Arzneimittelfälscher

Als Apotheke getarnt: Kriminelle kapern Versandapothekenregister

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Berlin -

Weil sich im Internet allerlei dubiose Gestalten tummeln, sollen Patienten beim Online-Kauf von Arzneimitteln speziell geschützt werden: Ein Blick ins Versandapothekenregister – schon kann man sicher sein, dass man bei einem seriösen Anbieter gelandet ist. Doch jetzt ist ein Fall aufgetaucht, in dem es Kriminellen gelungen ist, sich in die Liste zu schmuggeln. Die Behörden sind in Erklärungsnot.

Schon bei der Zulassung des Versandhandels im Jahr 2004 war ein Argument der Gegner, dass es für Verbraucher unmöglich sei, im Internet legale von illegalen Anbietern zu unterscheiden. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ließ daher durch das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ein Siegel entwickeln, das nur an zugelassene Versandapotheken vergeben wird.

Das DIMDI-Siegel wurde am 21. April 2009 eingeführt und im Oktober 2015 durch das EU-Sicherheitslogo ersetzt. Zugelassene Versender binden das Symbol auf ihrer Website ein, ein Klick darauf führt den Nutzer zur DIMDI-Datenbank, in der alle Apotheken mit Versanderlaubnis aufgelistet sind. So soll der Verbraucher ohne viel Aufwand überprüfen können, ob die Apotheke tatsächlich registriert ist und es sich um einen seriösen Anbieter handelt. „Überprüfen Sie jeden Arzneimittelhändler sorgfältig, ehe Sie dort bestellen!“, rät das DIMDI. Umgekehrt lassen sich aus der Übersicht gezielt die Websites der registrierten Versandapotheken ansteuern. „Das Register enthält nur die Apotheken, die eine behördliche Erlaubnis zum Versand von Arzneimitteln für Deutschland besitzen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 AMG)“, heißt es auf der DIMDI-Website.

Doch APOTHEKE ADHOC hat einen Fall aufgedeckt, der das System grundsätzlich in Frage stellt. Unter der Nummer 1482 wird aktuell die Nord-Apotheke in Gießen geführt – mit Adresse, Telefonnummer, E-Mail, Website und der zuständigen Aufsichtsbehörde. Der Betrieb hat aber bereits vor mehr als einem Jahr dicht gemacht: Am 21. April 2018 sperrte Inhaberin Ingrid Quambusch für immer zu – der Vermieter hatte ihr das Messer auf die Brust gesetzt.

Der Eintrag ist aber mehr als eine Karteileiche. Denn klickt man auf den registrierten Link, landet man plötzlich auf der Website www.profit-gesundheitsservice.de. „ApoEU“, steht links oben in der Ecke. „Deutsche günstige Online-Apotheke – Bestellen billige medikamente online“, lautet der Subclaim.

Dass es sich hier um keinen seriösen Anbieter handelt, wird jedem halbwegs sachkundigen Betrachter schnell klar. Weder Impressum, noch EU-Versandhandelssiegel oder irgendeine Angabe zu den Betreibern finden sich auf der Seite – dafür ein nicht verifiziertes DMCA-Siegel aus den USA. Auch die beiden angegebenen Hotlines – eine mit britischer Vorwahl, eine mit der Vorwahl der Inselgruppe Amerikanisch Samoa – führen nicht weiter: Obwohl angeblich rund um die Uhr besetzt, nimmt weder bei der einen, noch der anderen Leitung jemand ab.

Wie konnte es passieren, dass die Fake-Apotheke es ins offizielle Register geschafft hat? „Für den Inhalt des Registers sind die Stellen verantwortlich, die nach Landesrecht für die Apothekenüberwachung zuständig sind“, heißt es auf der Website des DIMDI. Als Aufsichtsbehörde für die Nord-Apotheke zuständig war das Regierungspräsidium Darmstadt. So steht es auch noch immer in der DIMDI-Liste, auch wenn die angegebene Telefonnummer ins falsche Dezernat der Behörde führt – nämlich zur Hersteller- statt Apothekenüberwachung. Das gilt übrigens für alle Versandapotheken, die dem RP Darmstadt unterstellt sind.

Normalerweise ist das Regierungspräsidium auch dafür verantwortlich, Änderungen im Versandregister anzustoßen. Wird eine Apotheke für den Versandhandel zugelassen, teilt die jeweilige Aufsichtsbehörde dies dem DIMDI mit. Der Versender wird dann in die Liste eingetragen, mit allen Kontaktdaten, einer oder mehrere Internetadressen des Shops sowie Kontakt zur Aufsichtsbehörde. Jeder Anbieter erhält zudem eine vierstellige VR-Nummer. Verliert die Apotheke ihre Versanderlaubnis, gibt die Behörde wiederum dem DIMDI Bescheid, damit der Eintrag gelöscht wird.

Im Fall der Nord-Apotheke Gießen wäre es auch Aufgabe des RP Darmstadt gewesen, die Apotheke wieder abzumelden. Die Behörde untersucht derzeit noch, warum das in diesem Fall versäumt wurde. Eine Stellungnahme steht noch aus.

Das DIMDI selbst überwacht nach Aussage einer Sprecherin nicht, ob die Einträge im Register korrekt sind oder nicht. „Das sind 4000 bis 5000 Einträge, die können wir nicht alle kontrollieren. Da sind wir auf die Behörden angewiesen“, sagte sie auf Nachfrage. Auf Zuruf von außen würden auch keine Einträge entfernt, der Impuls muss in jedem Fall von der Behörde kommen.

Und was sagt die ehemalige Inhaberin dazu, deren Namen sich die Kriminellen im Internet zunutze machen? Einen „richtigen Schreck“ bekommt sie, als sie davon erfährt. Quambusch hofft, dass die Weiterleitung so schnell wie möglich verschwindet. Sie ist geschockt und überrumpelt: „Meinen Kollegen und mir ist so etwas noch nie passiert.“ Jedoch glaubt sie, dass die Masche Methode hat: „In letzter Zeit haben ja viele Apotheken zugemacht, da werden viele Internetseiten frei“, befürchtet die Apothekerin für die Zukunft Schlimmes.

Quambusch hatte sich für ihren Betrieb eine Versanderlaubnis eingeholt; ein Fan des Versandhandels sei sie jedoch nicht: „Ich habe mir die Erlaubnis geholt, um mich rechtlich abzusichern. Manchmal kommt es ja vor, dass ein Kunde im Urlaub oder einfach nicht zu Hause ist. Dann habe ich die benötigten Medikamente nachgeschickt.“ Zudem wollte Quambusch sich mit der Versanderlaubnis fit für die Zukunft machen: „Ich wusste ja nicht, was auf uns Apotheker im Arbeitsalltag noch zukommt.“

Für ihre Website nutzte sie den Service Apotheken.de. Mit dem Ende der Apotheke beantragte sie fristgerecht die Löschung der Webseite beim Deutschen Apotheker Verlag. Zum Jahresbeginn 2019 gab dieser die Rechte an die zentrale Registrierungsstelle für Internetseiten in Deutschland Denic zurück. Von dort wurde die ehemalige Domain der Nord-Apotheke am 19. April 2019 weiterverkauft – an wen, wird aus Datenschutzgründen nicht bekannt gemacht.

Man muss nicht sachkundig sein um zu erkennen, dass der Webshop nichts mit Apotheke zu tun hat. Deutschkenntnisse und gesunder Menschenverstand reichen aus, um zu erkennen, dass es sich um eine illegale Apotheke handelt: „Die Mannschaft Apotheke hat darum gesorgt, damit jeder Mann in der Bundesrepublik Deutschland heikle Probleme ohne überflüssige Geldaufwendungen lösen konnte“, stellt sich das vermeintliche Apothekenteam selbst vor. Ausgerechnet die FAQ zum rechtlichen Status des Anbieters ist gleich gar nicht ins Deutsche übersetzt.

„Wir sind ein breites Netz von shop apotheke, die entsprechen allen Standarten von der Weltgesundheitsorganisation“, heißt es an anderer Stelle. „Einwandfreies Service und Kundendienst haben bei uns Vorrang. Wir schätzen unsere Kunden und bemühen uns sie immer mit dem reibungslosen Service zu gewährleisten und machen alles Mögliche, damit unsere Kunden nie bedauern, dass sie sich für unsere Online-Apotheke entschieden haben.“

Laut Eigendarstellung richtet sich die Seite vor allem an Männer mit Problemen wie Erektionsstörungen. „Sex ist in der Lage, sowohl den moralischen als auch physischen Zustand zu beeinflussen. Bestellen Sie das nötige Medikament mit nur ein paar Klicks, und wir liefern Ihnen sofort das Mittel in jede Stadt Deutschlands, Österreichs, Schweiz.“ Und natürlich ist das wichtigste Argument auch hier das Geld: „Wir haben Preise auf alle Waren auf 10-15% unter den Marktpreisen eingestellt. Außerdem gibt es in der Apotheke flexibles Rabattsystem und Loyalitätsprogramm für Stammkunden.“ Von Rezepten oder Verschreibungspflicht ist hingegen an keiner Stelle die Rede.

Trotzdem gibt es das ganze Sortiment an legalen und illegalen Potenzmitteln: Sildenafil, Tadalafil, Vardenafil und Kamagra, aber auch Kuriositäten wie „Viagra Gold“. Von welchem Hersteller es stammen soll, ist der Produktbeschreibung nicht zu entnehmen. Dafür fettgedruckt das Versprechen „Ihre Erektion wird stärker als Sie sich die jemals vorstellen könnten!“ Die Preise liegen zwischen 27 Euro für 10 Pillen generisches Sildenafil – ohne dass ein Hersteller angegeben wäre – und 740 Euro für 360 Pillen „Super Kamagra“ des indischen Herstellers Ajanta. Kamagra ist eines der beliebtesten Potenzmittel in illegalen Online-Apotheken.

„Wir arbeiten nur mit den geprüften Lieferanten und garantieren hohe Qualität von Medikamenten“, heißt es auf der Website weiter. Wer sich dennoch unsicher ist, ob er wirklich bestellen soll, für den haben die Seitenbetreiber noch ein besonderes Angebot: „Kaufen günstig potenzmittel testpackung“. Drei verschiedene Originalpräparate sollen dort enthalten sein. „Durch diesen Satz hat jeder Kunde die Möglichkeit, das beste Mittel gegen erektile Dysfunktion – Viagra, Cialis und Levitra – zu schmecken.“ Immerhin weist die Seite nicht nur auf die Rücksprache mit Arzt und Apotheker hin, sondern stellt auch klar: „Ihr Sexualtrieb ist nicht im Umfang der Auswirkungen des Medikaments zu enthalten.“

Doch nicht nur Potenzmittel sind in allerlei Darreichungsformen, Packungsgrößen und Wirkstärken erhältlich, auch Antibiotika wie Metronizadol, „Doxycycline“ oder „Amoxycyllin“ werden zu Preisen zwischen 53 und 296 Euro verkauft. Außerdem bieten die Betreiber eine ganze Reihe weiterer, bunt zusammengewürfelter Rx-Präparate an, von der Antibabypille Yasmin über das Asthmamittel Ventolin, den ACE-Hemmer Lisipronil bis zum Antidiabetikum Metformin. Unter dem Stichwort Lasix ist Torasemid Hexal abgebildet, das in Wirkstärken angeboten wird, die gar nicht im Handel sind.

Obwohl fast alle Präparate teurer sind als die gegebenenfalls vorhandenen Originale und Generika, verspricht die Website erhebliche Einsparungen: „Indem wir online arbeiten , sparen wir Mietgebühren, Personal, Ausstattung, und können die ersparten Beträge an Sie weiterreichen.“ Nur auf längere Wartezeiten sollten sich die Kunden einstellen: Bis zu 14 Tage dauert die Lieferung von Originalen, 21 Tage müssen Verbraucher auf Generika warten. Mit dem angebotenen „Express Versand“ ist die Ware innerhalb von 3-14 Tagen da. Sorgen machen sollen sich Verbraucher laut den Betreibern nicht: „Unser System verfügt über Sicherheitssysteme, um Sie gegen Kreditkartenbetrug zu schützen. Benutzer, die versuchen, Kreditkarten in betrügerischer Weise zu benutzen, werden umgehend gemeldet.“

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