Klinikbehandlung

85 Prozent mehr Alzheimer-Patienten dpa, 19.09.2017 10:52 Uhr

Knapp 20.000 Alzheimer-Patienten kommen jedes Jahr ins Krankenhaus, sagt die Statistik. In Wahrheit sind es 50 Mal so viele, behaupten Experten. Foto: Bernhard Friesacher/pixelio.de
Wiesbaden - 

Fast doppelt so viele Patienten wie vor 15 Jahren werden wegen Alzheimer im Krankenhaus behandelt. Das hat das Statistische Bundesamt anlässlich des morgigen Welt-Alzheimer-Tages ausgerechnet: 19.049 waren es im Jahr 2015. „Damit ist die Zahl der stationär behandelten Fälle in den letzten 15 Jahren insgesamt um 85 Prozent angestiegen“, berichtete Destatis-Mitarbeiter Torsten Schelhase.

Winfried Teschauer, Vorstandsmitglied der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft, findet die Zahl „irreführend“. In Wahrheit würden „mindestens 50 Mal so viele“ Patienten mit Demenz in Kliniken aufgenommen. Er beruft sich auf eine Studie der Robert Bosch Stiftung. Der Grund für die Abweichung zu den Zahlen der Statistiker liege in der Diagnose, die das Krankenhaus für die Abrechnung mit den Kassen eintrage.

Nur selten sei die Demenz selbst die Hauptdiagnose, meist seien es deren Folgen. „Oberschenkelhalsbruch nach einem Sturz ist der Klassiker“, sagt Teschauer. Aber auch „alle anderen Krankheiten, die alte Menschen so haben“, von der Lungenentzündung bis zu Herzproblemen, könnten Grund für einen Krankenhausaufenthalt sein. Eingetragen – und danach von der Statistik erfasst – würde aber nur „die erlös-relevante Diagnose“, sagt Teschauer. „Dass der Patient darüber hinaus auch dement ist, wird nicht eingetragen und oft auch nicht weiter beachtet.“

Genau das sieht der Neurobiologe als Problem. Demente Patienten zeigten im Krankenhaus noch stärker als in ihrer gewohnten Umgebung „herausfordernde Verhaltensweisen“.

Solche Verhaltensweisen seien oft auch der Grund, wenn Patienten mit der Hauptdiagnose Alzheimer ins Krankenhaus kämen: Angehörige oder Pflegekräfte im Heim wüssten sich nicht mehr zu helfen und brächten Patienten „aus Hilflosigkeit“ ins Krankenhaus. Dabei sei eine Klinik „der denkbar schlechteste Ort“. Geistig gehe es den meisten nach einem Klinikaufenthalt schlechter als zuvor.

Oft werde das Krankenhaus für Demenzkranke „zum gefährlichen Ort“, glaubt auch Eugen Brysch, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Patientenschutz. „Denn die fremde Umgebung, fehlende Bezugspersonen, Hektik und mangelnde Kommunikation fördern Angstzustände der Betroffenen. Doch geschultes Pflegepersonal für Demenzkranke in der Klinik fehlt.“

Auch der Sozialverband VdK kritisiert, die Krankenhäuser seien oft nicht auf den Umgang mit Menschen mit Alzheimer vorbereitet. „Es fehlt in Krankenhäusern an einer demenzsensibilisierten Versorgung, an geriatrisch geschultem Personal wie an Personal überhaupt“, sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher. Außerdem müsse mehr geforscht werden, damit Demenz früher erkannt und die Folgen verlangsamt werden können.

Klar ist: So lange Alzheimer nicht heilbar ist, wird das Problem größer. „Die Häufigkeit von Demenzerkrankungen nimmt mit dem Lebensalter zu“, erklärt die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft. Aktuell sind in Deutschland etwa 1,6 Millionen Menschen von einer Demenzerkrankung betroffen. „Die meisten sind 85 Jahre und älter.“ Dass mehr Alzheimer-Patienten ins Krankenhaus kommen, liegt also vor allem daran, dass es immer mehr Hochbetagte gibt. Aus Tabellen des Statistischen Bundesamtes geht hervor, dass sich die Zahl der über 85-Jährigen in den vergangenen 15 Jahren weit mehr als verdoppelt hat (plus 144 Prozent).