Studien

Fettleibigkeit: Immer mehr Kinder betroffen

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Seattle/Stockholm -

Fast jeder dritte Mensch ist übergewichtig. Die Rate der Fettleibigen steigt rasch, besonders unter Kindern. Forscher sprechen von einem der schwierigsten Gesundheitsprobleme.

Weltweit sind Forschern zufolge mehr als zwei Milliarden Menschen übergewichtig oder gar fettleibig – mit weitreichenden Folgen für die Gesundheit. Eine Studie zeigt nun, dass der Anteil fettleibiger Menschen an der Weltbevölkerung rasch gestiegen ist – vor allem unter Kindern. Demnach hat sich der Prozentsatz fettleibiger Menschen von 1980 bis 2015 in mehr als 70 Ländern verdoppelt, in den meisten anderen Staaten sei er zumindest stetig nach oben gegangen, schreibt das internationale Forscherteam im „New England Journal of Medicine“.

Nach Angaben von Forschern des beteiligten Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) in Seattle waren im Jahr 2015 rund 2,2 Milliarden Menschen zumindest übergewichtig – das entspricht etwa 30 Prozent der Weltbevölkerung. „Übermäßiges Körpergewicht ist eines der schwierigsten Gesundheitsprobleme der Gegenwart und betrifft fast jeden dritten Menschen“, sagt Erstautor Ashkan Afshin vom IHME.

Übergewicht bezieht sich im Groben auf einen Körper-Masse-Index (BMI) von 25 bis 30, bei höherem BMI sprechen Mediziner von Fettleibigkeit (Adipositas). Dabei wird das Gewicht (in Kilogramm) durch das Quadrat der Größe (in Metern) geteilt.

Im Jahr 2015 waren der Studie zufolge rund 108 Millionen Kinder und 604 Millionen Erwachsene fettleibig. Bei der Rate fettleibiger Kinder und junger Erwachsener sind unter den 20 bevölkerungsreichsten Ländern die USA mit einem Anteil von 13 Prozent Rekordhalter. Bei Erwachsenen ist Fettleibigkeit in Ägypten mit einem Anteil von etwa
35 Prozent am weitesten verbreitet. Besonders selten ist dieses extreme Übergewicht in Bangladesch, wo 1,2 Prozent der unter 20-Jährigen fettleibig sind, und in Vietnam, wo das für etwa 1,6 Prozent der erwachsenen Bevölkerung gilt.

Nach den jüngsten von 2008 bis 2011 erhobenen Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) haben in Deutschland zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen Übergewicht. Ein Viertel der Erwachsenen ist adipös – Tendenz steigend. Bei den Kindern und Jugendlichen waren zuletzt rund 16 Prozent übergewichtig und 6,3 Prozent adipös, 50 Prozent mehr als in den 80er und 90er Jahren.

Zumindest bei den Kindern gebe es einen ersten Hoffnungsschimmer: Der Anteil Übergewichtiger bei den Einschulungsuntersuchungen sei seit einigen Jahren stabil, in einigen Bundesländern wie etwa Thüringen sogar rückläufig, sagt der Ernährungswissenschaftler Professor Dr. Helmut Heseker von der Universität Paderborn. „Die Eltern sind da wohl ein bisschen sensibler geworden“, erklärt Heseker, der zugleich Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) ist. Gerade für Kinder und Jugendliche sei Übergewicht wegen der massiven Langzeitfolgen fatal.

Bei den Erwachsenen sei vor allem die Entwicklung problematisch, dass
zwar die Zahl der leicht Übergewichtigen mit einem BMI von 25 bis 30 inzwischen
stagniere, die Dicken aber immer dicker würden. „Wer mit 40 Jahren adipös ist, hat statistisch eine um fünf bis acht Jahre reduzierte Lebenserwartung.“ Zudem litten solche Menschen meist viele Jahre an chronischen Krankheiten.

Von einmal angelegtem Übergewicht wieder wegzukommen, sei oft extrem schwer, weil der Körper immer wieder auf sein früheres Höchstgewicht zusteuere, erklärt Heseker. „Es hilft wirklich nur eines: Übergewicht gar nicht erst entstehen lassen.“ Wichtig sei das auch mit Blick auf kommende Generationen: Mit der Zahl adipöser Schwangerer steige nicht nur die Zahl direkter Komplikationen etwa bei der Geburt, sondern auch das Risiko ihrer Kinder, selbst später an Übergewicht und damit verbundenen Krankheiten zu leiden.

Der aktuellen Studie zufolge starben 2015 weltweit etwa vier Millionen Menschen an den Folgen ihres sehr hohen Gewichts. Todesursachen waren in zwei Dritteln der Fälle
Herz-Kreislauferkrankungen. Es folgten Diabetes mit rund 15 Prozent sowie chronische Nierenerkrankungen und Krebs mit jeweils unter 10 Prozent.

Vor einem Jahr war eine Studie im Fachblatt „The Lancet“ zu einer etwas unterschiedlichen Zahl von Fettleibigen gekommen. Demnach zählten 2014 gut 640 Millionen Menschen ab 18 Jahren dazu – 266 Millionen Männer und 375 Millionen Frauen. Solche weltweiten Berechnungen beruhten auf einer Kombination von Studien, deren Daten dann hochgerechnet würden, sagt Frank Jakobus Rühli vom Institut für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich, Ko-Autor der „Lancet“-Veröffentlichung. „Das ist immer etwas unsicher.“

Dennoch spiegeln die zunehmenden Zahlen einen wichtigen Trend wider, so Rühli. „Das ist insbesondere bei Jugendlichen ein Problem“, sagt er. Es gebe heutzutage mehr Möglichkeiten, übermäßig Kalorien aufzunehmen, gleichzeitig sinke bei vielen Menschen der Energieverbrauch.

Der menschliche Körper sei von der Evolution darauf getrimmt worden, auf Hunger und Zeiten des Mangels zu reagieren, erklärt DGE-Präsident Heseker. „In solchen Phasen werden Babys schon im Mutterleib auf Energiesparen programmiert.“ Dieser Effekt sei mit ein Grund dafür, dass gerade in Ländern, in denen Hunger vor ein, zwei Generationen noch alltäglich war, die Zahl Übergewichtiger so massiv in die Höhe
schnelle.

Eine körperliche Gegenreaktion auf ein andauerndes Schlaraffenland gebe es hingegen nicht. „Auf immerwährenden Überfluss sind unsere steinzeitlichen Gene einfach nicht eingestellt.“

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