Ausländische Ärzte

Ärzte: Zuwanderer lösen Fachkräftemangel nicht dpa, 05.10.2017 13:20 Uhr

Im Krankenhaus von Holzminden sind junge Mediziner aus Osteuropa ein Stützpfeiler, in Ostfriesland setzt man auf Ärzte aus Südamerika. Zuwanderer können aber nicht das Problem des Fachkräftemangels lösen, mahnt die Bundesärztekammer. Foto: Elke Hinkelbein
Holzminden/Leer - 

Als argentinischer Arzt in einem ostfriesischen Krankenhaus hat Alvaro Navarro so manche Hürde zu überwinden. Die medizinischen Begriffe auf Latein sind kein Problem, aber Gespräche mit älteren Patienten machten ihn zunächst ratlos. „Plattdeutsch war ein Schock. Das klingt wie eine andere Sprache für mich“, sagt der 27-Jährige, der im August 2016 mit seiner Freundin Diana Grau (27) aus der bevölkerungsreichen Provinz Tucumán in die Kleinstadt Leer kam. Diana Grau, die deutsche Vorfahren hat, macht ihren Facharzt in der Gynäkologie, Navarro als Chirurg. Das örtliche Borromäus-Hospital wirbt seit fünf Jahren intensiv spanischsprechende Mediziner an.

Bundesweit hat sich die Zahl der ausländischen Ärzte binnen sieben Jahren mehr als verdoppelt. 2016 zählte die Bundesärztekammer 41 658 berufstätige ausländische Ärzte, das waren elf Prozent der Ärzteschaft. Besonders viele sind in Provinz-Krankenhäusern angestellt.

Kiryl Halavach etwa stammt aus Weißrussland und hat 2011 das Evangelische Krankenhaus Holzminden bei einem Studentenaustausch kennengelernt. Nach Abschluss seines Studiums in Minsk arbeitet der 29-Jährige seit 2013 im einzigen Krankenhaus der 20.000-Einwohnerstadt im Weserbergland. Patientengespräche machen ihm längst keine Mühe mehr. „Wie geht es Ihnen heute?“, fragt der junge Arzt einen Patienten auf der Chirurgischen Station, der am Tag zuvor am Magen operiert wurde. Nur sein Akzent verrät, dass der 29-Jährige nicht in Deutschland geboren wurde. Von den zehn Assistenzärzten in Halavachs Abteilung stammen neun nicht aus Deutschland.

„Die junge deutsche Generation schielt auf die Work-Life-Balance und sucht sich Stellen in attraktiven Regionen ohne Nachtdienste“, meint der Holzmindener Klinikchef Ralf Königstein. Auch sein eigener Sohn habe Medizin studiert und jetzt eine Stelle an einer Universität in der Schweiz.

Kiryl Halavach musste etwa vier Monate auf seine Berufserlaubnis und eineinhalb Jahre auf die Anerkennung der Approbation warten. Deutsch lernte er schon in der Schule und später am Goethe-Institut in Minsk. Das Krankenhaus in Holzminden hat er bewusst ausgewählt. „Es ist hier viel angenehmer als in einer großen Klinik“, meint der 29-Jährige. „Ich kann immer direkt mit dem Chef sprechen und viel lernen. Die medizinische Betreuung ist auf hohem Niveau.“ Auch Halavachs Frau arbeitet in der Klinik als Gynäkologin. Der kleine Sohn des Paares wurde im benachbarten Höxter geboren. Dass er irgendwann zurück nach Weißrussland gehen oder „weiterwandern“ wird, wie er es ausdrückt, will der angehende Facharzt nicht ausschließen.

„Gerade in ländlichen Regionen leisten Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der
medizinischen Versorgung. In vielen Kliniken käme es ohne sie zu erheblichen personellen Engpässen“, sagt der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery. Jedoch sei auf diese Weise das Fachkräfteproblem nicht zu lösen. „Wir müssen in Deutschland die richtigen Weichen stellen“, betont der Ärztechef. „Die Reform des Medizinstudiums muss zügig umgesetzt werden. Konkret nötig sind neue Auswahlverfahren für das Studium, mehr praktische Anteile und mindestens 1000 neue Studienplätze.“

Solange sich nichts ändert, müssen Provinz-Krankenhäuser kreativ werden, um ihre Stellen zu besetzen. Der Chefarzt im ostfriesischen Borromäus-Hospital, Jörg Leifeld, hat 2012 das Projekt zur Anwerbung von spanischsprachigen Medizinern gestartet und die dreisprachige Internet-Seite www.medicoenalemania.org eingerichtet. Mit Einsparungen im Gesundheitssystem sei in Spanien der Druck vor allem auf dort tätige südamerikanische Ärzte gewachsen, erklärt er.

„Wir unterstützen sie mit Sprachkursen während der Arbeitszeit, es gibt einen Ärztestammtisch in Spanisch und ein Mentorenprogramm“, berichtet der Chef der Urologie und Kinderurologie. Die ausländischen Kollegen werden Leifeld zufolge auch bei Fragen zur Visum-Verlängerung oder Berufsanerkennung unterstützt.

Der Chefarzt findet es gut, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der Approbation mittlerweile bundesweit einheitlich geregelt sind. „Nach meinem Eindruck geht die Berufsanerkennung allerdings zum Beispiel in Sachsen schneller als in Niedersachsen“, sagt er. Gefordert ist ein fortgeschrittenes Sprachniveau (C1), das in einer medizinischen Fachsprachprüfung festgestellt wird.

Die Ärztekammer Niedersachsen etwa erläutert in einem Podcast auf ihrer Internet-Seite, wie diese Prüfung abläuft. Zudem gibt es seit gut drei Jahren ein spezielles Mentorenprogramm für Ärzte, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. „Im Gegensatz zu anderen ausländischen Ärzten konnten die Geflüchteten noch nicht in ihren Heimatländern Deutsch lernen“, sagt der Projektverantwortliche Raimund Dehmlow. „Und die Plätze in den C1-Sprachkursen sind rar.“ Immerhin hätten bisher 5 von 55 betreuten Ärzten im Asyl die Berufserlaubnis oder sogar Approbation erhalten.