„Impfmarathon“ in Holzgerlingen

5000 Impfungen an einem Tag: Apotheker baut eigenes Impfzentrum

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Berlin -

Dr. Björn Schittenhelm lässt nicht locker: Nachdem er mit seinem Böblinger Modell schon Standards für Apothekentestzentren gesetzt hat, sind jetzt die Corona-Impfungen an der Reihe. Gemeinsam mit einem Arzt hat er ein Mini-Impfzentrum auf die Beine gestellt und veranstaltet am Samstag einen „Impfmarathon“: 5000 Impfungen an einem einzigen Tag sind geplant. Möglich macht es eine komplett digitalisierte Infrastruktur: Von der Anamnese bis zum Zertifikat läuft alles online. Statt einer halben Stunde sollen die Geimpften vor Ort nur drei Minuten brauchen. Schittenhelm hofft, dass das Modell Schule macht und hilft, die befürchteten Terminengpässe im Sommer abzufedern – und bietet Apotheken dazu seine Software an.

„Diese verfluchte Bürokratie!“ Das kommt den Ärzten genauso oft über die Lippen wie den Apothekern. So auch Dr. Alexander Failenschmid, seines Zeichens nicht nur Orthopäde und leitender Arzt im Impfzentrum Holzgerlingen, sondern auch Mitglied des dortigen Gemeinderats – und Fraktionskollege Schittenhelms bei den Freien Wählern. „Dort beschwerte er sich letztens über die Bürokratie und den ganzen Zettelkram im Impfzentrum. Ohne das könne er dreimal so viele Leute impfen“, erzählt Schittenhelm. „Da meinte ich, ich schau mir das mal an und überlege, ob wir die Prozesse aus unserem Testzentrum irgendwie übertragen können.“

Das konnte er: Gemeinsam mit Failenschmied und der Gemeinde hat Schittenhelm ein Modell entwickelt, das Massenimpfungen am Fließband ermöglicht und aus Sicht von Impfenden und Geimpften gleichermaßen schlank und unkompliziert ist. Am Samstag findet in der Stadthalle Holzgerlingen der sogenannte Impfmarathon statt: Von morgens um sieben bis in die Nacht hinein sollen dort so viele Menschen wie möglich ihre Immunisierung erhalten.

„Es ist kein offizielles Impfzentrum vom Land oder der Kommune, sondern wir haben im Prinzip nur die Infrastruktur der Praxis ausgelagert“, sagt Schittenhelm. Die Räumlichkeiten stellt die Kommune, die Einrichtung von Impfkabinen und sonstigem Mobiliar hat Failenschmid organisiert – dank seiner Erfahrung aus dem Impfzentrum sei das kein Problem gewesen.

Der Impfstoff kommt aus Schittenhelms Apotheke, er beliefert Failenschmid und konnte für die Aktion am Samstag 5000 Dosen Vaxzevria auftreiben. Das sei ebenfalls kein Problem gewesen – eher habe es sogar eines gelöst. „Wir haben die einfach bestellt, denn es gab ja Anfang des Monats kein Limit bei AstraZeneca. Und es war genug verfügbar, hier in Baden-Württemberg lagen die seit drei Wochen rum, weil sie keiner wollte. Es hat mich wirklich genervt, dass der Impfstoff hier wie sauer Bier im Regal steht und ihn keiner will“, erzählt er. „Mein Großhändler hat mich geradezu angefleht, dass ich noch 400 Vials nehmen soll.“ Allerdings habe er auch gutes Timing gehabt, denn seit die Priorisierung aufgehoben wurde, sei auch Vaxzevria wieder knapper geworden. Er habe sich die Menge genau im richtigen Moment gesichert.

Das provisorische Impfzentrum und die Vakzine waren also schnell organisiert – das Entscheidende am Impfmarathon sind aber die Prozesse. Hier kommt Schittenhelms Erfahrung mit seinem Testzentrum ins Spiel: Dessen Terminbuchungssoftware ließ er von zwei Programmierern auf die Bedürfnisse des Mini-Impfzentrums anpassen. Herausgekommen ist eine Online-Terminbuchung und -Anamnese, die die Abläufe vor Ort maximal verschlankt: Interessenten buchen sich auf der Website einen Termin, geben ihre Versichertendaten ein und füllen online einen Anamnesebogen aus. Aus den Daten wird dann eine pdf-Datei generiert, die die Impflinge aber vorerst gar nicht zu Gesicht bekommen. Sie erhalten lediglich einen QR-Code.

Mit dem gehen sie am Samstag zum Mini-Impfzentrum, er wird eingescannt, der Bogen ausgedruckt, unterschrieben und schon geht es zur Impfung. Das Impfzertifikat erhalten die Geimpften dann ebenfalls digital als pdf-Datei. Dadurch, dass der Datensatz in der Praxissoftware gespeichert bleibt, sei dann später auch eine Übertragung in den digitalen Impfpass ohne Weiteres möglich – wahrscheinlich über Doctor Box. „

Wir müssen ja nichts mehr überprüfen, deswegen können wir dann mit Einwilligung der Geimpften eine automatische Übertragung vornehmen“, erklärt Schittenhelm „Wer trotzdem noch so ein gelbes Poesieheft will, kann die Eintragung aber auch im Anschluss an die Impfung vor Ort bekommen.“ Jeder, der sich vollständig nach dem Schittenhelmschen Modell impfen lässt, ist bereits ein Mensch weniger, dessen Impfpass eine Apotheke in der Nähe verifizieren muss.

Der Impfmarathon zeige, wie sehr man Prozesse dank der Digitalisierung verschlanken und unnötige Bürokratie abbauen könne, sagt der Inhaber der Alamannen Apotheke in Holzgerlingen. Mindestens genauso sehr erhoffe er sich aber einen positiven Beitrag zum Vorankommen der Impfkampagne. 2500 Menschen hätten allein in den ersten drei Tagen seit Öffnung des Portals einen Termin gemacht. „Das sind 10 Prozent der Bevölkerung von Holzgerlingen! Das nimmt eine Menge Druck aus dem Kessel“, sagt er.

Und er wisse aus den Anmeldedaten, dass die Hälfte der Leute angegeben hat, dass sie keinen eigenen Hausarzt haben. „Das sind die Menschen, für die es gerade ganz besonders schwer ist, einen Impftermin zu bekommen. Wir lassen da sonst einen großen Teil der Bevölkerung links liegen.“

Auch deshalb hoffe er, dass auch dieses Modell Schule macht. „Die Impfzentren werden ja auch nicht unendlich lange betrieben werden können und wenn die Impfstoffschwemme im Sommer wie vorhergesagt kommt, wird es über die Praxen schwer, alles über eigene Termine zu verimpfen.“

Die Ärzte würden sich freuen, wenn ihnen in der Stoßzeit während des Sommers ein Teil der Last abgenommen würde – die Warnungen mehrerer Hausarztverbände und Kassenärztlicher Vereinigungen aus den vergangenen Tagen deuten bereits darauf hin, dass er damit einen Nerv trifft. Und die Apotheken sehe er dabei als zentrale Mittler vor Ort, die sich so weiter profilieren können.

„Aber das weckt auch Begehrlichkeiten, denn damit legen wir die Messlatte für andere Landkreise sehr hoch. Ich wüsste nicht, wer sonst in Deutschland so schnell so viele Menschen impfen kann.“ Einen Rekord verteidigen wolle er jedenfalls nicht: Wer das Modell kopieren wolle, sei herzlichst eingeladen, sich an ihn zu wenden. „Wir möchten die Software für die digitalen Prozesse nicht exklusiv nutzen. Wer sie haben möchte, kann sie gern von uns kriegen!“

 

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