Paragraf 218

Abtreibungen: Legalisierung im Bundestag debattiert Laura Schulz, 05.12.2024 11:41 Uhr

Eine Gruppe von Abgeordneten aus mehreren Fraktionen will noch vor der Neuwahl eine Reform des Paragrafen 218 durchsetzen. Heute debattiert der Bundestag über den Vorstoß. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Bundesfamilienministerin Lisa Paus hofft im Bundestag auf breite Unterstützung für einen fraktionsübergreifenden Vorstoß zur Legalisierung von Abtreibungen. „Der Gruppenantrag zum Paragrafen 218 ist eine moderate Weiterentwicklung des geltenden Rechts zum Schwangerschaftsabbruch“, sagte die Grünen-Politikerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Der Bundestag debattiert heute erstmals im Plenum über einen Antrag von Abgeordneten aus mehreren Fraktionen, die noch vor der Bundestagswahl eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten zwölf Wochen erreichen wollen. Derzeit sind Abtreibungen laut Paragraf 218 des Strafgesetzbuches rechtswidrig. Tatsächlich bleiben sie in den ersten zwölf Wochen aber straffrei, wenn die Frau sich zuvor beraten lässt.

„Ich hoffe auf eine breite Unterstützung im Deutschen Bundestag“, so Paus. „Frauen dürfen nicht mehr kriminalisiert und stigmatisiert werden, weil sie sich selbstbestimmt für einen Abbruch einer Schwangerschaft in der Frühphase entscheiden.“ Etwa 80 Prozent der Bevölkerung sähen das genauso. Das sei mehr als deutlich.

Zentralkomitee der deutschen Katholiken nennt Vorgehen „fatal“

Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, kritisiert den Vorstoß dagegen scharf. Die interfraktionelle Gruppe wolle „quasi im Galopp“ ein neues Gesetz durchbringen, sagte sie dem RND. „Dieses Vorgehen halte ich für fatal, weil es der existenziellen Frage und den damit verbundenen ethischen Dilemmata nicht gerecht wird.“ Die Debatte dürfe nicht übers Knie gebrochen werden. Stattdessen sei eine breite gesellschaftliche Debatte notwendig.

Union und FDP dagegen

Die Grünen-Fraktion appelliert an die Unionsfraktion, eine Entscheidung des Bundestages über den Vorstoß nicht zu verhindern. „Ich rate FDP und Union wirklich sehr eindrücklich dazu, diese Gruppenvorlage nicht im Rechtsausschuss zu versenken“, sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic.

Der Vorsitzende der Unionsfraktion, Friedrich Merz (CDU), müsse verstehen, dass es sich bei dieser Frage „nicht um einen gesellschaftlichen Großkonflikt handelt, den er versucht heraufzubeschwören“. Vielmehr gebe es für den fraktionsübergreifenden Vorschlag eine gesellschaftliche und eine parlamentarische Mehrheit. „Die Initiative hat – Stand jetzt – bereits 327 Abgeordnete unter diesem Gruppenantrag versammelt“, sagt Mihalic.

Die Grünen-Politikerin erklärt, die Gruppe, die hinter dem Antrag steht, könne zwar eine erste Lesung im Plenum erwirken, worauf dann die Beratung im zuständigen Rechtsausschuss folge. Ob es dann in dieser Wahlperiode auch noch zur abschließenden Beratung und Abstimmung im Plenum komme, entscheide sich dann aber im Ausschuss. Sie rate allen dazu, „das nicht zu blockieren“, sagt sie.

Beratungspflicht soll bleiben

Schwangerschaftsabbrüche sind derzeit laut Paragraf 218 des Strafgesetzbuches rechtswidrig. Tatsächlich bleiben sie in den ersten zwölf Wochen aber straffrei, wenn die Frau sich zuvor beraten lässt. Ohne Strafe bleibt ein Abbruch zudem, wenn medizinische Gründe vorliegen oder wenn er wegen einer Vergewaltigung vorgenommen wird. Über die Abschaffung des Paragrafen wird seit Jahren gestritten.

Nach dem Vorschlag der Abgeordneten, sollen Abtreibungen bis zur zwölften Woche rechtmäßig werden. Die Pflicht zur Beratung bliebe bestehen, allerdings ohne die derzeit geltende Wartepflicht von drei Tagen zwischen Beratung und Abtreibung. Wenn eine Abtreibung ohne Beratungsbescheinigung vorgenommen wird, soll sich künftig nur der Arzt oder die Ärztin strafbar machen. Die Frau bliebe straffrei.

CDU-Chef Friedrich Merz hatte empört auf den Gesetzesvorstoß reagiert. Mit dem Vorstoß solle versucht werden, „den Paragrafen 218 jetzt noch im Schnellverfahren zum Ende der Wahlperiode abzuschaffen“. Es handele sich um ein Thema, „das wie kein zweites das Land polarisiert, das wie kein zweites geeignet ist, einen völlig unnötigen weiteren gesellschaftspolitischen Großkonflikt in Deutschland auszulösen.“

Bisher keine Expertenanhörung geplant

Am Mittwoch scheiterten Unterstützerinnen des Gruppenantrags zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen im Rechtsausschuss mit dem Versuch, einen Termin für eine Anhörung von Sachverständigen zu dem Antrag festzulegen. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur von Teilnehmern der Sitzung. Union und FDP hätten dies verhindert. „Das ist äußerst unüblich bei einem Gruppenantrag“, hieß es aus der SPD-Fraktion.

Warum Straffreiheit?

Die Antragsteller sind der Meinung, dass Frauen, die abtreiben wollen, wegen des Gesetzes schlechter versorgt werden. Die strafrechtliche Regelung schrecke Ärztinnen und Ärzte davon ab, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Außerdem rechnen die Parlamentarier damit, dass Krankenkassen die Kosten für den Eingriff regulär übernehmen würden, wenn die Illegalität aufgehoben wird.

Laut Statistischem Bundesamt gab es in Deutschland im Jahr 2023 rund 106.000 gemeldete Schwangerschaftsabbrüche – rund 2,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Oft sind junge Frauen betroffen, die meisten im Alter zwischen 18 und 34 Jahre. 96 Prozent der Abtreibungen wurden nach der Beratungsregelung vorgenommen. Medizinische Gründe und Sexualdelikte waren nur in 4 Prozent der Fälle Grund für den Abbruch.

Welche Erfolgsaussichten hat der Antrag?

Der Bundestag kann noch bis zu seiner derzeit für den 23. Februar geplanten Neuwahl Gesetze beschließen – mit straffem Plan wäre also ausreichend Zeit. Aber SPD und Grüne allein haben keine Mehrheit im Parlament. Versucht wird die Reform deshalb über einen sogenannten Gruppenantrag. Solche Anträge werden bei ethisch komplexen Fragen über Lagergrenzen hinweg gestellt. In der Regel müssen sich die Abgeordneten bei einer Abstimmung dann nicht an der Linie ihrer Fraktion orientieren, sondern entscheiden ganz frei.

Derzeit sitzen 733 Abgeordnete im Bundestag, für eine Mehrheit sind also 367 Stimmen nötig. Bisher unterstützen 327 Parlamentarier die Abtreibungs-Legalisierung, vor allem von SPD, Grünen und Linken. Auch das BSW-Chefin Sahra Wagenknecht äußerte sich entsprechend. Doch ob der Bundestag vor der Neuwahl überhaupt über den Antrag abstimmen wird, ist offen. Denn erst einmal wird er heute in den zuständigen Rechtsausschuss überwiesen – und wann er dann zum Beschluss auf die Tagesordnung des Bundestags kommt, wird in diesem Ausschuss entschieden.

Wie werden sich Union, AfD und FDP verhalten?

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, befürchtet, dass Union und FDP den Antrag im Rechtsausschuss „versenken“, ihn also so lange nicht zum Beschluss freigeben, bis neu gewählt wird.

Unionsfraktionschef Friedrich Merz hat bereits kritisiert, dass das Thema im Schnellverfahren durchgeboxt werden solle. Bis zur Wahl bleibe keine Zeit für eine seriöse Beratung eines solch grundlegenden Themas, argumentiert er. Auch der neue FDP-Generalsekretär Marco Buschmann lehnt eine Reform vor der Neuwahl ab. Vor dem Ampel-Bruch hatten auch einige FDP-Politikerinnen und -Politiker den Antrag unterstützt. Die AfD ist generell gegen eine Legalisierung von Abtreibungen.

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann warb vor der Bundestags-Beratung noch einmal um Zustimmung: „Wer jetzt wieder die Verschiebung auf die nächste Wahlperiode fordert, ignoriert nicht nur den Rat der Expertinnen, sondern auch den Wunsch so vieler Frauen und der Mehrheit in unserem Land zu einer Änderung des Paragraf 218“, erklärte sie.