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7+1=Mittwoch

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Berlin -

Der Apotheker steht am HV-Tisch und streckt dem Patienten die linke Faust entgegen. Mit dem rechten Zeigefinger tippt er abwechselnd auf seine Knöchel und dazwischen und murmelt vor sich hin: „April, Mai, Juni…“ „Was machen Sie da?“, fragt der Kunde. Antwortet der Apotheker: „Geht gleich weiter. Ich prüfe nur schnell, wie viele Tage dieser Monat für Ihre Kasse hat.“ Er will nicht schon wieder wegen eines vermeintlich abgelaufenen Rezeptes retaxiert werden.

Selbst das „kleine Rosane“, ein stinknormales Kassenrezept also, hat seine Tücken. Es ist je nach Kasse zwischen 28 und 30 Tagen gültig, oder es gibt eine Monatsfrist, die mit Ablauf des Monatstages, der dem der Ausstellung entspricht, endet. Das klingt komplizierter als es ist. Aber das ist nicht alles: Der Apotheker muss auch wissen, ob er das Arzneimittel fristgerecht beliefern muss oder ob die Vorlage entscheidend ist. Im Notdienst hat sogar der Glockenschlag Mitternacht schon Retaxationen ausgelöst.

Und wenn ein Monat nicht ein Monat ist, wieso sollte dann eine Woche eine Woche sein? Betäubungsmittel (BtM) dürfen nicht auf eine Verordnung abgegeben werden, „die vor mehr als sieben Tagen ausgefertigt wurde“. Ein T-Rezept über thalidomid-, lenalidomid- und pomalidomidhaltige Arzneimittel ist dagegen sechs Tage nach dem Tag der Ausstellung gültig. Merken Sie den Unterschied?

Für das ebenfalls teratogene Isotretinoin hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wiederum in einem Leitfaden vorgeschlagen, dass das Medikament innerhalb von sieben Tagen nach dem Verordnungsdatum abgegeben werden muss. Damit hat sich die Bonner Behörde sogar selbst verwirrt: Auf sich widersprechende Aussagen zu dieser Frist hingewiesen, zog sich die Fachabteilung über Wochen zur Beratung zurück. Das Ergebnis wird den Apothekern voraussichtlich mitgeteilt, wenn das nächste Mal in einem Jahr mit nur ungeraden Ziffern der 19. Dezember auf einen Sonntag fällt.

Der Apotheker hat seine Knöchel zu Ende gezählt und teilt dem Kunden nun freudig mit, dass er sein Rezept beliefern darf. Der Kunde lächelt verständnislos. Das Rabattarzneimittel ist zwar nicht verfügbar, aber der Apotheker bekommt mittlerweile von seinem Großhändler recht problemlos ein Entschuldigungsschreiben für die Kasse, dass der Hersteller unpässlich ist. Also auch mit der Sonder-PZN gibt es keine Probleme. Jetzt kann er das Präparat abgeben und hat sich seine knapp sieben Euro redlich verdient.

Doch kurz vor der Abgabe blickt der Apotheker – das hat er sich angewöhnt – noch einmal auf das Rezept und sieht im Arztstempel: „Dr. H. Unger“. Traurig blickt er den Kunden an und gibt ihm das Rezept zurück. Denn der ist bei der IKK Classic versichert. Und die Kasse findet, dass es mit der Friedenspflicht reicht. Rezepte mit abgekürztem Namen oder fehlender Telefonnummer werden jetzt retaxiert.

Dabei hat sogar der Ersatzkassenverband VDEK seine Retaxrüpel von der DAK an die Leine genommen und von der Arztstempel-Retax abgehalten. Auch die anderen Kassen sind friedlich, zumal der Gesetzgeber diesen Unfug ohnehin demnächst korrigieren will. Sich selbst korrigiert hat – nach einiger Debatte – die AOK Sachsen-Anhalt. Die hatte tatsächlich die Bezeichnung „Bereitschaftsdienstarzt“ retaxiert, obwohl der Stempelvordruck von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) selbst entwickelt und sogar mit einer Schwesterkasse abgestimmt war.

Der Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit weist leider nicht aus, wie viel ein Mitarbeiter in einer Retaxstelle verdient. Dafür aber für Apotheker, PTA & Co. Die Statistik hat zwar erkennbare Schwächen, interessant ist es trotzdem, weil bestimmte Tendenzen sichtbar werden. Besonders deutlich: Verglichen mit anderen Berufen verdienen alle Mitarbeiter in Apotheken viel zu wenig.

So schlimm, dass sich der Inhaber nicht einmal mehr den Obolus zu seiner Werbegemeinschaft leisten könnte, sollte es aber nicht sein. Das Finanzielle war wohl auch nicht das Motiv eines Center-Apothekers in Dresden. Für ein paar hundert Euro stritt er mit seinem Werbeverein um Mitgliedsbeiträge, verlor immer wieder und wurde jetzt letztinstanzlich vom Bundesgerichtshof (BGH) zur Zahlung verdonnert. Die Werbegemeinschaft wartet aber weiter auf ihr Geld: Die Apotheke ist geschlossen, Geld und Apotheker derzeit nicht aufzutreiben.

Als Kampfansage an Pfizer zu verstehen ist das neue Produkt von Stadavita: Unter der Dachmarke Eunova ist seit Anfang Mai ein direkter Konkurrent zu Vitasprint auf dem Markt. Hochdosiertes Vitamin B12 belebt das Geschäft. Stada startet gleich mit Kampagne, ohne würde es gegen den Platzhirschen auch schwierig. Ein Maxmo-Apotheker entwickelt derweil seine eigenen Mikronährstoffe.

Der Apotheker mit den Knöcheln und dem Rezeptfehler will seinem Kunden wenigstens noch etwas Gutes tun. Vitamin B12 hat dieser genug, aber ein bisschen verspannt sieht er aus. Doch ein Wärmepflaster lehnt er dankend ab – das bekomme er von Amazon. Der Goliath-Versender bietet Sparabos für eine ganze Reihe von Produkten, die Apotheker auch ganz gerne verkaufen.

Einen Vorteil hat es, wenn sich der Apotheker nicht mehr mit dem Abverkauf margenstarker Nebenprodukte befassen muss: Er hat mehr Zeit für den Medikationscheck. Und den Check des Medikationschecks. Jetzt war der NDR in Niedersachsens Apotheken unterwegs und hat sich das Modell Athina erklären lassen. Mit dem Wechselwirkungscheck ist das Kamerateam zufrieden, aber an den Kosten gibt es natürlich Kritik. Und natürlich böse Worte von den Hausärzten. Was auch sonst.

In zwei anderen Kammerbezirken eifern die Apotheker den Ärzten nach – in puncto Fehleranalyse. Auf einem Portal können Fehler oder Beinahe-Fehler gemeldet werden, anonym und sanktionsfrei für die Apotheke. Das Ziel: Alle sollen besser werden. Um die Behebung formeller Fehler geht es nicht, sondern um Patientensicherheit. Im Grunde genau wie bei Retaxationen, nur genau umgekehrt.

Ein Mittel gegen Retaxationen ist eine gute Abstimmung mit den Ärzten in der Umgebung. Aus Sicht des Oberlandesgerichts Naumburg (OLG) ist es auch in Ordnung, wenn der Doktor die Rezepte gleich an zwei Partnerapotheken schickt – sofern der Patient vorher darum gebeten hat. Zwar hatten die Richter auch ihre Zweifel, ob das alles mit rechten Dingen zugeht, doch die Wettbewerbszentrale hätte die Rezeptzuweisung besser beweisen müssen. Vielleicht geht der Fall jetzt vor den BGH.

So weit sind der Großhändler Gehe und der Hersteller Wörwag noch nicht. Die Treffen sich im Juni zunächst vor den Landgericht Stuttgart. Es geht mutmaßlich um Skonto – und zwar nicht um dessen Rechtmäßigkeit, sondern schlicht und einfach um die Höhe. Die Großhändler kämpfen für ihre eigenen Einkaufskonditionen – und damit die der Apotheker. Richtig so, bitte vorn beginnen. Viel Erfolg! Und schönes Wochenende!

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