Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Dachte sich vor mehr als 15 Jahren schon Ralf Däinghaus, als er mit DocMorris eine gesetzliche Vorschrift nach der anderen erst brach und dann zu Fall brachte. Dieses Erbe halten seine unternehmerischen Kindeskinder in Ehren. Doch im Vergleich zu multinationalen Internetkonzernen gehört die niederländische Versandapotheke in die Kategorie „Kleinganoven“. Plattform-Kapitalisten machen nach Ansicht von Digitalisierungsexperten das Leben der Apotheker bald schöner – und schrecklicher zugleich.
Als der Apotheker am Montagmorgen den Computer einschaltet, sind bereits 20 Bestellungen im System eingegangen. Die Bestätigungshäkchen sind schnell gesetzt, den Rest erledigt der Pharmazeutisch-technische Abgabeautomat (A-Robot). Damit ist das Tagwerk auch schon vollbracht, Kunden verirren sich nur noch selten in die Apotheke, seit Google die Aufträge nach einem festen Algorithmus verteilt. Wenn der Internetriese den Hahn allerdings zudreht, gehen die Lichter aus.
Utopie? Nein: Plattform-Kapitalismus, findet Sascha Lobo. Der Internetexperte sorgte bei der Digitalkonferenz VISION.A von APOTHEKE ADHOC für einen ebenso schwungvollen wie substanzbeladenen Start. Wo Datenströme zusammenfließen, lassen sich aus seiner Sicht ganze Märkte aufrollen – und zwar auch Branchen, die direkte Anknüpfung in die dingliche Welt haben.
Patienten seien bereit, Informationen gegen Nutzen einzutauschen. Medikamente mit Sensoren könnten Daten zur Erfolgskontrolle liefern – und der Plattformbetreiber irgendwann auch die Versorgung steuern. Die Apotheken sollten sich kopfüber in die Debatte hineinstürzen, findet Lobo – nicht blindlings, aber schon kopfüber. „Wo sind Plattformmodelle, die für unseren Markt entscheidend sein können“, sei die alles entscheidende Frage, die man sich rechtzeitig stellen müsse.
Auch Professor Dr. Gerd Folkers von der ETH Zürich glaubt nicht, dass die Apotheken die Digitalisierung und Automatisierung aufhalten können. Abgabeautomaten seien nur eine Frage der Zeit – und keine Gefahr: Der Experte für Pharmazeutische Chemie und Wissenschaftsforschung ist überzeugt, dass die persönliche Beratung ein entscheidender Gegenpol zur Algorithmisierung sein wird. Auch die Apotheker sind zuversichtlich, dass ihnen die Digitalisierung nützen wird.
Zur Rose springt schon auf den Zug auf. In Bremen und Bayern will die Versandapotheke das E-Rezept testen, der Deutsche Hausärzteärzteverband (HÄV) und der Kassendienstleister GWQ sind bereits an Bord. Gemeinsam wollen sich die Rezeptdigitalisierer um die DocMorris-Mutter aus der Schweiz für Gelder aus dem Innovationsfonds bewerben – ein Wiedersehen mit Josef Hecken steht an.
Ein Stelldichein gab es in dieser Woche bereits beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Den Angriff auf das Fremdbesitzverbot hatten die Revoluzzer 2009 noch verloren, diesmal soll die Festpreisbindung zu Fall gebracht werden. In der Verhandlung versprach DocMorris, im Fall der Fälle mit Automaten und Bussen die Versorgung zu sichern. Anfang Juni verrät der Generalanwalt, ob ihm das Trapsen der Nachtigall gefallen hat oder nicht.
Dabei pfeifen längst die Spatzen von den Dächern, dass die Versandapotheke den Standortnachteil gerne in Kauf nimmt, wenn der Kuckuck kein gültiges Visum hat. Hinter der offenbar nur in eine Richtung durchlässigen Grenze müssen die Bonibetrüger kein Unbill fürchten: Die Vollstrecker vom Landgericht Köln sahen sich jedenfalls außerstande, die bislang verhängten Ordnungsgelder in Höhe von einer Million Euro einzutreiben. Forderungen über 250.000 Euro sind bereits verjährt – und können demnächst wieder in schnellen Kundenfang investiert werden.
Die Apothekerkammer Nordrhein vermutet sogar, dass das Vögelchen aus Holland in Wahrheit eine diebische Elster ist. Ein beauftragter Rechtsanwalt wittert einen Steuerbetrug zu Lasten des deutschen Fiskus: Für GKV-Umsätze zahle DocMorris keine Mehrwertsteuer – die Kasse als Schuldner mangels Unterscheidbarkeit zwischen ausländischen und deutschen Apotheken jedoch ebenfalls nicht. Beweise dafür gibt es allerdings nicht.
Ausgeschlossen werden soll Steuerbetrug jedenfalls bei deutschen Apotheken. Nach langem Streit hat die SPD den Koalitionspartner überzeugt, dass endlich manipulationssichere EDV her muss. Vor allem im Gastgewerbe und im inhabergeführten Einzelhandel gebe es Steuerbetrug in schockierendem Umfang. „Auch bei Apothekern gibt es schwarze Schafe.“ Noch im Sommer soll Finanzminister Wolfgang Schäuble einen Gesetzentwurf vorlegen.
Als gierige Geier zeigten sich wieder die Kassen: Die AOK hat nach dem Urteil des Bundessozialgerichts gleich in fünf Bundesländern die Versorgung mit Sterilrezepturen ausgeschrieben – Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein. Schon im Juli sollen die Verträge starten – nur noch Apotheken mit Vertrag sollen dann Onkologen beliefern dürfen. Die gute Nachricht dabei: eine Retaxfalle weniger.
Dafür gibt es aber schon eine neue: Klinikärzte können ab sofort im Rahmen des Entlassmanagements Arzneimittel verordnen. Apotheken müssen aufpassen: Die Rezepte sehen zwar aus wie normale Verordnungen, dürfen aber nur drei Tage lang beliefert werden. Außerdem dürfen auf den Rezepten lediglich Packungen mit dem kleinsten Packungsgrößenkennzeichen verordnet werden.
Bunte Pfauen gab es auch noch: Philipp Lahm bringt als Pharmaunternehmer Glamour in die Branche, die Stada zaubert an einem Schönheitstrank. 15 andere Unternehmen räumten bei den VISION.A Awards ab. Sie wurden für besondere digitale Konzepte im Apotheken- und Pharmamarkt ausgezeichnet.
APOTHEKE ADHOC Debatte