Der Geiselnehmer von Köln nahm eine Apotheken-Mitarbeiterin in seine Gewalt, quälte sie stundenlang. Laut neuesten Ermittlungsergebnissen hatte er die Geisel schon angezündet – da schritt das SEK ein. Der Syrer hatte Gaskartuschen und Brandbeschleuniger bei sich, befestigte sie am Körper der Frau. Offiziell wurde bekanntgegeben, dass die Geisel nur leicht verletzt sei. Aber unabhängig davon gilt in solchen Fällen: Was passiert mit Menschen, die nach einem solchen Schock realisieren, was ihnen widerfahren ist? Wie geht es dem Opfer am Tag danach? Wie ein Jahr später?
Das Mitgefühl der Kollegen begleitet die Angestellte der Apotheke im Bahnhof in diesen schweren Stunden. So schreibt zum Beispiel ein APOTHEKE ADHOC-Leser: „Ich wünsche der Kollegin viel Kraft, dieses schreckliche Trauma zu überwinden. Blendgranaten, Schüsse und Todesangst steckt man nicht so leicht weg, wenn überhaupt. In der Presse wurde darauf nicht eingegangen. Sie wurde als ‚leicht verletzt‘ abgetan. Dabei sind die psychischen Wunden vermutlich sehr tiefgreifend.“
Immer wieder liest man, dass man in Fällen wie diesen versuchen soll, möglichst ruhig auf den Täter einzureden, ihn im Idealfall zur Aufgabe zu bewegen. In diesem Fall war wohl jegliche Kommunikation unmöglich, denn der 55-jährige Syrer spricht nur Arabisch.
Unsicherheit, Herzrasen, Angst, Schlafstörungen – das sind nur einige der vielen Symptome, die Apothekenmitarbeiter erleben, wenn sie Opfer eines Überfalls wurden. Oft ist es schwierig, wieder in ein „normales“ Leben zurückzufinden. Apothekenüberfälle gehören zum traurigen Alltag, Apotheken sind ein beliebtes Ziel für Verbrecher. Oft gehen die Täter, die teilweise unter dem Einfluss von Drogen stehen, mit großer Brutalität vor. Sie haben wenig zu verlieren, vermuten viel Geld in der Kasse und versprechen sich von ihrem Überfall schnellen Erfolg. Oder sie haben es auf Medikamente abgesehen, für die sie kein Rezept haben. Was sie damit ihren Opfern antun, ist ihnen meist egal.
Irgendwann ist der Täter verschwunden. Die Erinnerung bleibt. Eine gute Anlaufstelle für Opfer ist die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Ist der Täter über alle Berge, herrscht zuerst Erleichterung, dass man die Sache halbwegs glimpflich überstanden hat. Aber häufig treten in den Tagen und Wochen nach dem Überfall Symptome auf. „Versicherte der BGW haben Anspruch auf Leistungen, die ihnen helfen, das Erlebte so gut und schnell es geht zu bewältigen und zu einem normalen Leben zurückzufinden“, sagt ein BGW-Sprecher.
Heike Schambortski, Diplompsychologin und Leiterin Gesamtbereich Präventionsdienste des BGW, sagt: „Ein Überfall ist eine psychische Ausnahmesituation, man hat in der Regel große Angst und das Gefühl, dass das eigene Leben bedroht ist. Das hat natürlich auch psychische Folgen, wobei nicht jeder Mensch es so verarbeitet, dass es langfristige psychische Folgen gibt. Ein Teil der Opfer entwickelt eine posttraumatische Belastungssituation. Dabei gibt es Vorstufen, man erinnert sich zum Beispiel immer wieder an die Situation, schläft schlecht, hat Flashbacks. Alleine der Anblick des Arbeitsplatzes kann ausreichen, dass die Gefühle wieder hochkommen. Das können sehr schwerwiegende psychische Beeinträchtigungen sein, die einen langfristig krank machen können.“ Die Arbeitspsychologin erklärt: „Wichtig ist, dass schnelle Hilfe angeboten wird.“
Die BGW offeriert unbürokratisch erste Unterstützung und sorgt dafür, dass psychische Beeinträchtigungen umfassend behandelt werden. Die Beratung ist kostenlos, unverbindlich und vertraulich.
Viele Opfer suchen die Hilfe eines Psychotherapeuten. Das kann auf normalem Weg lange dauern, denn die Praxen der Spezialisten sind überfüllt. Ein großer Vorteil der BGW-Hilfe: Sie vermittelt sofort erfahrene Psychotherapeuten. Ohne weitere Prüfung oder Genehmigung sind dort fünf sogenannte probatorische Sitzungen möglich. Das sind fünf von Krankenkassen genehmigungsfreie Sitzungen, bei denen geklärt werden soll, ob sich die Störung verhaltenstherapeutisch behandeln lässt.
Auch Kollegen können viel tun, um Opfern eines Überfalls den Weg in den Alltag zu erleichtern. „Kollegen sollten das Opfer niemals auffordern, zu erzählen, was es erlebt hat“, sagt die Arbeitspsychologin. Keinesfalls sollte man Sätze sagen wie: „Das hättest Du aber wirklich anders machen können.“ Denn: „Bohrende Fragen können Flashbacks auslösen."
Besser sei, Verständnis zu zeigen: „Es geht darum, zuzuhören. Und zuzulassen, dass jemand weint, Taschentücher reichen und trösten.“ Kollegen könnten Trost spenden, indem sie „einfach nur da“ seien. Auch das Verhalten der Kollegen direkt nach einem Überfall ist wichtig: „Man sollte jemanden nicht einfach alleine nach Hause schicken nach so einem Ereignis.“ Die Kollegen sollten prüfen, ob das Opfer überhaupt fahrtüchtig sei und es gegebenenfalls nach Hause fahren.
Laut einer APOSCOPE-Umfrage ist die Angst unter Apothekenmitarbeitern vor Straftaten in den vergangenen Jahren angestiegen. Mehr als zwei Drittel der Befragten gaben an, dass es in ihrer Apotheke in den vergangenen zwei Jahren einen oder mehrere Vorfälle gab. 13 Prozent aller Apotheker haben schon einmal einen Überfall erlebt. 4,4 Prozent wurden Opfer eines Raubüberfalls, bei dem sie zur Herausgabe von Bargeld oder Medikamenten genötigt wurden.
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