Manchmal ist es schwer, den behandelnden Arzt nicht vor dem Kunden zu kritisieren. Anja hat sich dafür verschiedene Strategien zurecht gelegt, die alle nur auf eines abzielen: Ruhe bewahren. Und doch ist dieser Versuch, sich die innere Ausgeglichenheit zu erhalten, nicht immer erfolgreich. So manches trifft sie dann doch unerwartet, und das Wahren der Contenance wird zur beinahe unlösbaren Aufgabe.
Anja steht mit dem Rezept in der Hand vor ihrem Kunden und schließt die Augen. Nur ganz kurz. Nur um innerlich bis 10 zu zählen und nicht direkt mit einer Schimpftirade gegen die Arztpraxis loszulegen. Verordnet ist der Wirkstoff Valsartan von einer Firma, die nicht lieferfähig ist. Mit Aut-idem-Kreuz noch dazu, Anja ist der Meinung, dass die Praxis das besser wissen sollte. Sie hat nämlich wegen identisch ausgestellter Rezepte bereits dort angerufen und um neue Verordnungen gebeten. Das war erst heute – und gestern sogar zweimal.
„Herr Meier, diese Firma liefert zurzeit keine Ware aus. Ich telefoniere mal eben mit ihrem Hausarzt, was wir stattdessen abgeben dürfen." Der Kunde ist verwirrt: „Aber ich habe hier die Lasche von der Tablettenschachtel dabei, die ich das letzte Mal bekommen habe. Die Arzthelferin hat gesagt, ich soll sie ihnen einfach zeigen, sie könnten das dann selbst ändern.“ Er legt ein Stück Pappe vor sich hin – es ist ein Candesartan-Präparat. Ihm zu erklären, dass diese Aussage ausgemachter Unsinn ist, ohne die Praxis als unwissend darzustellen, ist nicht ganz einfach.
Später am Tag sprechen Anja und die beiden angestellten PTA in einer ruhigen Minute über die Kuriositäten des Tages. Es stellt sich heraus, dass auch die Anderen so Einiges erlebt haben. Sonja erzählt: „Bei mir war einer mit Omeprazol 40mg. Auf dem Rezept stand 1/2 - 0 - 1/2. Ich habe ihm gesagt, dass das Kapseln sind, die man nicht teilen kann und darf. Da hat er mir erklärt, wie er das macht. Er öffnet die Kapsel mit einem Messer, lässt den Inhalt auf einen Löffel rieseln und teilt das Pulver dann Pi mal Auge in zwei Teile. Der Arzt hat ihm gesagt, dass das in Ordnung geht und man so Geld sparen kann.“
Als ob es bei Omeprazol um irgendwelche Riesenbeträge ginge, bei denen sich dieser Aufwand lohnen würde! „Ich habe ihm dann erklärt, was die Magensäure mit dem losen Pulver macht und dass es durchaus einen Sinn hat, den Wirkstoff magensaftresistent zu verkapseln. Er hat das auch verstanden und ist dann selbst nochmal in die Praxis gegangen. Später kam er dann mit einem Rezept über die 20 Milligramm Kapseln wieder. Der Arzt war aber wenig erfreut und meinte, wir würden hier übertreiben.“ Das gibt es leider öfter einmal. Statt dankbar zu sein, dass nochmal die Experten über die Verordnung schauen, sind viele einfach nur beleidigt über das Einmischen in ihre Therapiehoheit.
„Naja, dass Ärzte uneinsichtig sind, haben wir ja öfter einmal, nicht wahr Arife?“ Die angesprochene PKA seufzt und wedelt mit einer Verordnung in der Luft herum, während der Telefonhörer zwischen ihrem Ohr und der Schulter klemmt. „Hier! Ich versuche gerade wieder mal bei Frau Dr. Walter durchzukommen. Auf der Rezeptur ist wieder mal keine Dosierung vermerkt. Sie weiß ganz genau, dass die drauf muss, aber sie weigert sich einfach. Das sei nicht ihre, sondern unsere Aufgabe, meint sie immer und dass sie dem Patienten immer direkt sagt, wie er ihre Rezepturen anwenden soll. Bürokratie interessiert sie einfach nicht. Naja – sie kann es sich ja leisten, zur Kasse gebeten werden ja nur wir.“
„Und was hast Du erlebt, Melli?“ fragt Sonja ihre Kollegin. „Du hast doch vorhin auch mit irgendjemandem telefoniert und dabei wenig erfreut ausgesehen.“ Die PTA nickt und grinst ein wenig. „Das kann man wohl sagen – und ich glaube sogar, ich habe die Challenge heute gewonnen. Herr Keller war vorhin da mit einem Simvastatin-Rezept. Ich war verwundert, weil die letzte Verordnung, die er uns darüber gebracht hat, schon fast ein Jahr her war. Ich habe ihn gefragt, ob er dieTabletten auch regelmäßig nimmt. Er sagte daraufhin, dass er mit dem Arzt ausgemacht hat, die Dosis zu verringern, weil seine Werte sich verbessert haben. Er drittelt sie jetzt.“ Anja wundert sich: „Dritteln? Es gibt doch keine Simva mit zwei Bruchkerben, oder?“ Die PTA grinst jetzt von einem Ohr bis zum anderen: „Ich hab ja gesagt, meiner schießt den Vogel ab. Er hat gesagt, dass er jetzt einfach jeden Tag ein Stück abbeißt. Das passt schon so, hätte sein Arzt gesagt.“
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