Wie 2016 hätte gewesen sein können Alexander Müller, 31.12.2016 08:11 Uhr
So ein richtig tolles Jahr war 2016 nicht für die Apotheker. Doch statt den ganzen Ärger in einem ausschweifenden Rückblick Revue passieren zu lassen, stellen Sie sich lieber vor, wie 2016 hätte gewesen sein können. Wenn Richter gerechter, Großhändler großzügiger oder Apothekentester sattelfester gewesen wären.
Mit Übergewicht aus den Weihnachtsferien in den Januar gestartet. Und auch wenn die guten Vorsätze am Jahresende oft nicht mehr so hübsch aussehen wie am Anfang, steht auch 2016 bei Vielen zunächst Abspecken auf dem Programm. Das wissen natürlich auch die Supermärkte, Netto und Kaufland wollen sich Almased besorgen und zum Ramschpreis verticken. Aber nicht mit den Großhändlern: Keine einzige Dose wird an der Apotheke vorbei geschleust, der Graumarkt ist auf Null-Diät. Und wer abnehmen wollte, muss in die Offizin.
Die Drogeriekette dm zieht im Februar nach und listet nicht nur die gesamte Apothekenkosmetik aus, sondern auch alle freiverkäuflichen Arzneimittel, die so gerne den Eindruck erwecken, irgendeine belegte Wirkung zu haben. Außerdem verabschiedet sich die Konzernspitze feierlich komplett vom Pick-up. Bei der Mitarbeiterversammlung gibt es stehende Ovationen – die zusätzlichen Postschalter-Aufgaben waren nie besonders beliebt beim Drogeriemarktpersonal. Und dann die ständige Angst, ein Versandapothekenkunde könnte nicht ordentlich beraten sein und an der Kasse Fragen stellen.
DocMorris will sich als Reaktion darauf eigentlich selbst in eine Pick-up-Stelle verwandeln. Doch die Pläne für den Abholautomat werden schnell wieder verworfen. Denn als das Management die leerstehende Apotheke in Hüffenhardt betritt und dieser wundervolle Geruch in der Luft liegt, da wird es den Herren etwas wehmütig ums Herz. Kurzerhand wird dort also ein Info-Center eingerichtet, in dem sich die Bürger seither über die Leistungen der Apotheke vor Ort und die Vorzüge einer wohnortnahen Versorgung informieren können. Für Teams einschlägiger TV-Magazine werden dort Schulungen abgehalten.
Die AOK Hessen hatte vor dem Bundessozialgericht gewonnen und hätte den Zyto-Apothekern ohne Exklusivvertrag eigentlich 15 Millionen Euro abziehen dürfen. Aber das erscheint der Kasse dann doch zu hart, immerhin waren die Krebspatienten ja alle ordnungsgemäß versorgt worden. Die AOK retaxiert einen symbolischen Betrag von 15 Euro. Die Apotheker lassen ihre Verfassungsbeschwerde fallen – obwohl sie damit durchgekommen wären.
Im März steht der nächste „Showdown in Luxemburg“ an – das Rx-Boni-Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die Verhandlung ist kurz, die Richter wirken auf neutrale Beobachter etwas gelangweilt. Wer kann es ihnen verübeln? Dass die Mitgliedsstaaten das Niveau der Gesundheitsversorgung selbst regeln dürfen, ist schließlich schon vor Jahren geklärt worden.
Nur am Ende wird es noch einmal spannend: Als die EuGH-Richter erfahren, dass DocMorris rechtskräftige Urteile zu den illegalen Boni missachtete, werden die Vertreter zur Kasse gebeten. Weil das Bargeld knapp nicht reicht, müssen sie zum Spülen in die EuGH-Küche.
Apropos Geldeintreiben: Zeitgleich legt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einen Gesetzentwurf vor: Überstehen Apotheken die erniedrigende Betriebsprüfung ohne Beanstandung, bekommen sie als Entschädigung 50.000 Euro aus der Staatskasse. Norbert Walter-Borjans (SPD) erhält eine gerichtliche Verfügung, dass er nicht mehr sagen darf, Apotheker seien schlimmer als Wirte.
Und deshalb gibt es in der Apotheke auch keinen Deckel. Schon gar nicht beim Honorar. Die Gesundheitspolitiker von Union und SPD möchten ganz im Gegenteil etwas Druck aus dem Kessel lassen und den Deckel aufheben – den der Großhändler. Die sollen auch für Hochpreiser anständig vergütet werden. Der Phagro erklärt in einer Note, man werde die Mehreinnahmen 1:1 an die Apotheken weiterreichen. Das Kartellamt drückt in diesem Fall ein Auge zu und durchsucht zur Abwechslung die eigene Datenbank nach erfolgreichen Durchsuchungen.
Die DAK hatte gerade erklärt, dass sie ab sofort sogar Blankorezepte erstatten werde, wenn pharmazeutische Bedenken vermerkt sind, da werden Null-Retaxationen endgültig und für alle Zeiten abgeschafft. Die Vertreter des GKV-Spitzenverbands haben nämlich im Schiedsverfahren die Teilnehmerliste nicht unterschrieben, weshalb ihre Redebeiträge nicht in den Schiedsspruch einfließen können. Ein Formfehler zwar, aber Dr. Rainer Hess muss hier Strenge walten lassen. Der neue Rahmenvertrag sieht vor, dass Apotheken Arzneimittel abgeben und die Kassen diese bezahlen. Eine Revolution.
Im Juni geht es wieder vor Gericht: Der Generalanwalt beim EuGH erklärt in seinen Schlussanträgen, dass Apothekenpreise seien müssen wie die Überzeugung von einer richtigen Sache: fest. Skonti bleiben erlaubt, solange sie unter 10 Prozent bleiben.
Als Hartmut Retzlaff bei der Stada abgesägt werden soll, überschreibt er die Firma kurzerhand den Apothekern. Das geht, weil der Name Programm ist. Mit den Kassen wird vereinbart, dass das Standardarzneimittel der Apotheker bei jedem Rabattvertrag abgegeben werden darf, egal wer eigentlich Partner ist.
Doch es kommt noch besser für die Apotheker: Im Juli beschließt die Koalition eine Anhebung des Rezepturhonorars. Die Apotheker sollen einfach den durchschnittlichen Stundenlohn eines Handwerkmeisters veranschlagen und minutengenau abrechnen. Großzügig erklärt die ABDA daraufhin, dass es bei der bisherigen Vergütung bei der BtM-Dokumentation bleiben kann.
Die neuen Zyto-Verträge der AOK laufen nicht ganz so gut an wie erhofft. Als ein verzweifelter Krebspatient im August eine Mitarbeiterin der Kasse bedroht, ziehen die Verantwortlichen bei der AOK die einzig richtige Konsequenz: Die Exklusivverträge werden sofort eingestampft und mit den Apothekern wird vernünftig über die Hilfstaxe diskutiert. Die anderen Kassen ziehen nach und kommen so dem geplanten Verbot seitens des Gesetzgebers zuvor. Ein mutige Entscheidung und ein gutes Signal an die Selbstverwaltung.
Ein Missverständnis im September führt zu einer kurzen Eintrübung. Ein Schreiben der AOK Rheinland/Hamburg liest sich zunächst so, als verlange die Kasse bei Defekten ab sofort Belege von zwei Großhändlern. Gemeint ist, dass die Hersteller belegen müssen, wann sie Ware so kontingentieren, dass sie nur auf dem Papier noch lieferfähig sind. Apotheken müssen nur noch die Sonder-PZN aufdrucken, bei Metoprolol und Novaminsulfon nicht einmal dies.
Im Oktober dann die Entscheidung des EuGH: Das Huhn war zuerst da, dann das Ei. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) verbietet trotzdem den Rx-Versandhandel, Zyto-Ausschreibungen und nervige Apothekenkunden im Notdienst. Die ABDA verbietet Karabinerhaken.
Wilfried Hollmann hat die Noweda weit nach vorne gebracht, ein Ziel aber noch nicht erreicht. Seine Genossenschaft ist noch immer nicht die Nummer 1 im Markt. Deshalb will er Phoenix übernehmen, das also ist der geheime Verehrer! Das Kartellamt will vor der Prüfung erst nochmal alle Großhändler durchsuchen. Pharma Privat beruft sich auf seine Privatspähre und geht gestärkt aus der Sache hervor.
Die FDP hofft auf einen Wiedereinzug in den Bundestag und schaltet eine TV-Kampagne: Danke, Apotheke! Mit den Wort- und Bildrechte hält es Parteichef Christian Lindner, nun ja, liberal. Trotzdem ist der politische Gegner alarmiert: Karl Lauterbach (SPD) vermutet treue Wähler unter den Apothekern und will jeder Offizin eine Fotofix-Kabine spendieren, um neue Kundschaft in die Apotheke zu locken.
Und dann ist Weihnachten und die Apotheker wissen gar nicht, was sie sich noch wünschen sollen. Wir wünschen Ihnen jedenfalls einen guten Rutsch ins neue Jahr und ein 2017, an dessen Ende ein solcher Beitrag unmöglich zu schreiben sein wird.