Bloß nichts abgeben! Patrick Hollstein, 24.06.2017 07:59 Uhr
Autsch, das tat weh. Irgendwo bei Kilometer 3 bekam Christoph Straub plötzlich keine Luft mehr. Eigentlich war der Barmer-Chef beim Firmenlauf der DAK Gesundheit angetreten, um zu zeigen, wer die schneidigere Kasse ist. Aber atemlos durch Sanssouci, das konnte nicht lange gut gehen. War er nicht gerade an einer Apotheke vorbeigelaufen? Schnell zurück. Doch er sollte sein blaues Wunder erleben.
Wie es sich traf, hatte die Lustgarten-Apotheke tatsächlich gerade Notdienst. Was für ein Glück. Raus aus den Laufklamotten, rein in den Anzug. Wie gut, dass er seinen Arztausweis dabei hatte. Für alle Fälle. Er war zwar schon seit 1992 nicht mehr praktisch tätig, aber was konnte sich schon groß verändert haben! Einmal Salbutamol bitte. Was meinen Sie? Firma? Ist mir egal.
Doch so einfach war die Sache nicht. Dass das Rabattarzneimittel fehlte, war nicht weiter schlimm. Die Apothekerin erkannte schnell, dass es sich um einen Akutfall handelte. Aber leider, leider hatte sie auch keines der drei günstigsten Generika an Lager. Und auch keinen wirtschaftlichen Import. Letzte Chance: Sagen Sie mal eine Firma, Herr Straub! Ähm, Stada. Oh nein – daneben. Auch nicht das namentlich verordnete! Tut mir leid. Auf Wiedersehen.
So oder so ähnlich könnte es demnächst vielen Barmer-Versicherten gehen. Nicht Herrn Straub, denn der bezieht als Kassenboss ein fürstliches Gehalt von 280.000 Euro. Aber so manchem Baby, das dringend ein Antibiotikum einnehmen soll, oder dem Rentner, der unverzüglich mit dem Blutdrucksenker versorgt werden muss.
Denn Straubs Wadenbeißer von der Rezeptprüfstelle haben die Devise ausgegeben: Was nicht sein kann, das nicht sein darf. Eine Apotheke, die den Preisanker nicht auswerfen kann, so etwas gibt‘s nicht. Basta. Retaxwelle. Oder jedenfalls werden solche Apotheken nicht von Patienten mit Atemnot (oder anderweitigem Akutbedarf) aufgesucht. Weiß doch jeder, dass es sonst knallt.
Für alle Querulanten aus dem eher ungeordneten Apothekerlager hat die Kasse dann auch noch einen einfachen Ratschlag parat: Einfach mal selbstlos sein. Wenn das Generalalphabet überraschend leer ist oder der Großhandel nicht liefern kann, wäre Verschenken doch eine Option. Jedenfalls sollte kein Apotheker auf die Idee verfallen, aus Angst vor einer Vollabsetzung die Patienten ihre dringend nötige Medikation aus eigener Tasche zahlen zu lassen. A-r-z-n-e-i-v-e-r-s-o-r-g-u-n-g-s-v-e-r-t-r-a-g, erinnert ein Zeigefingerheber (vulgo: Sprecher) aus Wuppertal. „Es gibt keinen Grund, warum Dritte die Verantwortung übernehmen sollen, wenn Apothekerinnen oder Apotheker gegen vertragliche Vereinbarungen verstoßen.“
Tun sie ja auch nicht. Schließlich hat kein Geringerer als Straub sie im Namen der Arge Parezu noch einmal offiziell daran erinnert, dass „bei Wind und Wetter“ retaxiert wird. Womit der Unterschied zu den Nautikern aus dem BMG auch schon erklärt wäre, die lieber bei Sonneschein in See stechen. „Wir halten uns an Gesetze und nicht an Interpretationen“, schnaubt Straub. Sah das Sozialgericht Altenburg genauso.
Was blöd ist: So wie die Ärzte der Regress vor der eigenen Praxis zurückschrecken lässt, sehen die Apotheker das Retaxrisiko irgendwie so gar nicht als Kick. Jedenfalls wenden sich immer mehr Jungpharmazeuten von der Offizin ab – mit Blick auf die Selbstständigkeit sieht es noch düsterer aus. Mitunter kann man froh sein, wenn wie im brandenburgischen Bad Liebenwerda ein Hundertjähriger die Stellung hält.
„Halt Apotheker! Lasst das Klagen sein“, ruft ihnen vom Spielfeldrand ein befreundeter Banker zu – wohlwissend, dass er auch morgen noch Genossen braucht, die kraftvoll zubeißen können. Tretet aus eurer miefigen Ecke hinaus ins Licht, die Patienten werden Euch auch in Zukunft mögen! Gut, vielleicht auch als Angestellte in einer Kette.
Dabei sind es nicht nur die Kassen, die einem den Spaß am Beruf vergällen. Angeleckte Rezepte und bekleckerte Packungen nerven genauso wie Mundgeruch oder die Frage am Telefon: „Ist die neue Umschau schon da?“ Nein, das will keiner gerne, der vier Jahre studiert hat. Selbst die Bild hat schon erkannt, wie dickfellig Apothekenmitarbeiter manchmal sein müssen. Allenfalls die Rezeptur nach Feierabend ist noch so etwas wie ein Appell an das berufliche Gewissen.
Schade nur, wenn dann – wie bei Cannabis – gleich wieder nur über die Kosten debattiert wird. Bei Augentropfen interessiert es doch auch niemanden, dass das Fertigarzneimittel fast 50-mal so teuer ist wie die bis dahin aufwändig hergestellte Einzelanfertigung. Die übrigens auch retaxiert wurde, sei der Vollständigkeit halber hinzugefügt. Und wenn man dann etwas kostenlos anbietet wie den Medikationsplan, ist‘s auch wieder nicht recht.
Viel mehr Sexappeal haben nach wie vor die Versandapotheken. Gut, DocMorris muss in Hüffenhardt erst einmal Pause machen – ein Apotheker aus der Nachbarschaft meldet schonmal Interesse für den Automaten an. Ach ja, und dann muss sich DocMorris noch mit nervig fragenden CSU-Politikern herumschlagen – wenigstens müssen die Bazis in Sachen Parkinson-Vereinigung blechen.
Alles in allem ist die Stimmung aber gut. 230 Millionen Franken an der Börse einzusammeln, sollte jedenfalls für Zur Rose ein Klacks sein. Wo doch bei Stada (vielleicht) Kasse gemacht wird und Celesio – wegen Brexit und so – auch nicht mehr das Richtige ist. Bei Medpex hat man auch schon lange Zähne bekommen und einen Umzug nach Holland ins Auge gefasst. Ist ja auch leichter, als echte Apotheker mit GmbH-Mänteln einzukleiden.
Amazon lädt derweil die Partnerapotheker zum Krisen-Call, weil irgendein Vogel sie abgemahnt hat. Nun will er auch noch ernsthaft vor Gericht ziehen. Was soll das denn? Voll 90er! Und Ralf Däinhaus muss einräumen, dass seine Firma Aegate eine Pleite hingelegt hat. Aber wie gesagt: Im Grundsatz ist die Stimmung gut. Beste Pharmazonalando-Zeiten. Letzte Chance zur Rettung, mahnt Kathrin Vogler von Die Linke.
Ein bisschen gut, das muss man einräumen, war die Stimmung in dieser Woche auch in den Apotheken. Still und heimlich hatten sich Adexa und Arbeitgeber auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Der sollte, obschon rückwirkend zum 1. Juni in Kraft gesetzt, noch ein bisschen geheim bleiben. Eine kleine Überraschung auf dem Gehaltszettel hatten sich die Verhandler wohl vorgestellt. Gibt doch sonst nicht viel zu lachen.
Plus 2,5 Prozent bringt die Damen am HV ja ein Stück weiter weg von der Armutsgrenze. Nur pünktlich ankommen auf dem Bankkonto sollte das Geld dann auch noch. Aber wem's nicht passt, der kann ja umziehen. Jetzt erst einmal: Schönes Wochenende.