Einer der größten Medizinskandale liegt nunmehr 50 Jahre zurück. Am 1. Oktober 1957 kam das Schlafmittel Contergan in Deutschland auf den Markt. Der Hersteller Grünenthal versprach werdenden Müttern eine ruhige Nacht. Doch das Arzneimittel, das auch gegen Morgenübelkeit wirkt, hat schädliche Auswirkungen auf das ungeborene Kind. Im ersten Trimenon der Schwangerschaft greift es in den Wachstumsprozess ein und verursacht Missbildungen an Armen und Beinen.
Weltweit waren 10.000 Kinder betroffen, etwa 5000 davon in Deutschland. In größerem Umfang war der Wirkstoff Thalidomid außer in Deutschland auch in Japan verkauft worden, außerdem in Schweden, Österreich und den Beneluxländern. In den USA scheiterte eine Markteinführung, weil die Behörden lange zögerten, das Mittel zuzulassen. Thalidomid war dort aber im Rahmen einer Studie verabreicht worden.
Erst vier Jahre nach der Markteinführung wurde Contergan wieder vom Markt genommen. Erste Hinweise auf die fatalen Nebenwirkungen des rezeptfreien Medikaments hatte es bereits zuvor gegeben: Schon 1959 waren Missbildungen bei Neugeborenen bekannt. Doch zunächst reagierte keine Behörde darauf.
Nach sieben Jahren Ermittlungen begann im Mai 1968 bei Aachen der Contergan-Prozess. Am 18. Dezember 1970 wurde das Strafverfahren gegen acht leitende Angestellte von Grünenthal und Inhaber Hermann Wirtz wegen geringer Schuld eingestellt. Die umgerechnet 51 Millionen Euro, die Grünenthal im Rahmen eines zuvor geschlossenen Vergleichs zahlte, seien von neutralen Sachverständigen damals als maximale wirtschaftliche Belastung angesehen worden, erklärt das Unternehmen mit einem Umsatz von 813 Millionen Euro (2006) heute.
Heute leben in Deutschland rund 2700 Opfer. Je nach Schwere der Behinderung werden den Betroffenen bis zu 545 Euro monatliche Rente gezahlt. „Wir haben die schlechteste Rente und die niedrigsten Sätze von allen Ländern, in denen Contergan auf dem Markt war“, kritisiert Margit Hudelmaier, Vorsitzende des Bundesverbands Contergangeschädigter. Für die Opfer bleibt der Fall auch 50 Jahre danach eine „nationale Katastrophe“, wie die betroffene Anna betont.
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