Staatsanwaltschaft sammelt Strafanzeigen Alexander Müller, 18.12.2014 15:04 Uhr
Nach dem überraschend schnellen Ende der Abmahnwelle aus Schwäbisch Hall rollt der juristische Gegenangriff an: Bei der Staatsanwaltschaft Leipzig sind zahlreiche Strafanzeigen gegen Apotheker Hartmut Wagner und Rechtsanwalt Christoph Becker eingegangen. In den kommenden Tagen dürften es mehr werden. Schadensersatzansprüche werden vermutlich weniger abgemahnte Apotheker stellen. Da Wagner seine Brücken-Apotheken geschlossen hat, erwarten viele Betroffene, dass nichts mehr zu holen ist. Fraglich ist, wer auf den Anwaltskosten sitzen bleibt.
Wagner und Becker hatten Ende November tausende Apotheker abgemahnt und hohe Gebühren gefordert. Doch die Aktion war Juristen zufolge sehr schlampig vorbereitet – und auf die erste Gegenwehr erfolgte der Rückzug: Am 9. Dezember erklärte Becker die Rücknahme aller Abmahnungen. Zwei Tage später wurde die Brücken-Apotheke wegen fehlender Liquidität vom Großhändler ausgeräumt und ist seitdem mit Sondergenehmigung der Kammer geschlossen. Zum Jahresende hört Wagner endgültig auf. Wie es zu der Abmahnwelle kam und in welchem Verhältnis er zu seinem Anwalt steht, will er auch heute nicht sagen.
Das Innenverhältnis wird vermutlich transparenter, wenn sich die abgemahnten Apotheker jetzt zur Wehr setzen. Laut dem Leipziger Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz sind bisher acht Strafanzeigen von Rechtsanwälten eingegangen, die zum Teil mehrere Apotheker aus dem gesamten Bundesgebiet vertreten. Die Strafanzeigen richten sich demnach gegen beide. Die Vorwürfe reichen von Nötigung, über versuchten Betrug bis zu versuchter Erpressung sowie Gebührenüberhebung. „Die erhobene Vorwürfe werden in jedem Einzelfall geprüft. Ob es zu Anklagen kommen wird, ist derzeit noch nicht abzusehen“, so Schulz.
Über Becker haben sich zudem mehrere Kollegen bei der Anwaltskammer beschwert. Im schlimmsten Fall droht ihm der Entzug der Zulassung, sollte ein anwaltsrechtliches Verfahren eingeleitet werden. Die Rechtsanwaltskammer Sachsen kann sich aufgrund der Verschwiegenheitsverplichtung zu Einzelfällen nicht äußern.
Trotz des Rückzugs bestand vereinzelt die Sorge, Becker könnte doch noch einmal aktiv werden und seine Anwaltskosten geltend machen. Weil der Verzicht auf den Unterlassungsanspruch ohne Anerkennung einer Rechtspflicht ausgesprochen wurde, könnte sich Becker auf den Standpunkt stellen, zum Zeitpunkt der Abmahnung sei diese begründet gewesen.
Allerdings kann Becker nicht in eigener Sache aktiv werden. Vielmehr müsste Wagner seinen Anwalt dazu erneut beauftragen, die Abmahngebühren einzufordern. Das hat der Apotheker aber nach eigenem Bekunden nicht vor. Becker bestätigte auf Nachfrage: „Aus Sicht unseres Mandanten besteht kein Anspruch mehr.“ Die Sache sei damit endgültig erledigt.
Das sehen die Abgemahnten teilweise anders: Da eine Strafanzeige keine Verfahrenskosten auslöst, können die Apotheker sich ohne Risiko an die Staatsanwaltschaft wenden. Um die eigenen Anwaltskosten zurückzuholen, müssten die Betroffenen allerdings zusätzlich Schadensersatzansprüche geltend machen. Das würden die meisten Apotheker aber nicht fordern, weil sie ohnehin mit der Insolvenz Wagners rechneten, berichtet Rechtsanwalt Dr. Volker Herrmann von der Kanzlei Terhaag & Partner. Die von ihm vertretenen Apotheker hätten aber Strafanzeige gestellt oder würden dies noch tun.
Herrmann rechnet zudem fest damit, dass sich Wagner und Becker selbst als Gegner vor Gericht treffen werden, sobald im Rahmen der Ermittlungen die Schuldfrage geklärt wird. Bislang gebe es keine Anhaltspunkte, dass Becker über sein Mandat hinaus gehandelt habe, so Herrmann. Diese Frage sei entscheidend. Details würden vermutlich erst nach Akteneinsicht bekannt.
Strafanzeige hat auch die Kanzlei Hönig & Partner aus Leipzig gestellt, die in der Sache 36 Apotheker vertritt. Der Druck auf Becker soll mit möglichst vielen Strafanzeigen erhöht werden. Sollte die Sache vor Gericht gehen, könnte man sich im Güteverfahren darauf einigen, dass Becker die Anwaltskosten der Abgemahnten übernimmt, so die Überlegung bei Hönig & Partner. Die eigenen Mandanten wolle man möglichst komplett schadlos halten.
Becker und Wagner gehen laut dem Rundfax davon aus, dass die Abgemahnten keine weiteren Ansprüche mehr haben. Damit sollten nur alle Abmahnungen zurückgenommen und für gegenstandslos erklärt werden.
Der Rückzug erfolgte offensichtlich unter Zeitdruck: Die Rücknahme der ausgesprochenen Abmahnungen ging per Rundfax und ohne Nennung eines Aktenzeichens an tausende Apotheker. Dem Vernehmen nach hatte unter anderem der Wort & Bild Verlag Fristen gesetzt und mit Gegenklagen gedroht.
Vorsorglich entschuldigte sich Becker in seinem Schreiben bei Apothekern für die direkte Kontaktaufnahme, sollten diese einen Anwalt mit der Vertretung betraut haben. „Aufgrund der Kürze der Zeit war ein Abgleich hier nicht möglich“, so Becker. Das Fax wurde sogar an Apotheken geschickt, die zuvor gar keine Abmahnung erhalten hatten.