Apothekenhelferin

50 Jahre in derselben Apotheke: „Was soll ich denn zu Hause?“

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Berlin -

1969: Willy Brandt wird Bundeskanzler, Neil Armstrong betritt als erster Mensch den Mond und Erna Bauerfeind beginnt in der Briloner Adler Apotheke zu arbeiten. Brandt und Armstrong sind längst tot, aber Bauerfeind steht immer noch am HV. In wenigen Wochen begeht sie ein seltenes Jubiläum: Seit einem halben Jahrhundert hält sie ihrer Offizin die Treue. Von Altersmüdigkeit ist bei ihr aber keine Spur, die Arbeit in der Apotheke findet sie heute besser denn je.

Wie lange Bauerfeind dabei ist, sieht man schon an ihrer Stellenbezeichnung: Sie ist Apothekenhelferin – ein Beruf, für den es laut Arbeitsagentur seit 25 Jahren keine Ausbildungsordnung mehr gibt. Noch bevor es überhaupt eine gab – die erste trat 1973 in Kraft – war Bauerfeind aber schon fertig mit ihrer Lehre: 1964 bis 69 lernte sie in der mittlerweile geschlossenen Löwen-Apotheke in Brilon. Den Job der Apothekenhelferin beschreibt sie als Mischung aus PKA und PTA: Sie habe im kaufmännischen Bereich gearbeitet, durfte aber auch unter Anleitung eines Approbierten Pillen, Salben oder Zäpfchen herstellen.

„Wir hatten damals einen alten Landarzt hier, der hat immer Abführpillen verschrieben“, erinnert sich die 69-Jährige. „Die mussten wir dann rollen und abmessen. Jede Pille musste ja das gleiche Gewicht haben. Das war, als ob wir in der Backstube sind.“ Doch auch pharmazeutisch musste sie fit sein, das lateinische Vokabular musste sitzen. „Wenn ich heute eine PKA kurz vor der Prüfung nach lateinischen Begriffen frage, kann mir doch keine antworten.“

Mitte Februar 1969 erhielt Brilon dann Zuwachs: Apotheker Johannes Stolze eröffnete die dritte Apotheke der Stadt im Sauerland. Am Umbau des alten Zigarettenladens zur Offizin waren Bauerfeinds Vater und Bruder, beide Maurer, beteiligt: „Mit meinen 19 Jahren wollte ich damals ja eigentlich lieber in die Stadt, in die große weite Welt“, denkt sie zurück. „Dann hat mein Vater aber ein bisschen mit dem Apotheker geklüngelt und kurz darauf hat der mich dann abgeworben.“ So landete sie zum 1. April 1969 in der Adler-Apotheke, in der sie heute noch steht.

Die letzten 50 Jahre haben so einige große wie kleine Neuerungen in den Apothekenalltag gebracht und Bauerfeind hat sie alle durchgemacht. Die beste Veränderung der letzten 50 Jahre? Für sie ist es der Kommissionierer. Dabei war der Start alles andere als harmonisch: „Nachdem der eingebaut wurde, war ich oft fix und fertig, wenn da irgendwas rot geleuchtet hat und nicht wusste, was ich tun soll“, sagt sie. „Heute will ich ihn nicht mehr missen.“ Allgemein revolutionierte der Siegeszug des Computers nicht nur die Arbeitsabläufe in den Apotheken, sondern trieb auch vielen Mitarbeitern die Sorgenfalten auf die Stirn.

Im Jahr 2000 übernahm Apothekerin Sandra-Dietrich-Siebert die Adler-Apotheke und modernisierte sie. „Das war ungewohnt für uns, eine junge, weibliche Chefin zu haben“, so Bauerfeind. „Und dann baute sie hier überall Computer ein. Da bin ich manchen Morgen mit Bauchschmerzen auf Arbeit gekommen. ‚Ob das was wird, das alles zu lernen?‘, habe ich mich gefragt. Die Umstellung war nicht so leicht, wir haben ja vorher alles analog gemacht.“

Doch letztendlich kam die digitale der analogen Welt zugute. Die Arbeit in der Apotheke sei durch Computer, Kommissionierer & Co. bedeutend einfacher und schneller geworden. „Man hat ja auch nebenher sehr viel Arbeit, das sehen die meisten Kunden ja nicht. Das meiste passiert hinten und wenn es da nicht perfekt läuft, läuft es vorn auch nicht.“ Mit der zunehmenden Geschwindigkeit steige aber auch der Zeitdruck. Es ist das Einzige, das ihr nach Verschlechterungen gefragt in den Sinn kommt. „Früher war es gelassener, man hatte viel mehr Zeit, da konnte man sich auch mal privat unterhalten“, sagt sie. „Heute hat man mehr Zeitdruck. Das ist aber auch gut so, dann geht der Tag schnell rum.“

Allerdings könne das auch schlicht daran liegen, dass die Adler-Apotheke seit Jahren gut läuft – schließlich kennt sie, von ein paar gelegentlichen Aushilfen abgesehen, keine andere Apotheke. Die dafür aber umso besser: „Wir haben hier viele Kunden, die ich seit 30, 40 Jahren kenne“, sagt sie stolz.

Auch bei der Kundschaft habe sie in den letzten Jahren Veränderungen feststellen können. „Die Kunden sind heute anspruchsvoller“, attestiert sie. „Die fragen heute mehr und wollen mehr wissen.“ Auch hier ist es wieder der digitale Wandel, der die Arbeit prägt. Denn viele würden sich heute im internet schlau machen und dann mal besser, mal schlechter informiert in die Apotheke kommen. „Früher haben die Kunden nicht alles hinterfragt“, sagt sie. „Da bekamen sie ihr Medikament, der Apotheker hat gesagt ‚Nehmen Sie das dreimal am Tag‘ und dann haben die das so hingenommen. Arzt und Apotheker haben es ja gesagt.“ Beiden Berufen werde heute noch mit Respekt begegnet, die Autorität von früher hätten sie aber nicht mehr.

Was hingegen gleich geblieben ist, ist ihre Liebe zu den Kollegen. „Wenn die nicht so nett wären, wäre ich ja auch nicht so lange hier geblieben“, sagt sie. Eigentlich ist sie ja schon seit Dezember 2015 im Ruhestand. „Aber als Frau Dietrich-Siebert mich fragte, ob ich vielleicht noch Lust habe, war ich schon sehr froh. Ich mache es doch gerne – und was soll ich denn zu Hause?“

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