Acht Arme für ein Aspirin Silvia Meixner, 30.09.2017 08:26 Uhr
Eine Apotheke ist wie jedes andere Unternehmen auch: Sie braucht einen guten Standort, engagierte Mitarbeiter und einen einprägsamen oder originellen Namen. Tiere eignen sich da auch. Für Apothker Jürgen Schwendicke aus Berlin kam nur Oktopus in Frage. Ein Kollege in München entschied sich für den Hasen als Namensgeber. Ein Dauerbrenner. Eulen indes unterliegen Trendwellen.
In Berlin macht niemand Jagd auf Oktopusse. Deshalb erschien der Name der neuen Apotheke, damals, 1994, ein wenig deplatziert. Denn im bürgerlichen Stadtteil Waidmannslust ist alles auf Jagd programmiert. Hier gibt es die Halali-Straße, die Artemis-Straße, den Waidmannsluster Damm. Der Treiberpfad und „Am Wechsel“ finden sich im Norden der Hauptstadt ebenfalls als Adressen. Auch eine Diana-Apotheke gab es in den 90er-Jahren (sie ist mittlerweile geschlossen).
Die neue Octopus-Apotheke zeugte jedenfalls von Humor und Mut. Und ist mittlerweile etabliert. Apotheker Schwendicke kann natürlich genau belegen, warum nur dieser Name für ihn in Frage kam: „Ich hatte ein Video mit einem Kraken gesehen, der in Windeseile ein Glas mit Schraubverschluss öffnen konnte, um daraus zu entkommen.“ So eroberten die achtarmigen Meerestiere sein Herz. Später kam dann noch die Krake Paul, mittlerweile eines natürlichen Todes gestorben, dazu. Das schlaue Tier orakelte sich während der Fußball-WM 2010 in die TV-Nachrichten. Der Oktopus sagte den Ausgang aller Spiele mit deutscher Beteiligung sowie das Endspiel der WM korrekt voraus.
„Ich wollte gern in der Offizin ein Aquarium einrichten, aber Kraken werden in Gefangenschaft nicht alt“, erzählt Schwendicke. Also nahm er von dieser Idee wieder Abstand. „Wir haben im Urlaub auf Fuerteventura einmal einen gefangen, als sich bei Ebbe ein kleines Becken am Strand bildete. Sein Kopf war faustgroß, die Arme hatten einen Meter Länge.“ Das Tier wurde bewundert und dann schnell wieder in die Freiheit entlassen. „Es war beeindruckend zu sehen, wie schnell so ein Krake schwimmt.“
Apotheker und Oktopusse haben natürlich viel miteinander gemeinsam: „Geschicklichkeit, Intelligenz, die Fähigkeit, mit unbekannten Dingen umzugehen. Neue Wege finden – übersetzt bedeutet das, dass ein Apotheker Neues für seine Patienten findet – das hat mich an diesem Beruf immer schon gereizt.“ Ein paar Arme mehr für die vielen Kunden, acht Arme für ein Aspirin – davon träumen Apotheker, wenn die Patienten Schlange stehen.
Wer braucht da noch eine Bären- oder Adler-Apotheke? Verglichen mit Krake Paul können die Tiere des Waldes allesamt einpacken. Auch die Eulen? „Manchmal fragen Kunden am Telefon nach Herrn Eule“, sagt Apothekerin Sabine Stausberg. Den gibt es in der Eulen-Apotheke in Leverkusen nicht. Es hat hier nie einen Herrn oder eine Frau Eule gegeben. Aber eine Menge Tiere, alles Eulen, Geschenke von Kunden und Mitarbeitern. 120 sind es, sie lauern von den oberen Regalen aus auf – ja, auf was auch immer...
Warum der Name von ihrem Großvater gewählt wurde, weiß die Apothekerin nicht: „Mein Opa hat sie bei der Eröffnung 1920 Eule genannt. Damals lagen Tiernamen im Trend, man wählte gern Hirsch, Adler und Löwe. Vermutlich waren die in Leverkusen schon besetzt und deshalb haben sie die Eule genommen.“ Steht sie doch für Schlauheit, eine Eigenschaft, die in einer Offizin nicht fehl am Platz ist.
Mit dem Harry Potter-Bücherboom erlebte der Name eine Renaissance: „Plötzlich kamen Kinder in die Apotheke und wollten die Eulen sehen. Sie waren ganz begeistert.“ Nach dem Potter-Trend kehrte wieder Ruhe ein. Und die Eulen stehen noch immer oberhalb der Sichtwahl.
Der Münchner Stadtteil Hasenbergl ist ein sozialer Brennpunkt. Das sagen meist jene, die noch nie dort waren. Apotheker Hans Martin Eck von der Hasenapotheke sieht die Lage vor Ort anders. „Hier leben sehr viele bodenständige Leute, wir haben rund 80 Prozent Stammkunden.“ Das Münchner Viertel hat seinen Namen im 18. Jahrhundert bekommen, als auf einem Hügel südlich von Schloss Schleißheim Hasen für die kurfürstliche Jagd gehegt wurden. Hasen gibt es hier längst keine mehr. Nur auf der Homepage der Hasen-Apotheke begrüßt ein jonglierender Hase die Besucher. Eine Reminiszenz an den Kindheitstraum, Künstler werden zu wollen. „Ich habe den Hasen entworfen und die Animation erstellt“, sagt Eck.
„Als das Wohnviertel in den 1950er-Jahren gebaut wurde, sollte auch eine Apotheke entstehen, mein Vater hat sich beworben und den Zuschlag bekommen. Heute ist es hier ein ganz normales Arbeiter- und Angestelltenviertel. Man kennt sich, man hilft einander, es ist fast wie auf dem Land.“ Sieben Mitarbeiter hat die Hasen-Apotheke in Hasenbergl, und ein zufriedener Mitarbeiter hat den hübschen Namen gleich mitgenommen, als er sich selbständig machte. Deshalb gibt es auch eine Hasen-Apotheke im unterfränkischen Haßfurth. Als Zeichen der Wertschätzung für den früheren Münchner Chef.