Koalitionsgipfel abgehört: Das Protokoll zum Rx-Versandverbot Alexander Müller, 01.04.2017 07:57 Uhr
Die Hoffnungen vor dem Koalitionsgipfel waren nicht groß genug, um schwer enttäuscht zu werden. Und trotzdem ist es für die Apotheker bitter, dass die SPD das Rx-Versandverbot blockierte. Wie es genau dazu kam und welche Argumente ausgetauscht wurden, enthüllt ein Tonbandmitschnitt aus der nächtlichen Verhandlungsrunde im Kanzleramt.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU), der bayerische König Horst Seehofer und SPD-Supermann Martin Schulz sitzen zu dritt an dem ovalen Kabinettstisch. Es ist spät geworden. Sich nicht zu einigen, kann sich manchmal ganz schön ziehen. Die Herren werfen noch eine Koffeintablette ein, die Kanzlerin braucht bekanntlich keinen Schlaf.
Schulz (gähnt): So, was haben wir noch?
Seehofer: Apotheke.
Schulz: Nee, die Tabletten hab ich online bestellt, aber Sie sollten wirklich nicht noch eine nehmen.
Seehofer: Nix Versandhandel. Rx-Versandverbot.
Merkel (stolz): Das hat mein Hermann vorgeschlagen. Weil sich die ausländischen Versender nicht mehr an die Preisbindung halten müssen.
Schulz (euphorisch): Dann bin ich dafür, die Preisbindung ist ein hohes Gut. Das Kulturgut des Buches verdient diesen Eingriff in die freie Marktwirtschaft.
Merkel: Es geht um Arzneimittel.
Schulz (wissend): Wie Sie wissen, sind die Kompetenzen der Europäischen Union im Bereich der öffentlichen Gesundheit begrenzt. Die Preisfestsetzung von Arzneimitteln fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.
Merkel (erleichtert): Also machen wir das?
Schulz: Was?
Seehofer (ungeduldig): Das Rx-Versandverbot.
Schulz: Wenn der EuGH sagt, dass das nicht geht, können wir nichts machen. Europa sticht immer.
Merkel: Wir schaffen das, da bin ich ganz fest davon überzeugt. Stellen sie sich mal vor, wir würden alle miteinander erklären: Wir schaffen es nicht. Und dann?
Schulz: Mit mir nicht.
Merkel (staatstragend): Als Kanzlerin habe ich die Aufgabe, alles daran zu setzen und den Optimismus und auch die innere Gewissheit zu haben, dass diese Aufgabe lösbar ist. So gehe ich da ran.
Seehofer (selbstgefällig): So wie ich mit meiner Maut.
Schulz: Mit mir nicht. Was hatte Sigmar gesagt?
Merkel: Der wollte das Rx-Versandverbot auch machen mit Hermann. Aber seine Nachfolgerin will das nicht. Nur weil Sie bei der SPD da ständig die Stühle tauschen, um mir meinen wegzunehmen.
Schulz: Ich bin sowohl gefühlt als auch faktisch der bessere Kandidat.
Seehofer (traurig): Politik ist jeden Tag ein Spießrutenlauf.
Merkel: Ich habe einen Plan, aber der hängt ja nicht von mir alleine ab.
Schulz: Also ich mag Apotheken. Die in Würselen hat sogar nachts auf!
Seehofer: Genau. Und die Versandapotheken machen nie Notdienst. Hätten wir nie erlauben sollen. Irren, meine lieben Freunde, es ist menschlich. Aber immer irren ist sozialdemokratisch.
Schulz: Komisch, dass ausgerechnet ihr Schwarzen jetzt den Markt beschränken wollt.
Seehofer: Markt pur ist Wirtschaft pervers. Markt pur ist purer Wahnsinn. Und für mangelnde Vernunft gibt es auch in einer freiheitlichen Gesellschaft nur einen Ersatz: den Gesetzgeber.
Schulz: Das bin ich aber noch nicht. Also wird das nichts mehr bis zum Herbst. Was haben wir noch?
Seehofer: HÄRTERE STRAFEN FÜR EINBRECHER!
Merkel: Kostet das was?
Seehofer: Nein.
Schulz: Die werden doch eh nie geschnappt. Bringt das was?
Seehofer. Nein. Aber ich brauche die AfD-Stimmen zurück.
Merkel & Schulz: Ok.
So oder ähnlich wird es sich zugetragen haben im Kanzleramt. Und wie geht es jetzt wirklich weiter? Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein hätte sich mit seinem SPD-Kollegen Karl Lauterbach vielleicht auf einen Kompromiss verständigt, aber seine Fraktion wollte jetzt nicht mehr: Ganz oder gar nicht, hieß es aus CDU/CSU-Kreisen. Und Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries hat ihren Kabinettskollegen Hermann Gröhe (CDU) düpiert. Das Rx-Versandverbot ist tot.
Das musste sich auch die ABDA eingestehen und von ihrer „No-Deal-Haltung“ zurücktreten: „Wir werden uns einer Diskussion über eine Schadensbegrenzung nicht verschließen“, kündigte ABDA-Präsident Friedemann Schmidt in einem offenbar im Keller aufgenommenen Video an. Etwas beleidigt klang es doch, als er sagte, die Koalition habe wohl nicht mehr die Kraft, so ein wichtiges Sachthema vom Tisch zu räumen. Er vermutet Machtspielchen in angehenden Wahlkampf: „Vielleicht so eine Art Kraftprobe der Koalition, was auch immer, ist mir letztlich auch egal.“ Das klang schon einmal kämpferischer.
In den Apotheken reißt einigen Kollegen jetzt der Geduldsfaden. Eine digitale Sichtwahl lässt sich sehr leicht in den Wahlkampfmodus umschalten. SPD und Grüne werden an den flimmernden Pranger gestellt. Die Noweda hatte am letzten Tag vor dem Koalitionsgipfel noch auf eine klassische Plakat-Aktion gesetzt, mit Flyern. Hat aber auch nicht mehr geholfen. Zu welchem Zeitpunkt die Shop-Apotheke angefangen hat, vorgedruckte Beschwerdebriefe für ihre Kunden zu erstellen und gegebenenfalls an Abgeordnete verschickte, ist dagegen nicht bekannt.
Beim Konzept Sabelus XXL ist der Name Programm. Die Kooperation innerhalb der Elac-Familie begrüßt ihr siebtes Mitglied – wobei begrüßen das falsche Wort ist. Inhaberin Julia Riemann ist eine ehemalige Mitarbeiterin von Apotheker und Macher Kurt Sabelus. Mit Preisen auf Versandhandelsniveau setzt die nach eigenen Angaben modernste Apotheke im Raum Berlin und Brandenburg zudem voll auf Discount.
Eine besondere Einrichtung hatten vor etwa zehn Jahren auch die ersten DocMorris-Apotheken. Wer das Design noch einmal live bestaunen will, muss sich beeilen: Die letzten Markenpartner der Kooperation verschwinden Ende des Jahres. Ein Dutzend Apotheken sind es noch, die unterschiedliche Geschichten erzählen können. Einige haben auch schon konkrete Pläne für ein Leben nach DocMorris. Oder plant Zur Rose doch noch heimlich mit einem Comeback vor Ort?
Die Gerichte kehren derweil den Scherbenhaufen zusammen, den die Kollegen aus Luxemburg hinterlassen haben. Das Landgericht Köln hat sich zerknirscht korrigiert und frühere Ordnungsgeldbeschlüsse gegen DocMorris aufgehoben. Das ist insoweit unerheblich, als die Zur Rose-Tochter die Strafen sowieso nie gezahlt hat, dafür sitzt man schließlich hinter der holländischen Grenze. Ärgerlich für die Apothekerkammer Nordrhein ist, dass man wegen dieser ex tunc-Entscheidung jetzt auf den ganzen Verfahrenskosten sitzenbleibt. Ist aber noch nicht zu Ende. Das OLG Stuttgart hat wenigstens bestätigt, dass DocMorris den eigenen Kunden nicht dabei helfen darf, die Krankenkasse oder das Finanzamt zu betrügen.
Ein weiterer Nachteil für EU-Versandapotheken, den der EuGH unbedingt ausgleichen sollte, ist die Tatsache, dass sie keine Notdienste leisten dürfen. Damit entgehen ihnen all diese schönen Anekdoten, von denen ihre niedergelassenen Kollegen erzählen können. Ein Apotheker stand jetzt sogar wegen eines Krankheitsfalls am Notdienst-Pranger.
Und manchmal passieren auch tagsüber seltsame Dinge. Dass sich ein Arzt bei den Apothekern entschuldigt zum Beispiel. Die Freuden des Alltags in lustigen Comics festgehalten hat der Mann einer Apothekerin, womit er gleichzeitig ein super Weihnachtsgeschenk hatte. Dafür haben wir die absurdesten Kundenwünsche in Form falsch ausgesprochener Markennamen in bunte Bildchen übersetzt. Aber lachen sie selbst! Und zum Schluss noch ein paar Tipps, woran Sie Testkäufer erkennen. Schönes Wochenende!