Arztstempelkorrektur

Unwort des Jahres: Der Vorname macht's APOTHEKE ADHOC, 30.12.2015 09:25 Uhr

Berlin - 

2015 war für die Apotheker das Jahr des berufspolitischen Stillstands und des ausufernden Bürokratismus bei gleichzeitig zunehmender Erniedrigung durch die Kassen. Oft kristallisiert sich der Ärger dann in einem einzigen Begriff, einem Ausdruck machtloser Wut. Zum Unwort des Jahres hat es entsprechend die Arztstempelkorrektur geschafft.

Arztstempelkorrektur – 27 Prozent
Sage mir, wie du heißt, und ich sage dir, was du verordnest. Aber sage mir bitte genau, wie du heißt. Schluss mit Rezepten von F.K. Wächter, E.T.A. Hoffmann oder J.R.R. Tolkien. Denn ohne den Vornamen des Arztes auf dem Rezept geht nichts mehr, höchstens Retaxationen. Verlängerte Friedenspflichten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Arztstempelkorrektur ein vollkommen unnötiges Ärgernis ist – und der Begriff als Unwort des Jahres mit weitem Abstand vorne liegt.

Medikationsplanaktualisierung – 14 Prozent
Bereits durch den Bundestag ist das E-Health-Gesetz – auch kein Quell der Freude für die Apotheker. Denn erklärtes Ziel der ABDA ist es, den Berufsstand wieder mehr pharmazeutisch auszurichten. Das Perspektivpapier 2030 ist voll von solchen Wegweisern, erklärtes Nahziel ist das Medikationsmanagement. Die Zusatzleistung sollte außerdem ein neuer Honorarbaustein werden. Doch beim E-Health-Gesetz wurden die Apotheker vom Gesetzgeber grob vernachlässigt. Sie bekommen kein Geld, kaum Rechte und nur die Pflicht zur Medikationsplanaktualisierung. Außer Spesen nichts gewesen.

Unrechtsvereinbarung – 13 Prozent
Fast seit Beginn des Jahres wirft das Anti-Korruptionsgesetz seine Schatten voraus, lange und besonders düstere Schatten. Kein Mensch weiß, welche Berufsrechtsnorm künftig strafrechtlich relevant sein wird, aber ein Wort kennt jeder Apotheker spätestens seit diesem Jahr: Unrechtsvereinbarung. Ob Gespräche mit dem Arzt oder OTC-Rabatte im Einkauf – plötzlich steht alles unter Korruptionsverdacht. Wenn Abgeordnete im Bundestag bei der ersten Lesung des Gesetzes laut werden bei dem Gedanken, dass Entscheidungen (von Heilberuflern) frei von der Einflussnahme Dritter sein müssen, dann lässt das irgendwie auch tief blicken.

Erwartungsverlässlichkeit – 9 Prozent
Inbegriff des Scheiterns der ABDA in diesem Jahr ist der Begriff Erwartungsverlässlichkeit. Weil weder mehr Geld noch sonst etwas zu erstreiten war, forderten die Apotheker beim DAV-Wirtschaftsforum wenigstens mehr von dieser reichlich abstrakten Kenngröße. Die ABDA will als Lobbyorganisation auf leisen Sohlen unterwegs sein – das Gespräch im Hintergrund wird im Zweifel der öffentlichen Attacke vorgezogen. So lässt sich die ABDA allenfalls mit zeitlichem Sicherheitsabstand und höflicher Zurückhaltung verlauten und haut besonnen auf den Tisch: „Deutschlands Apotheker fordern mehr Erwartungsverlässlichkeit.“ Die Politik ist offenbar gewillt, diesen Wunsch langfristig zu erfüllen: Wenn die Apotheker nie etwas bekommen, werden sie auch nichts mehr erwarten. Darauf könnten sie sich dann verlassen.

Belieferungsbeitrag – 8 Prozent
Noch einmal der Großhandel: Die Großhändler sind oft nicht besonders einfallsreich, wenn sie eine neue Gebühr von ihren Kunden erheben wollen. Deswegen wird meist einfach die Konditionenkürzung des nächstbesten Wettbewerbers übernommen. Die Kreativität beginnt bei der Namensfindung. Favorit in diesem Jahr für die Benennung einer vermeintlichen Sonderleistung des Logistikers, dessen Aufgabe die Belieferung von Apothekern ist: Belieferungsbeitrag.

Container-Apotheke – 8 Prozent
Gleichauf liegt easy mit der Container-Apotheke. Es gibt Center-Apotheken, Dorf-Apotheken, Apotheken in Innenstädten und Wohngebieten sowie die Apotheke in Lauflage. Die Apothekenkooperation hat in diesem Jahr auf dem Parkplatz vor einem real-Markt ihr erstes Modul umgesetzt. Zwölf Lkw brachten die komplette Apotheke, der Aufbau war spektakulär. Fans und Feinde streiten leidenschaftlich über das Konzept.

Rücknässungwert – 6 Prozent
Dass die Kassen auf Kosten der Apotheker sparen und mehr oder weniger wild retaxieren, ist schlimm genug. Aber einige sparen auch bis auf den letzten Cent an der Versorgung ihrer Versicherten. Der Hilfsmittelmarkt ist ein besonders unrühmliches Beispiel. Ein Indikator für den Sparzwang der Kassen ist der Rücknässungwert bei den Inkontinenzprodukten der Billiganbieter, die die Ausschreibung mit Dumpingpreisen gewinnen.

Medikament des Jahres – 4 Prozent
Preise und Auszeichnungen sind eigentlich immer schön. Ihr Wert sinkt aber, wenn die schiere Anzahl bei der Vergabe den Anschein der Beliebigkeit erweckt, oder schlimmer noch, der Käuflichkeit. Das „Medikament des Jahres“ geriet in diesem Jahr so sehr unter Beschuss, dass es wohl 2016 keine neuen 93 Preisträger geben wird.

Honorargutachten – 3 Prozent
Seit Jahren rennen die Apotheker gegen das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) an und fordern eine überfällige Honorarerhöhung. Denn die seit Jahren einzige und eher homöopathische Anpassung 2013 kann das Apothekensterben nicht aufhalten. Doch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ziert sich und hat zunächst eine Ausschreibung zu einem Honorargutachten in Auftrag gegeben. Jetzt soll genau berechnet werden, ob die Apotheker mehr Geld bekommen müssen – oder auch weniger? Hoffentlich schlummert hier nicht schon ein Kandidat für das Unwort 2016.

Monopolrente – 3 Prozent
Ökonomen haben immer wieder eigene Ideen, wie das Gesundheitswesens besser, das heißt wirtschaftlicher, gestaltet werden könnte. Also meistens sind es dieselben Ideen, die aber ewig jung bleiben. In diesem Jahr war es Professor Dr. Christian Hagist, der sich für Apothekenketten und eine merkliche Lockerung der Apothekenpflicht aussprach. Denn alles wäre billiger, wenn die Apotheken nicht ihre Monopolrente abschöpfen könnten, ist Hagist überzeugt.

Temperaturführung – 3 Prozent
Die Großhändler müssen seit 2013 garantieren, dass die Arzneimittel beim Transport weder schwitzen oder frieren – also den gleichen Bedingungen ausgesetzt sind wie bei der Lagerung. Auch die Apotheker finden diese Vorgaben der Temperaturführung ziemlich übertrieben – und mit Blick auf die Freistellung der Versandapotheken auch unglaubwürdig. Selbst die ansonsten peniblen Pharmazieräte sind der Meinung, dass eine Pille kurzfristig ein paar Grad mehr oder weniger aushält. Es wird nichts so heiß eingenommen, wie es geliefert wird.

Offenhaltungspflicht – 1 Prozent
Apotheker haben aber nicht nur Monopolrenten, sondern vor allem Pflichten. Sie müssen ihr Berufsrecht beachten, Heilmittelwerbe-, Arzneimittel- und Apothekengesetz, das Sozialgesetzbuch und zahllose weitere Vorschriften. Je nach Mietvertrag haben sie zusätzlich eine Offenhaltungspflicht. Der Freiberufler ist nicht mehr frei darin, nicht Freiberufler zu sein. Besonders kompliziert in Fällen, in denen die Eigentumsverhältnisse grau sind.

L-Thyrox-Rückruf – 1 Prozent
Lieferengpass hat sogar in jedem Jahr das Potenzial zum Unwort des Jahres. Besonders nervig wird es, wenn Arzneimittel ausfallen, für die auch noch ein Austauschverbot gilt. Seitdem Levothyroxin auf der sogenannten Aut-idem-Liste (Unwort!) steht, müssen die Apotheker ihre Patienten notfalls zum Arzt zurückschicken. Der L-Thyrox-Rückruf war daher doppelt ärgerlich.

Frühzahlerrabatt - 1 Prozent
Und nochmal Großhandel: Im beschaulichen Aschaffenburg fand im Sommer einer der spannenderen Prozesse des Jahres statt. Der Großhändler AEP hat dort vorerst erfolgreich sein Konditionenmodell verteidigt. Der Auffassung der Wettbewerbszentrale, Skonto sei nur ein „Frühzahlerrabatt“ und damit preisrechtsrelevant, schloss sich das Gericht nicht an. Zweiter Akt 2016.

An der Wahl zum Unwort des Jahres nahmen vom 11. bis 29. Dezember 710 Leserinnen und Leser von APOTHEKE ADHOC teil. Im vergangenen Jahr lag der Konditionensicherungsausgleich mit 29 Prozent vor Substitutionsausschlussliste und GKV-Versorgungsstärkungsgesetz mit je 20 Prozent. 2013 war SEPA-Firmen-Lastschriftverfahren das Unwort des Jahres: 21 Prozent der 455 Umfrageteilnehmer fühlten sich 2013 dem Fachbegriff für den neue Zahlungsverkehr besonders genervt. Dahinter folgten Apothekenbus und Leitbilddebatte. 2011 lag Präqualifizierung mit 25 Prozent vor „Apotheke light“ und BTM-Formretax mit 18 beziehungsweise 17 Prozent.