Der Besorgungszettel, mit dem der Apotheker von seiner Frau zum Wochenendeinkauf in den Supermarkt geschickt wurde, ist lang. Als er in der Gemüseabteilung Küchenkräuter „in Arzneibuchqualität“ entdeckt, denkt er sich nichts dabei. Auch dass Wick Medinait im Schnapsregal steht, überrascht ihn nicht. An den Anblick von Almased direkt an der Fleischtheke hat er sich sowieso gewöhnt, und dass er Finalgon bei Tabasco findet, ist auch nicht neu. Aus den Schuhen wirft ihn erst der Blick ins Kühlregal: Dort liegen, zwischen Fischstäbchen und Pizza aufgereiht, Insuline und Impfstoffe zum Schnäppchenpreis.
Die Drogeriekette dm hat Apothekenkosmetik ausgelistet, weil Nachschub doch eher schwierig zu beschaffen war. Die Kapitulation in Karlsruhe hat beim Lebensmitteleinzelhandel offenbar den Jagdinstinkt geweckt. Jedenfalls tauchen apothekenexklusive Marken neuerdings in Supermärkten auf.
Verschiedene Filialen von Kaufland und Edeka bieten Sortimente aus der Offizin zu Schnäppchenpreisen an. Ein Edeka-Markt in Frankfurt etwa vertreibt aktuell die apothekenexklusive Kosmetik Vichy – eingepfercht zwischen Nivea, den Pflegemasken von Schaebens und der Eigenmarke Elkos.
Bei Kaufland im baden-württembergischen Ludwigsburg gibt es gleich einen ganzen Schwung an Marken aus der Apotheke: Von Cetebe Abwehrplus (GSK) über Vitamin B-Komplex Ratiopharm bis hin zu Centrum, Thermacare und Baldriparan (Pfizer), Yokebe und XLS Medical (Omega), Isla Moos (Engelhard), Formoline L112 (Certmedica), Kohle-Compretten (Merck) sowie Basica (Protina).
Vielleicht haben die Graumarkthändler nach dem Abschied von dm auch schlichtweg nach neuen Abnehmern gesucht. Derzeit fragt die Firma Vicico aus Hannover nach Thermalwasser-Produkten aus der Offizin. Die Pharmazeuten sollen ihre Preisvorstellungen nennen, mindestens 500 Packungen werden gesucht, eine Grenze nach oben gibt es nicht. Die betroffenen Hersteller Pierre Fabre und L’Oréal wollen das Unternehmen stoppen und notfalls juristisch gegen den Anbieter vorgehen.
Nicht alle Hersteller haben Vorbehalte gegen ein zweites Standbein im Mass Market. Dr. Wolff etwa bringt gerade sein Haarwuchsprodukt Plantur 39 bei der Drogeriekette dm in die Regale. „Jetzt neu: Kapseln bei dm-drogerie markt im Shampooregal. Eine gute Nachricht für viele Frauen mit Haarproblemen“, heißt es in einer Zeitungsanzeige. „Apotheker werden aber weiterhin bedient.“ Eigentlich ein Fall für den Hohlspiegel. Wenn's nicht so bescheuert wäre.
Bedient von Dr. Wolff ist auch Apotheker Holger Dubben aus Bergheim in Nordrhein-Westfalen. Er hat brav die Produkte des Herstellers aus Bielefeld entsprechend den Vorgaben in „Premium-Augenhöhe“ platziert. Doch anstelle von Konditionen gab es eine Kündigung seitens der Firma: Er habe nicht ausreichend Verkaufserlöse erwirtschaftet. Die aber seien nie vereinbart gewesen, ärgert sich der Apotheker und hat die Geschäftsführung angeschrieben. Fortsetzung folgt.
Freilich: Andere Branchen haben es noch schwerer. Seit Mai bietet der Naturkosthersteller Davert seine Produkte auch bei dm an – Biomärkte und Reformhäuser müssen zusehen, wie die Drogeriekette in ihrem Segment wildert. Der Hersteller Barnhouse bekennt sich in einem offenen Brief an seine Kunden zum Fachhandel – fordert aber umgekehrt von diesen mehr Fachmarkentreue.
Die Apotheker sehen es ähnlich: Jeder zweite findet, dass die Abwanderung von exklusiven Produkten aus der Offizin schlecht für das Image sowohl der Marke, als auch der Apotheke sei. Jeder dritte Teilnehmer einer Umfrage sieht sogar schon massive Umsatzverluste.
Wer jetzt ungläubig den Kopf schüttelt, der sollte sich mal bei Ebay umsehen. Im Online-Auktionshaus hat ein einziger privater Anbieter in den vergangenen Jahren knapp 900 Packungen Blutzuckertests an den Mann gebracht, insgesamt rund 44.000 einzelne Teststreifen. Amazon will das Geschäft nicht nur den Händlern am Marktplatz überlassen und hat ein paar Packungen Orthomol selbst ins Angebot aufgenommen.
Andere Hersteller wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, dass ihre Produkte aus der Apotheke abwandern. Das beste Mittel ist natürlich, auch die Apotheke gar nicht erst zu beliefern. Berlin-Chemie hat derzeit einen Engpass beim Rabattpräparat Berlosin, aber der ist produktionstechnisch bedingt. AstraZeneca dagegen hat das Instrument der strategischen Verknappung erkannt und kontingentiert seine Produkte. Wer mehr als fünf Packungen Onglyza pro Monat benötigt, macht sich verdächtig. Der Konzern vermutet unedle Ausfuhrabsichten.
Eine Möglichkeit, um Exporte zumindest statistisch auszugleichen, ist der Reimport. Für den gibt es sogar eine Förderklausel: Mindestens 5 Prozent des Umsatzes je Kasse müssen Apotheken mit Reimporten machen. Blöd nur, wenn der Patient partout nicht mitspielt. Dann helfen auch kein Aut-idem-Kreuz oder Sonderkennzeichen. War halt blöd verhandelt. Auch die 80 Euro für das Medikationsmanagement sind laut Apotheker Dietmar Bittenbinder nicht der Weisheit letzter Schluss.
Besser machen wollte es der DAV jetzt beim Thema Retaxationen. Erst wurde mit dem GKV-Spitzenverband unter großen Anstrengungen ein Deal ausgehandelt. Dann wurde der Gesetzgeber aufgefordert, zwei Kategorien für Formfehler zu definieren und unbedeutende Schludrigkeiten von den vereinbarten Sanktionen auszuschließen. Kann man ja mal versuchen. Hätten die Kassen auch nicht anders gemacht.
Ausschließen sollte man Retaxationen auch in Fällen, in denen die Software nicht mitspielt. Mehrere Apotheker haben sich in den vergangenen Wochen einen Computervirus eingefangen, der das System lahm legte. Wie viele Kollegen betroffen waren, ist unklar: Die Spanne reicht von „Einzelfälle“ bis mehrere Hundert. Die Angriffe werden eher zu- als abnehmen und raffinierter werden. IT-Experte Peter Meyer rät Apothekern, unbedingt einen Fachmann mit dem Schutz ihrer EDV und ihrer Daten zu beauftragen und beim Mailen und Surfen vorsichtig zu sein.
Bei aller Skepsis gegenüber dem Internet: Apotheken sollten sich den digitalen Medien nicht verschließen, findet Inma Riu. Die Pharmazeutin aus Spanien hat sich auf den Einsatz von sozialen Medien im Apothekenumfeld spezialisiert. In ihrem Heimatland sind Apotheker bereits Youtube-Stars. Themen, die die Nutzer interessierten, hätten eigentlich alle Kollegen genug, sagt sie. Im Internet könnten Apotheker sich zeitgleich als Gesundheitsexperten etablieren und für ihre Apotheke werben. Allerdings: Mit Gewinnspielen oder Rabatten alleine sei es nicht getan.
Womit wir zum Schluss bei DocMorris wären. Zur Rose hat einen Investor gefunden und 20 Millionen Franken eingesammelt. Die Kapitalspritze soll für den Wiedereinstieg ins Rx-Geschäft genutzt werden, der Generalanwalt hat die Fantasie der Geldgeber beflügelt. Die Versandapotheke wähnt sich schon auf der Sonnenseite – aber Eincremen nicht vergessen. Schönes Wochenende.
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