Ein namenloser Ökonom sitzt nachts an seinem Schreibtisch und hat eine Epiphanie. Endlich hat er einen Gedanken zur Liberalisierung des Apothekenmarktes, den vor ihm noch kein Ökonom hatte: Im System ließen sich erhebliche Effizienzreserven heben, wenn der Nachtdienst abgeschafft würde. Und noch in dieser Nacht entwickelt er einen Plan, wie man das Ganze todsicher durchbringt.
Er schreibt eine erste These auf: „Hochqualifiziertes Personal, das die ganze Nacht auf einen Einsatz wartet, ist nicht optimiert.“ Für seine Kollegen und ihn ist schon lange klar, dass OTC-Medikamente gegen leichtere Beschwerden problemlos rund um die Uhr in Tankstellen verkauft werden können. Die Apothekenpflicht, ja ja die Apothekenpflicht, man kann es mit der Arzneimittelsicherheit auch übertreiben.
Zweiter Punkt: Wenn an der Tanke nicht alles vorrätig ist, könnten die Patienten auch ins Krankenhaus fahren – davon gibt es schließlich auch mehr als genug. „Und weil die meisten Patienten in der Klinik nachts schlafen, ist das Personal für die ambulanten Fälle frei“, notiert der Ökonom. Schon wieder Synergie. Von ihm aus könne dann ruhig ein Stationsapotheker die Medikation überwachen. Er hat ja nichts gegen Apotheker.
Jetzt gilt es, Verbündete zu suchen: Die Krankenkassen dürften relativ leicht zu gewinnen sein, erwartet der Ökonom. Patienten, die nachts keine Rezepte einlösen können, verursachen auch keine Kosten. Und außerdem ließe sich so die Zahlung der Notdienstpauschale verhindern. Die ist, notiert der Ökonom weiter, sowieso eine „den fairen Wettbewerb hemmende Ungleichbehandlung“ zwischen Apotheken.
Und als er das schreibt, fällt ihm schlagartig die EU-Kommission ein. Wie wäre es mit einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik? Die Erfolgsaussichten vor dem EuGH wären vermutlich sogar ganz gut. Schließlich gibt es überhaupt keine Statistiken dazu, dass die Menschen nachts eine Apotheke benötigen. Das müsste man mindestens ein Jahr lang testen und dokumentieren.
Gegen 5 Uhr morgens hat der Ökonom seinen Aufsatz fertig und ist zufrieden. Ihm ist schwindelig. Etwa von den eigenen hochfliegenden Gedanken? Doch warum spürt er dann ein Kratzen im Hals? Während ihn wenig später ein Hustenanfall schüttelt, sucht er auf dem Smartphone die nächste Notdienstapotheke. Er schleppt sich zum Auto, fährt zwei Minuten und wird versorgt. Die Apothekerin schaut ihn besorgt an: „Haben Sie Fieber?“ Zu Hause nimmt er seine Medikamente, zerreißt sein Pamphlet und legt sich ins Bett.
Man wünscht ja niemandem eine Erkältung, aber vielleicht wäre eine Erfahrung wie oben geschildert auch für den ein oder anderen führenden FDP-Politiker heilsam. Parteichef Lindner wollte in einem FAZ-Doppelschlag sicherstellen, dass die Liberalen nicht als Klientelpartei wahrgenommen werden. Das darf als gelungen gelten. Die Apotheker hatten diesen Eindruck unter der vorerst letzten schwarz-gelben Regierung übrigens auch nicht.
Seine Naturschutz-Breitseite softete Lindner im zweiten Gespräch ab und schlug stattdessen eine Änderung vor, die auch im Papier unseres Ökonomen zu finden ist: Shop-in-Shop-Apotheken im Einzelhandel. Das ist wirklich naheliegend, machen andere doch auch. Gerade in den USA sind die Drugstores beliebt und die Freunde in Übersee sind doch aktuell unverkennbar auf dem Weg zurück, ihre alte Vorbildfunktion für Europa wiederherzustellen.
Auch die FDP könnte feststellen, dass die Menschen mit den Apotheken in ihrer heutigen Form extrem zufrieden sind. Und sie könnte daran arbeiten, diese zu erhalten. Denn wie sehr die Leute das Gefühl haben, eine FDP zu brauchen, werden sie im kommenden Herbst zum Ausdruck bringen. Glück auf, Herr Lindner!
Die Parteien, die aktuell im Parlament die Geschicke der Republik beeinflussen können, diskutieren noch, wie sie auf das Urteil des EuGH zu Rx-Boni reagieren sollen. Die SPD etwa schlägt eine Deckelung der Boni vor – über den Rahmenvertrag. Die Idee ist bestechend einfach, hat aber einen Haken: Der GKV-Spitzenverband müsste auf der Seite der Apotheken spielen.
Der Bundesverband klinik- und heimversorgender Apotheker (BVKA) hat eine etwas kompliziertere Alternative zum Rx-Versandverbot: Ex- und Import von Arzneimitteln, der offensichtlich nur zum Zweck der Festpreisumgehung dient, soll verboten werden. Selbst die Erfinder dieser Idee wissen, dass damit allenfalls Zeit zu gewinnen wäre.
Der Bundesrat hat die Forderung der ABDA dagegen 1:1 aufgegriffen und ein komplettes Rx-Versandverbot gefordert. Doch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will sich sein Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetz (AM-VSG) nicht ausbremsen lassen. War immerhin mühsam genug, das Gesetz so weit zu bringen. Deshalb lehnt die Bundesregierung den Vorstoß ab, ohne ihn inhaltlich bewerten zu müssen.
Das ermutigt die ABDA, weiter für das Rx-Versandverbot zu kämpfen. Und zwar ab sofort mit der angekündigten Unterschriftenaktion. Die EU-kritische Klangfarbe hat allerdings Skepsis hervorgerufen, auch bei Gesundheitspolitikern. Was der frisch wiedergewählte ABDA-Präsident Friedemann Schmidt mit Sicherheit selbst nicht möchte, ist Applaus aus der falschen Ecke.
Doch keine Kampagne kann dem Berufsstand so schaden, wie das Fehlverhalten Einzelner in ihrem hochverantwortungsvollen Job. Wenn ein Apotheker wegen mutmaßlichem Zyto-Pfusch in U-Haft sitzt und sich die „Bild“-Zeitung fragt: „Vergiftete der Panschapotheker Krebsinfusionen?“, dann färbt das negativ auf den ganzen Berufsstand ab – so ungerecht das ist.
Mit Zytostatika hat sich in dieser Woche auch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg befasst. Aber dabei ging es nur um Retaxationen. Was heißt nur? Immerhin um 200.000 Euro streitet ein Apotheker mit der AOK. Raten Sie, wie es ausging!
Auch bei den meisten Apothekentests kann man das Ergebnis vorhersagen. Diesmal kritisierte der SWR Erkältungspräparate. Am schönsten ist die Rechnung, dass es die in Sinupret enthaltenen Kräuter im Kräuterladen für 14 Cent gibt. Unser Tipp: Noch günstiger ist es, die Kräuter selbst im Wald zu sammeln. Und bei einem langen Spaziergang an frischer Luft kann man über Extraktionsverfahren und Wertschöpfung nachdenken. Sinupret geht derweil ins TV-Duell mit Solvohexal.
Zum Schluss mal eine erfreuliche Nachricht: Die Forst-Apotheke konnte überraschend doch noch gerettet werden. Inhaber Uwe Scheerschmidt hat quasi in letzter Sekunde doch noch eine Nachfolgerin gefunden. Die 32-jährige Katharina Rorer übernahm Einrichtung, Warenlager und das Team, die einzige Apotheke im Ort bleibt erhalten.
Als Landapothekerin wird sich die neue Inhaberin auf relativ viele Notdienste gefasst machen müssen. Solange die Verteilung insgesamt nicht ungerecht ist, wird sie sich wohl auch nicht beschweren, gehört halt zum Job. Ob Sie persönlich mehr oder weniger Notdienste leisten als die meisten Ihrer Kollegen, können Sie hier nachlesen. Und wenn Sie Glück haben, kommt sogar ein verschnupfter Ökonom zu Ihnen in die Apotheke. Schönes Wochenende!
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