Neuentwicklung: Paracetamol am Stiel Alexander Müller, 29.07.2017 08:26 Uhr
Die Ergebnisse der Studie kamen für die Versandapotheker vollkommen unerwartet: Wissenschaftler hatten herausgefunden, das flüssige Arzneimittel gefrieren, wenn sie über einen längeren Zeitraum Minusgraden ausgesetzt sind. Da ihre Spediteure sich nicht in Lage sahen, innerhalb der Grenzen der Thermostabilität auszuliefern, wandten sich die Versandapotheken Hilfe suchend an die Industrie. Die Lösung scheint gefunden: Paracetamol-Saft gibt es demnächst auch am Stiel.
„Natürlich eignet sich diese spezielle Neuentwicklung nur für die kalte Jahreszeit“, räumt ein Hersteller ein. Aber irgendwo müsse man ja schließlich anfangen. Das erste Arzneimittel am Holzstil soll pünktlich im Winter auf den Markt kommen. Für den Sommer 2018 seien dann hitzebeständige Arzneiformen vorgesehen, Tees und Suppen etwa.
Die Idee verbreitet sich in der Branche wie ein Lauffeuer. Mehrere Hersteller arbeiten an Eis-Varianten ihrer Präparate. Da sowieso eine neue Zulassung beantragt werden muss, kann auch über Namensvarianten nachgedacht werden, um dem Marketing bei der Erschließung neuer Kundenkreise an die Hand zu gehen. Hoggar Choc, Voltaretto oder Dobendino sind nur einige denkbare Varianten.
Ein Problem bleibt natürlich bestehen: Auch die neuen Produkte sind auf relativ gleichbleibende Temperaturen angewiesen. Das im Lieferfahrzeug gut gekühlte Päckchen darf natürlich nicht in der überhitzten Bude des Nachbarn abgegeben werden, wie es heute dann und wann passieren soll. Dann im Winter lieber vor der Tür liegen lassen, wie es heute doch eher selten passiert.
Solange es in Wirklichkeit keine solchen „Innovationen“ gibt, müssen sich die Versandapotheken etwas anderes überlegen. Das heißt, im Moment müssen sie noch nicht, weil der Gesetzgeber die Abgabe im Versandlager vermutet und daher keine Vorgaben für die Temperaturkontrolle macht. Während die Großhändler ihre Flotten kostspielig umrüsten und die Apotheken ihre Lager klimatisieren, sind online bestellte Arzneimittel mitunter tagelang und vollkommen unkontrolliert unterwegs. Da wird ihnen heiß und kalt.
Um auf die Folgen aufmerksam zu machen und die Politik zum Handeln zu bewegen, hat das European Institut for Pharma Logistics (EIPL) im Januar 100 Päckchen mit Temperaturmessern durch die Republik geschickt und zeitgleich bei Versandapotheken bestellt. Die Ergebnisse der Temperatur-Studie im Versandhandel seien „alarmierend“. Dass das EIPL mit GDP-Beratung sein Geld verdient, ändert nichts an den Fakten. Und immerhin wurde schon in der Debatte um das Rx-Versandverbot über schärfere Auflagen für Versandapotheken als Alternative nachgedacht. Unter dem Gesichtspunkt der Arzneimittelsicherheit ist die Temperaturfrage durchaus ein Hebel.
Das andere Versandthema betrifft Verbraucherfragen. Denn mit deren Rechten ist es auch nicht immer gut bestellt, wie der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) herausfinden musste. So hatte mindestens jede vierte der 20 abgemahnten Versender das Widerrufsrecht für verschickte Arzneimittel vollständig ausgeschlossen. Obwohl bei Medikamenten seit Langem über die Wirkung von Ausnahmetatbeständen im BGB diskutiert wird, sind diese aus Sicht des OLG Naumburg heute eben nicht erfüllt. Das sei Sache des Gesetzgebers, entschieden die Richter. Die Versender sitzen in der Falle.
Ebenfalls auffällig geworden waren Versandapotheken mit der Verweigerung einer kostenlosen Beratung sowie dem Nichteinschreiten bei recht offensichtlichen Fällen von Arzneimittelmissbrauch. Selbst bei 13 Packungen Paracetamol reichte einem der Versender ein etwas trotzig klingender Hinweis auf die gesetzliche Verpflichtung, auf die Bedenklichkeit dieser Menge hinzuweisen. Keine Nachfrage, keine Begrenzung der Bestellmenge. Auch dies wurde untersagt. Die meisten Versender haben laut VZBV Unterlassungserklärungen abgegeben, doch mit mindestens zwei weiteren treffen sich die Verbraucherschützer noch vor Gericht.
Widerruf hin, Temperaturführung her, das Geschäft mit Arzneimitteln lockt immer wieder neue Mitspieler an. Otto – seinerzeit mit dem Hamburger Abholkonzept noch auf die Nase gefallen – kooperiert seit einiger Zeit mit der Versandapotheke Mycare. Für ein ausgesuchtes Sortiment gilt seitdem: gefunden auf otto.de. Amazon lässt grüßen. Apropos, deren Chef Jeff Bezos war zumindest mal kurz reicher Bill Gates. Das war bestimmt der Bienen-Effekt. Aber es bleiben Fragen: Wer misst das? Und macht es Bezos eigentlich traurig, dass er jetzt wieder nur noch der zweitreichste Mann der Welt ist? Und auf welcher Position rangiert eigentlich der erste Apotheker?
DocMorris hat wegen Hüffenhardt schon wieder verloren, genau genommen die Tochterfirma Tanimis, die die Räume mietet. Das Landgericht Mosbach (LG) monierte, dass in dem Automaten niemand Fachkundiges an den Packungen lecken kann, oder so ähnlich. Das wird beim Paracematol-Eis natürlich noch einmal wichtiger.
Aber auch Apotheken vor Ort dürfen nicht alles. Blutzuckermessgeräte verschenken zum Beispiel. Apotheker haben ja ohnehin nichts zu verschenken, aber als Gutmenschen geben sie natürlich die von Herstellern kostenlos überlassenen Geräte kostenlos weiter. Dürfen sie aber nicht. Das Landgericht Dresden (LG) hat dies zwar aktuell einem Fachhändler für Diabetesbedarf untersagt, die Wettbewerbszentrale geht aber auch gegen allzu großzügige Apotheken vor. Naja, solange nicht gleich der Staatsanwalt kommt...
In vielen Apotheken ist derzeit weniger los als sonst – Sommerloch. Die Menschen sind eben in den Urlaubsregionen, was für die Apotheken dort die Vorzeichen umkehrt. Zweigapotheken auf Nordseeinseln leben vom Saisongeschäft. Den Rest des Jahres singen sie einsam alle Songs mit, in denen Apotheker, Arzneimittel oder Drogen besungen werden. Und das sind nicht wenige.
Aber zum Sommer gehören eben auch Sommerregen. Und die werden Menschen wie Trump sei Dank ja eher heftiger als milder. Auch in dieser Woche gab es Überschwemmungen, die Gilden-Apotheke in Goslar ist aber noch einmal davongekommen.
Anders als Kohlpharma. Den Importeur hat es voll erwischt. Correctiv hat das gesamte Geschäftsmodell infrage gestellt und ordentlich draufgeknüppelt. Kohlpharma findet das Ganze ziemlich tendenziös. Die Kollegen waren aus Sicht des Importeurs etwas uneinsichtig. Sind so manche Kunden aber auch. Hier gibt’s fünf Tipps zum Umgang mit Beratungsverweigerern.
Doctan macht einen Schritt in die richtige Richtung. Raus aus der Drogerie und wieder rein in die Offizin. Der Versuch einer Rückkehr in die Apothekenexklusivität. Allergopharma und Leti haben sich gegenseitig getestet und verklagt und wurden vom Gericht beide abgestraft. Es ging um die Einwilligung der Patienten bei der Bestellung, ein Datenschutzthema.
Noch die Personalien: Apo-Rot verliert seinen Marketing-Chef, der „Karriere-PTA“ sucht eine neue Herausforderung. Und Philipp Storb geht den früher einmal sehr natürlichen Weg, nämlich von Gehe zu DocMorris. Und Sie, Sie gehen jetzt ins Wochenende!