Versteckte Kamera Alexander Müller, 05.03.2016 07:53 Uhr
Am Anfang sei es schon komisch gewesen: „Ich fühlte mich so beobachtet“, sagt die PTA. Einige Kolleginnen hätten sich sogar „extra aufgebrezelt“ und vor den Kameras posiert. „Aber irgendwann nimmt man die roten Lämpchen der Kameras gar nicht mehr wahr“, berichtet sie. Etwa zwei Dutzend davon hängen in der Apotheke ihrer Chefin. Die Krankenkassen, die Aufsichtsbehörde, die ABDA, Großhändler und Hersteller – alle wollen wissen, was in der Apotheke vor sich geht.
Im Einzelhandel werden jährlich Waren im Wert von knapp 5 Milliarden Euro geklaut. Ein Teil davon entfällt auch auf Intact-Traubenzucker, Allgäuer Latschenkiefer und Rabenhorst-Säfte. Apotheker werden aber nicht nur beklaut, sondern auch überfallen und nachts von Einbrechern heimgesucht. Dürfen sie ihre Kunden und Mitarbeiter deshalb nach Belieben überwachen? Mitnichten! Ein Apotheker im Saarland erhielt die Quittung vor Gericht.
Dem zügellosen Einsatz von Überwachungskameras schiebt das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) einen Riegel vor. Eine in die Offizin gerichtete Kamera muss schon sehr gut begründet sein. Die wichtigsten Fragen & Antworten zu dem Thema gibt es hier. Andere tun sich da leichter – und in Härtefällen dürfen die Apotheker zum Glück auch auf deren Mitschnitte zurückgreifen. Diese sind vor Gericht als Beweismittel anerkannt.
Die Kassen zum Beispiel überwachen jede Rx-Abgabe am HV-Tisch, um nachträgliche Korrekturen der Rezepte zu entlarven. „Tax Spy 2000“ heißt das Konzept, das vom Ministerium abgesegnet wurde. Ginge es nach den Hardlinern im GKV-Lager, müssten die Apotheker jeden fehlenden i-Punkt schon bei der Abgabe bemerken und auch das kleinste Formfehlerchen ausmerzen, bevor das Arzneimittel abgegeben wird. Sonst: Nullretax-Einspruch-Abweisung-Klage-Berufung-Revision-BSG-Nullretax.
Der GKV-Spitzenverband hat von seinen Mitgliedern nämlich beunruhigende Hinweise bekommen. Wenn Datensatz und Rezeptimage nicht übereinstimmen, lässt es sich schließlich viel schlechter retaxieren. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) wies die Rechenzentren pflichtschuldig darauf hin, dass es so nicht geht. Am Mittwoch sieht man sich in Berlin, um ernsthaft über das Thema zu sprechen. Könnte für einzelne Beteiligte ungemütlich werden. Nur Musterschüler ARZ Haan hat die weiße Weste für das Treffen schon gebügelt.
Die Apothekerkammern haben festgestellt, dass die ständigen Testkäufe bei den Mitgliedern den eigenen Haushalt doch arg belasten. Deswegen wurde nach Absprache mit der Politik ebenfalls die Überwachung der Beratung eingeführt, „CounselingControl“ schimpft sich das Modul. Das überwiegende Auskunftsinteresse sticht alle datenschutzrechtlichen Bedenken und erlaubt in diesem Fall sogar Bild- und Tonaufnahmen. Also noch mehr als sonst gilt für die Apothekenteams: Eine Frage geht immer.
Eine weitere Kamera am HV-Tisch gehört dem Großhandel. Der muss wissen, was abgegeben wurde, um die Nachbestellungen schon konfektionieren zu können. Schöner Nebeneffekt: Ein Abgleich mit den Bestelllisten ist ein Treuebarometer. Davon abhängig sind etwaige Treueprämien, wie sie die Sanacorp auslobt.
Und tatsächlich sind die Großhändler mehr denn je auf jeden Kunden angewiesen. Denn ihre Transportflotte steht vor einem Umbruch. In der nächsten Zeit muss der größte Teil der knapp 10.000 Lieferfahrzeuge ausgetauscht oder aufgerüstet werden. Es geht um Vorgaben zur Temperaturführung. Branchenkenner erwarten eine Marktbereinigung: Kleinlieferanten stehen vor dem Aus – sind sie doch traditionell am Ende der Nahrungskette, wenn die Großhandelskonzerne ihre Sparmaßnahmen durchdrücken. Allerdings bekommen auch die Mitarbeiter diesen Druck ab.
Manchmal wird man in der Apotheke nicht nur gefilmt, sondern bekommt auch etwas gezeigt. Rowa etwa stattet die schweizerische Apothekenkette Topwell mit der virtuellen Sichtwahl „Vmotion“ aus. Da wird sich auf die ursprüngliche Bedeutung (video = ich sehe) konzentriert, ohne das Neue aus dem Fokus zu verlieren. Wer den Blick ganz nach vorne richten möchte, sei übrigens herzlich eingeladen zu VISION.A und der Party der Visionäre (von mhd. vision, visiun = Traumgesicht/Erscheinung).
Ebenfalls Interesse an einer lückenlosen Überwachung ihrer Mitglieder haben die Kooperationen: Ist das Category Management stringent, werden die Eigenmarken angemessen angepriesen? Eine kleine Drohne in der Offizin stört kaum und erspart lästige Außendienstkontrollbesuche. Der Trend zur Dachmarke scheint aber ohnehin gebrochen: Gehe versucht sich mit einer Mini-Kooperation namens SPA. Nicht zu verwechseln mit SPAR (ndl. für „Durch einträchtiges Zusammenwirken profitieren alle regelmäßig“).
Einträchtiges Zusammenwirken ist auch das Stichwort für einen aktuellen Retaxfall: Die DAK legt eine Formulierung aus einem Leitfaden zur Isotretinoin so aus, dass sie Apotheken isoretaxieren kann. Der Leitfaden ist vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpridukte (BfArM). Dieses teilt heute die Auffassung der Kasse. Im Sinne der Solidargemeinschaft „profitieren alle regelmäßig“. Nur die Apotheken nicht.
Dr. Thomas Trümper sieht die Apotheker nicht gerne in der Schusslinie, wenn es um Lieferengpässe der Pharmaindustrie geht. Der Phagro-Chef fordert die Krankenkassen auf, sich mit an den Tisch zu setzen und eine Definition von Unfähigkeit auf Papier zu bringen. Sollte eigentlich gelingen. Motto: Keine Retax bei Defekten.
Indirekt davon betroffen sind natürlich auch die PTA: Deren Bundesverband BVpta setzt sich seit Jahren für eine Novellierung des Berufes ein. Immer weniger Azubis und das Schließen von PTA-Schulen sind für Geschäftsführerin Bettina Schwarz deutliche Alarmsignale. Die Lösung: Mehr Geld und neue Aufgabenbereiche.
Aus Sicht der SPD Baden-Württemberg gäbe es schon Geld zu verteilen: Der Gewinn vor Steuern pro Apotheke sei zwischen 2012 und 2014 um fast 23 Prozent gestiegen, heißt es zu den Wahlprüfsteinen des LAV. Datenquelle der Sozis: unbekannt. Soll mit Crystal Meth aber nichts zu tun haben. Aber das führt jetzt zu weit: Cut! Schnitt! Schönes Wochenende.