Einbrecher fordern barrierefreie Apotheken Alexander Müller, 09.04.2016 07:56 Uhr
Die Zahl der Wohnungseinbrüche nimmt seit Jahren zu. Doch seit die KfW die Einrichtung von Schutzmaßnahmen fördert, sichern die Bürger ihre Wohnungen immer besser ab. Und nicht nur sie. Auch immer mehr Apotheken erschweren mit Gittern, Alarmanlagen und Videoüberwachung den nächtlichen Besuch. Dagegen will sich die Einbrecher-Innung Deutschland (EID) zur Wehr setzen. Die Interessenvertretung der Diebesgilde verweist auf die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und fordert barrierefreien Zugang zu allen Apotheken.
Früher sei er immer über die Schleuse für den Großhandel eingestiegen, berichtet ein gelernter und erfahrener Einbrecher, der namentlich nie genannt werden will. Ganz selten nur habe er dabei die leicht zugänglichen Türen beschädigen müssen, den ganzen Einbruch habe er oft in 20 Minuten abgewickelt – bei anständiger Beute.
Heute dagegen mühe er sich oft schon eine Viertelstunde am Rolltor ab, berichtet der Einbrecher. Gullideckel oder ähnliches durch die Scheibe zu schmeißen, sei nicht sein Stil – die Schaufenster seien oft so schön dekoriert. „Das täte mir leid.“ Was ihm die Freude an der nachtnächtlichen Arbeit wahrlich vermiest, ist die Erfolgsquote: In den Kassen sei immer weniger Geld. Und an den Safes mühe er sich schon gar nicht mehr ab: Der illegale Versandhandel habe im Geschäft mit erbeuteten Betäubungsmitteln (BtM) die Preise versaut. „Da gab es in den letzten Jahren einen regelrechten Einbruch.“
Beide Probleme sind der EID bekannt. Die Innung verfolgt daher eine Doppelstrategie. Sie will den barrierefreien Zugang zur Apotheke notfalls einklagen, da die heutige Situation das Recht auf freie Berufsausübung verletze. Auf der anderen Seite unterstützt EID die Forderungen der Apotheker nach einer Honorarerhöhung. Immer weniger Bargeld in der Apotheke, veraltete, fast wertlose Technik – und bei geklauter Ware melde sich immer öfter der Großhandel bei EID und mache Eigentumsvorbehalt geltend. „Unser Geschäft ist ein Geben und Nehmen. Aber wenn uns die Apotheker nichts mehr geben, können wir uns auch nichts mehr nehmen“, so ein EID-Sprecher.
Zum Glück für die EID machen es nicht alle Apotheken den Einbrechern so schwer: große Glasflächen und Schiebetüren mit einfachem Bodenschloss laden zur Nacht der offenen Tür. Das hat wiederum ein anderes Geschäft belebt. Versicherer geben Tipps, um die Apotheke sicherer zu machen. Der Fall von Abdel Nasser Sakka zeigt, dass es schon hilft, wenn die Einbrecher merken, dass sie nicht viel Zeit haben.
Es sind aber nicht nur die Panzerknacker, vor denen sich die Apotheker schützen müssen. Apotheker Carsten Moser erhielt eine Zuschrift auf eine Stellenanzeige, die sich als Erpressungsversuch herausstellte: Das auf den ersten Blick einwandfreie Anschreiben war in Wahrheit eine finstere Phishing-Mail. Glücklicherweise lud Moser den Anhang mit der angeblichen Bewerbungsmappe nicht herunter. Das war nämlich in Wahrheit ein Trojaner, der seinen Rechner lahmgelegt hätte.
Und wer nie Opfer krimineller Machenschaften wird, hat immer noch die Krankenkassen. Eine Wirkstoffverordnung über Tacrolimus bescherte einem Apotheker aus Niedersachsen eine Retaxation in Höhe von 1027,46 Euro. Die Angestellten wollten einen Transplantationspatienten nicht wieder in die Praxis schicken, um ein neues Rezept zu holen. Dem Pharmazeuten lag auch der Entlassungsbericht vor. Da er sich an die Angaben gehalten hat, sah er den Sinn der Substitutionsausschlussliste erfüllt. Die DAK Gesundheit ließ den Einspruch nicht gelten. Bei der Aut-idem-Liste sind Wirkstoffverordnungen unklar und damit retaxfähig. Der Apotheker hat sich über die fehlende Kulanz nicht gewundert.
Stiller als andere, aber stetig wachsend, hat die Apothekenkooperation Avie die Marke von 200 Mitgliedern geknackt. Für den Verbund, der zur Kohl-Gruppe gehört, ein schöner Erfolg. Für Apotheker Jens Boving bereits die dritte Apotheke in Zusammenarbeit mit Avie. Er ist von dem Konzept anscheinend vollkommen überzeugt.
Dr. Volkmar Schein dagegen hat sich aus dem operativen Geschäft der Versandapotheke Sanicare zurückgezogen. Die gehört seit anderthalb Jahren zur offenen Handelsgesellschaft (OHG) BS-Apotheken mit zwei Chefs. Künftig wird der Onlinehandel nur noch von einem Apotheker geleitet: Christoph Bertram hat das Ruder komplett übernommen.
Kaufmännischer Leiter bei der Versandapotheke Sanicare ist Detlef Dusel. Aber nicht nur das: Außerdem ist er Vorsitzender bei der Apothekenkooperation Pharm-Net. Teilnehmende Apotheker zahlen dort einen monatlichen Beitrag von mindestens 250 Euro für das Basismodul. Alle weiteren Leistungen kosten extra. Das saarländische Unternehmen hat sich Verstärkung in den Vorstand geholt: Andreas Jeske unterstützt nun Dusel.
Die AOK versucht jetzt in der Fläche, die Zyto-Apotheker gegeneinander auszuspielen und legt einen Vertrag vor, der ziemlich viele Risiken auf sie abwälzt. Sie müssen 15 Erklärungen abgeben und verpflichten sich damit nicht nur dazu, zeitnah zu liefern, sondern auch für einen Ersatz zu sorgen – wenn die Reinraumbude abfackelt oder eine Epidemie die Belegschaft lahmlegt.
Die Preise hingegen sind knallhart kalkuliert. Verwürfe müssen die Apotheken einkalkulieren – und bei einigen Wirkstoffen sind Reste gar nicht vorgesehen. Ohne Reste zu arbeiten, ist aus Sicht von Dr. Stephan Stadler nicht möglich, da viele Ausgangsstoffe nur kurz haltbar sind. Er geht davon aus, dass die Krankenkassen die Apotheker mit Retaxationen bedrohen und so dazu drängen, auch verfallene Ausgangsstoffe zu verarbeiten.
Auch Dr. Karsten Flau kann mit den Vorgaben der Krankenkassen nicht mehr arbeiten. Einen schwer inkontinenten Patienten mit einer Pauschale von rund 15 Euro netto zu versorgen, wie es die Knappschaft und die Techniker Krankenkassen wünschen, sei unmöglich, sagt er. Flau hat deshalb beschlossen, den Verträgen nicht mehr beizutreten und seinen Kunden stattdessen Sonderpreise auf Inkontinenzprodukte zu machen. Aufstand gegen die Drückerverträge also – mit dem schlechten Gefühl, dass die Kasse damit endgültig am Ziel ist.
Auf dem Bewertungsportal Jameda werden unzufriedene Kunden gegenüber Apothekenmitarbeitern teils sehr persönlich. Es geht aber auch anders: Die Erfurter Beethoven-Apotheke und die Augsburger Spitzweg-Apotheke wurden von Kunden online in den höchsten Tönen gelobt. Die Inhaber setzen auf intensive Beratung und zuvorkommendes Personal. Im Netz weniger beliebte Kollegen müssen sich aber auch nicht mehr alles gefallen lassen: Der BGH hat entschieden, dass Portalbetreiber von den Schmähkritikern Beweise einfordern müssen, wenn der Bewertete eine Fake-Bewertung vermutet.
Was war noch wichtig im Markt: Mylan will Meda kaufen, doch in Deutschland ist der schwedische Hersteller deutlich größer. Die Frage lautet: Wer frisst wen? Die Noweda dagegen wächst weiter und hat eine neue Dependance in Böblingen eröffnet. Nicht so gut auf den Großhandel allgemein zu sprechen ist die Firma Boehringer. Der Konzern moniert, mehr Jardiance in den Handel gegeben zu haben, als bei den Patienten ankommt; Lieferengpässe der etwas anderen Art. Lieferengpässe bei Laif werden für Bayer zum Krisenszenario: In den ersten beiden Monaten sind die Abverkäufe um die Hälfte eingebrochen, die Konkurrenten sind auf der Pirsch und stellen dem Platzhirsch nach.
Was in der nächsten Woche wichtig wird: Schon am Montag trifft sich die Schiedsstelle in Sachen Retaxationen. Der Vorsitzende Dr. Rainer Hess hat einen Vorschlag in der Tasche und will am liebsten eine einvernehmliche Lösung. Das wird erfahrungsgemäß schwierig. Mitte der Woche sollte das Anti-Korruptionsgesetz verabschiedet werden. Karl Lauterbach hat den Kompromiss zwar noch einmal angegriffen, wurde unionsseitig von Maria Michalk aber gleich abgebügelt: Entweder wie besprochen, oder gar nicht. Klare Ansage. Die Union will in der kommenden Woche auch über den Sinn und Unsinn von Zytostatika-Ausschreibungen beraten. Und die Ergebnisse des Pharmadialogs werden präsentiert. Also: Schön ausschlafen am Wochenende!