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Sieh mal, Sigmar... Alexander Müller, 29.08.2015 08:04 Uhr

Berlin - 

Was verbinden Sie mit Claus Weselsky? Können Sie alles vergessen. Merken Sie sich die Zahl: +3,5 Prozent. Hat der GDL-Chef im Bahnstreik rausgeholt. Die Postboten eine Einmalzahlung in diesem und 2 Prozent mehr im nächsten Jahr. Und was steht auf den Protestbannern der Apotheker: „Finger weg vom Honorar!“ Sie fordern die schwarze Null. Der Großhandel kämpft vor Gericht sogar gegen sein Fixhonorar.

Was war das für ein Krampf bei der Honoraranpassung vor zwei Jahren: Bundeswirtschaftsminister war Philipp Rösler (FDP) und sein Haus hatten den zweifellos gestiegenen Aufwand der Apotheker genommen und freihändig den Rohertragszuwachs abzogen. Danach erst wurde die Honorarschraube gedreht. Zweieinhalb Umdrehungen – von 8,10 auf 8,35 Euro. Die ABDA beschwerte sich ebenso lautstark wie erfolglos über diese unverschämte Gehaltserhöhung.

Das soll den Apothekern nicht noch einmal passieren. Schritt 1: Die ABDA stellte ihre eigene Statistik von der typischen auf die Durchschnittsapotheke um. Danach musste man im Frühjahr einräumen, dass die 20.441 verbliebenen Apotheken 2014 durchschnittlich mehr als 2 Millionen Euro Umsatz erzielten. Natürlich ließe sich das erklären, ins rechte Licht rücken; nur überzeugt das keinen Ministerialbeamten.

DAV-Chef Fritz Becker fasst das Problem in seinem Hausblatt so zusammen: „Die derzeit geltende, fehlerhafte Berechnungsmethode hat zur Folge, dass eine kurzfristige Erhöhung gar nicht möglich ist.“ Die ABDA hatte der erstaunten Öffentlichkeit schon kurz zuvor diese interessanten Einblicke in ihre Honorartaktik gewährt.Detail

Und diese Taktik sieht in etwa so aus: Man will die Große Koalition nicht verärgern, in dem man ihr mit zustimmungspflichtigen Gesetzen ihre legislative Impotenz vorhält. Man will jetzt lieber keine Honorarerhöhung fordern, weil die zu einer Kürzung führen könnte. Nein, zunächst soll dem BMWi erklärt werden, dass es nicht rechnen kann und wie es um die wirtschaftliche Lage der Apotheker in Wirklichkeit bestellt ist. Bei Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), dem Kabinettsmitglied mit dem kleinstem Ego, der zu allem Überfluss auch noch selbst Lehrer ist. Gutes Gelingen.

Die ABDA-Spitze hat sich gegen einen polemischen und marktschreierischen Lobbyismus entschieden, was angesichts der handelnden Personen vielleicht auch passender ist. Leider tritt an diese Stelle regelmäßig eine gönnerhafte Hochnäsigkeit, die vielleicht viel zerstörerischer ist als ein hartes Wort in der Tagespresse.

Auch die Großhändler wollen mehr Geld, etwa 200 Millionen Euro. Mit konkreteren Forderungen sind aber auch sie zumindest öffentlich noch nicht an die Politik herangetreten. Das Argument dafür ist stets, dass man damit nur verärgert und nichts gewinnt, weil auf der Straße sowieso niemand den Phagro kennt.

Zum Glück funktioniert der Wettbewerb so gut, dass man sich auch auf der anderen Seite schadlos halten kann. Für steigende Spritpreise gibt es eine Logistikpauschale, für bröckelnde Margen den Handelsspannenausgleich, für das Mindestlohngesetz einen Belieferungsbeitrag. Wird das Wetter ruhiger, kann mit Rabatten an die Apotheken die eigene Marktposition wieder aufgebessert werden. Und die Rabatte sind zum Glück gedeckelt, ein politischer Erfolg der eigenen Leute in Berlin.

Auf den Deckel sollte noch ein Deckel, ein Skonto-Deckel. Die Wettbewerbszentrale will AEP verbieten, mehr als 3,15 Prozent Rabatt zu gewähren, und zwar inklusive Skonto. Vielleicht möchte die Wettbewerbszentrale nur für sich eine spannende Rechtsfrage klären. Vielleicht sucht aber auch ein anderer Großhändler nach einem Deckel und wartet jetzt im Hintergrund. Entscheiden Sie das für sich.

Fest steht, dass der erste Akt im Skonto-Prozess eine Katastrophe für den Großhandel war, übrigens womöglich auch für AEP. Die Vorsitzende Richterin findet durchaus nicht, dass Skonto und Rabatt dasselbe sind, nur weil der Duden die Begriffe als Synonyme führt. Und eine „Mindestgrenze“ beim Großhandelshonorar kann sie in der Arzneimittelpreisverordnung nicht finden. Da steht zwar etwas von Festzuschlag, aber nichts von erheben müssen. Es ist noch kein Urteil gesprochen und es ist erst die erste Instanz, aber als Angreifer wünscht man sich eine andere erste Runde.

Panik bricht beim Phagro deshalb mit Sicherheit nicht aus. Die Sache wird mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dem Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Dass am Ende wirklich die gesamte Großhandelsmarge wieder disponibel sein wird, ist kaum zu erwarten. Und für kleinere Apotheken, die schon heute nicht einmal in die Nähe von irgendwelchen Deckeln kommen, würde das die Situation zusätzlich verschärfen.

Vielleicht wäre das wiederum eine neue Chance für Kooperationen, von denen viele seit dem EuGH-Urteil zum Fremdbesitzverbot ein mühevolles Dasein fristen. Vivesco hat seit dem Wechsel zu Alphega beinahe jedes zweite Mitglied verloren. Für DocMorris kommt sowieso jede Hilfe zu spät, die kreativen Zerstörer von dereinst befinden sich in Abwicklung. In Berlin führte das in dieser Woche zu der sehenswerten Metamorphose einer DocMorris- in eine easy-Apotheke. Randnotiz: Sogar die Versandapotheke DocMorris/Zur Rose ist wieder in die Verlustzone gerutscht.

Ein anderes ehemaliges Grüne-Kreuz-Mitglied hatte sein grünes Kreuz schon vor Jahren abgeschraubt, als das Ende in Sicht kam. Der Apotheker aus Schleswig-Holstein setzt noch immer auf OTC-Preise aus dem Internet, jetzt aber auf die von Apo-Rot. Seitdem kämen wieder mehr Rezeptkunden, gibt er zu Protokoll.

Die Farbe oder sonstige Gestaltung ihrer Apotheke zu überarbeiten, kommt für viele Inhaber aus einem einfachen Grund kaum noch in Frage: dem Datum in ihrer Geburtsurkunde. Jeder vierte Apothekenleiter steht kurz vor der Rente. Für den Berufsstand an sich ist das solange kein Problem, wie genug Nachwuchs von den Unis nachströmt und seinen Weg in die Offizin findet. Und sich nicht von wiederkehrendem OTC-Bashing des „Stern“ in Komplizenschaft mit Professor Glaeske schrecken lässt.

Ausnahmsweise kein Pharma-Bashing betrieb die Konkurrenz vom Spiegel unlängst in ihrer Online-Ausgabe. Gleich eine ganze Serie über Kopfschmerzen, präsentiert von Thomapyrin. Die Wettbewerbszentrale mag nicht recht glauben, dass die präsentierten Inhalte nichts mit Boehringer Ingelheim zu tun haben sollen. Versteckte Werbung ist der Vorwurf, den sich „Spiegel online“ in der Abmahnung anhören muss.

Tausende von Abmahnungen hatten Ende vergangenen Jahres die Apotheker kurzzeitig in Atem gehalten. Doch die Aktion eines Apothekers und seines Anwalts verpuffte schnell, es hagelte Anzeigen und Klagen. Doch der Apotheker ist zwischenzeitlich verstorben. Die Aufarbeitung bleibt davon natürlich ebenfalls nicht unberührt.

Die Polizei einschalten sollen Apotheker, wenn Rezeptfälscher unterwegs sind, notfalls gleich per 110. Aber bitte nicht dem Arzt das SEK auf den Hals hetzen, nur weil der noch seinen alten Stempel mit dem abgekürzten Vornamen benutzt…

Zum Schluss die Personalien: Arthur Müller übergibt an seine Frau, Jan Meurer übernimmt bei der deutschen Tochter von Johnson & Johnson (J&J) und Tomaž Pirman sitzt jetzt bei TAD im Chefsessel. Professor Dr. Karl Lauterbach (SPD) wartet noch auf seine Berufung zum Bundesgesundheitsminister. Die Wartezeit hat er mit einem Buch überbrückt: Pharma-Bashing, reißerischer Titel, schwarzes Cover, Essay dazu im Spiegel und PK in Berlin – das volle Programm. Programmende. Schönes Wochenende.