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Der große Razzia-Report

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Berlin -

Donnerstagmorgen, kurz nach Sonnenaufgang. Überall in Deutschland machen sich Kriminalbeamte bereit für den Einsatz. Waffe nicht vergessen: Gegenwehr sei in diesem Metier nicht auszuschließen, haben die Kommissare ihren Leuten eingeschärft. In seinem Büro in Bonn verfolgt Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, das Geschehen am Monitor in Echtzeit. Er hätte lieber das Apothekenmonopol stürmen lassen. Stattdessen geht es nun zum Großhandelskartell. Was soll's. Zugriff!

Der Großhandelschef hat eigentlich gute Laune an diesem Morgen. An der Konditionenfront ist es seit Wochen ruhig – Urlaubszeit, Sommerloch oder vielleicht doch eine Verschwörung seiner Leute, so genau will er das gar nicht wissen. Fröhlich pfeift er den Evergreen „Knallrotes Gummiboot“. Im Auto vorhin hat er an seinen alten Kumpel Trümper und die Mär vom gemeinsamen Boot denken müssen. Da hat er gelacht.

Als er das Büro betritt, sieht ihn der Pförtner verstört an. War der schon immer so merkwürdig? Bevor er sich die Frage selbst beantworten kann, wird er von hinten zu Boden gestoßen. Einen Stiefel im Gesicht, ist es ihm unmöglich zu schreien, geschweige denn seinen Namen zu sagen. Aber da hat der bullige Beamte über ihm schon Portemonnaie und Ausweis aus seiner Tasche gezogen. Mitkommen! Keine Fragen stellen!

Als sich die Situation beruhigt hat und die Beamten zu Kaffee (Marke „Black Coffee Pharmacy“) und Plätzchen greifen, erfährt er endlich, was los ist. Sein Unternehmen soll sich nach dem Ende der Rabattschlacht Anfang 2016 mit den anderen sieben Playern der Branche darauf verständigt haben, sich gegenseitig keine Apotheken mehr abspenstig zu machen. Konkret sollen ab Juli keine neuen Angebote als Hauptlieferant mehr angenommen worden sein.

Wir? Das kann nicht sein. Kein Blatt passt zwischen uns und unsere Apotheken. Waffenstillstand? Wir haben doch gar keine Waffen. Absprachen: Niemals! Verdient doch eh keiner mehr Geld. Und überhaupt: Die Großhandelswelt ist klein, man kennt sich und versteht sich. Man trifft sich, demnächst erst wieder bei der Elac-Tagung auf Mallorca. Was soll daran verwerflich sein?

Den ganzen Tag lang durchsuchen die Beamten Akten, spiegeln Festplatten, befragen Mitarbeiter. Acht Firmen haben so oder so ähnlich Besuch bekommen. 50 Mitarbeiter aus Bonn waren im Einsatz, dazu zahlreiche Kripo-Leute. Am frühen Abend ist der Spuk endlich vorbei, alle beteuern ihre Unschuld und Kooperationsbereitschaft. Jeder, der dabei war, hat zu Hause etwas zu erzählen. Und die Branche hat endlich wieder ein Kartellverfahren.

Solche Probleme hätte man sich am Montag bei Walter Bouhon gewünscht. Irgendjemand beim traditionsreichen Kosmetikhersteller hatte die gute Idee, den Staub auf Frei Öl zum 50-jährigen Jubiläum der Marke mit einer Hauruck-Aktion fortzublasen. Alle sollten mitfeiern, jeder ein Geschenk bekommen. Und einen HV-Aufsteller, wenn er nicht das Kleingedruckte las und schnell genug reagierte.

Nur leider hatte niemand in Nürnberg daran gedacht, dass Apotheker solche Überraschungen nicht mögen. Und dass sie rechtlich auch gar nicht zulässig sind. Stichwort: Belästigung. So kam es, wie es kommen musste: Hunderte Apotheker machten ihrem Ärger Luft, diskutierten, stornierten, boykottierten, was das Zeug hielt. In Nürnberg ist man versucht, sich keine Unsicherheit anmerken zu lassen: Ja, es habe auch emotionale Reaktionen gegeben, insgesamt sei die Aktion aber „extrem gut“ angekommen. Aha.

Einen ähnlichen Image-GAU fürchtet man auch bei Bayer. Der Pharma- und Chemiekonzern wird zum Chemie- und Pharmakonzern. 66 Milliarden US-Dollar zahlen die Leverkusener für den – von Waffenherstelllern und Minenbetreibern abgesehen – Konzern mit dem schlechtesten Ruf der Welt: Monsanto.

Um die Meinungsbildung in die richtigen Bahnen zu lenken, hat Bayer flächendeckend Anzeigen und Werbebanner für sein Vorhaben geschaltet. Und verschenkt im Oktober Rennie und Lefax an Apothekenkunden, möchte man hinzufügen, auch wenn das nichts damit zu tun hat. Trotzdem bleibt bleibt die Frage: Glyphosat und Iberogast, passt das wirklich zusammen? Andererseits: Allzu rosig sieht es bei den Phytos derzeit auch nicht aus. Stichwort: Laif.

Bei Sanofi wiederum war man letzthin in der Produktion etwas durcheinander gekommen. Weil nicht mehr so recht nachzuvollziehen war, welcher Blister in welcher Packung gelandet war, zog man eine ganze Charge Amlodipin zurück.

Weder kaputte noch verwechselte Tabletten gab es zuletzt von Metoprolol und Novaminsulfon. Der Markt war leer gefegt, doch noch vor Erstellung der ersten verbindlichen Liste mit kritischen Wirkstoffen konnte zumindest das Schmerzmittel von Zentiva wieder ausgeliefert werden. In einer Apotheke hat man sich so sehr über „die erste große Lieferung seit Juli“ gefreut, dass ein PTA ein Foto der 30 Packungen ins Netz gestellt hat. Dafür gab es Szenenapplaus.

Keine Tabletten bekommen hat auch Giselind B. Allerdings nicht wegen eines Engpasses, sondern weil sie Rezeptpflichtiges bei einer dubiosen Website bestellt und Geld nach Spanien überwiesen hat. Hätte sie mal bei Ebay geguckt. Da ist die Ware zwar verfallen, aber immerhin gibt es Käuferschutz.

Ein weiterer Tipp wäre die gefälschte Versandapotheke der ABDA gewesen. Aponet-shop.com ist die logische Erweiterung von Aponet: ein bunter Webshop für Potenzmittel, wenn auch illegal. Das Impressum sollte man im Blick behalten: Vertretungsberechtigter Präsident ist derzeit Friedemann Schmidt. Könnte sich bald ändern.

Einen Wechsel wird es definitiv bei der KKH geben. Noch ein Jahr hat Ingo Kailuweit, bevor er nach 45 Jahren im Dienst der Kasse in den Ruhestand geht. Er hatte in den vergangenen Jahren immer wieder mit Kritik am Apothekenhonorar für Schlagzeilen gesorgt. Dabei sollte er lieber einmal in seinen eigenen Reihen nachsehen: Trotz Zusatzbeiträgen haben sich die Kassenchefs ihre Vorstandsgehälter deutlich erhöht. Platz 4 unter den Spitzenverdienern hält der KKH-Chef nach seinen Kollegen von TK, Barmer und DAK. Mit 216.000 Euro liegt er deutlich über dem Durchschnittsapotheker.

Möglich machen solche Exzesse auch die Einnahmen aus den Retaxationen. Defektbelege sollten hieb- und stichfest sein und am besten jede Bezugsmöglichkeit sicher ausschließen. Eine gute Masche sind auch Darreichungsformen: Was als Original nicht austauschbar ist, kann über einen Import doch noch als Vertragsbruch ausgelegt werden.

Kein Wunder, dass so mancher Apotheker keinen Nachfolger findet. Uwe Scheerschmidt aus Hohenlinden hatte sich Ende vergangenen Jahres zur Aufgabe seiner Apotheke nach mehr als 30 Jahren entschlossen. Noch vor wenigen Wochen schien ein Interessent in Sicht. Doch das erhoffte Happy End ist wohl geplatzt.

Auch Angelika Zipplies musste im Chemnitzer Stadtteil Morgenleite ihre Apotheke räumen. Sie hat viel Geld verloren und ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt – allerdings nicht wegen der Kassen, sondern weil sie Opfer einer jahrelangen Fehde zwischen zwei Geschäftsleuten geworden ist.

Keine Angst, mit so trüben Themen entlassen wir Sie nicht ins Wochenende. Freudentränen, Gänsehaut und Momente, die für immer bleiben, gibt es gelegentlich auch im Apothekenmarkt: Das Finale des Gesangswettbewerbs „Revoice of Pharmacy“ von APOTHEKE ADHOC und Pohl-Boskamp war vollgepackt mit Emotionen und positiver Energie. Fünf junge Talente konnten nach zweitägigem Workshop in Berlin ihren Coach so sehr überzeugen, dass er sie wiedersehen will. Na also, geht doch. Schönes Wochenende.

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