll mal in den Apotheken nachzählen.
Genau nachgerechnet hat auch die Noweda: Da der Generikahersteller Wörwag aufgrund des Rabattdrucks das Skonto gekürzt hat, streicht der Großhändler den Apothekern das Skonto bei diesen Produkten ebenfalls. Und um ein Zeichen zu setzen, wird das OTC-Sortiment von Wörwag samt Skonto ausgelistet.
Nicht zurück, sondern nach vorne blicken, ist das Gebot der Stunde, ein Ausblick im Rückblick sozusagen: In der kommenden Woche geht das GKV-VSG in den Bundestag. Dann befasst sich das hohe Haus endlich mit Nullretaxationen aufgrund von Formfehlern. Zwar wird der Gesetzgeber diesem Wahnsinn nicht selbst den Garaus machen, aber Vorgaben für die Selbstverwaltung sind gemacht. Auch die Politik hat verstanden, dass ein fehlendes Komma keine 12.000 Euro wert sein kann.
Jede Nullretax wird aber nicht abgeschossen, wie die Politik sofort klarstellt. Rabattvertragsverweigerer werden, gestützt auf dieses eigentümliche Berufsrisiko-Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), weiter mit Erstattungsentzug bestraft. Auch darf den Kassen beim Heilen von Formfehlern nicht zu viel Mühe entstehen. Natürlich nicht.
Und gegen Retaxationen wie der zu der Milchpumpe kann nun wirklich auch die wohlwollenste Regierung nichts unternehmen. Weil in einer besonders sparsamen Apotheke in Baden-Württemberg bei der Abrechnung des Mietgeräts versehentlich eine Multiplikation auf dem Rezept unterlief, wurden der DAK 45.000 Euro in Rechnung gestellt. Die wollte verständlicherweise nicht zahlen, dem Apotheker war es äweng peinlich. Mehr Glück in der nächsten Woche.