Ab April wird es die Adler-Apotheke in Daaden nicht mehr geben. Fast 240 Jahre war sie fester Bestandteil der kleinen Stadt im Landkreis Altenkirchen von Rheinland-Pfalz. Inhaber Martin Achterberg ist mit 27 Jahren extra aus Trier dorthin gezogen, um den Betrieb zu übernehmen. Wirtschaftliche Zwänge spielen keine Rolle für die Schließung. Es fehlen ihm schlichtweg Fachkräfte, was ihn an seine gesundheitlichen Grenzen gebracht hat.
Achterberg hat seine gesundheitliche Grenze erreicht. Seit 29 Jahren kümmert er sich von morgens bis abends in der Apotheke um seine 170 bis 200 Kund:innen. Jeden einzelnen Notdienst hat er selbst absolviert. Unterstützung im Tagesgeschäft hat er durch eine PTA, die mit knapp 30 Wochenstunden eine große Hilfe ist. Eine PKA in Vollzeit, eine Helferin mit 22 Stunden und seine Ehefrau, die selbstredend mit anpackt – mehr Mitarbeiter hat Achterberg nicht. „Das ist auch der Grund, warum es nicht mehr geht.“ Er hat alles versucht, um Mitarbeiter zu akquirieren. Sämtliche Bestrebungen sind im Sande verlaufen. Auf eine Annonce in der lokalen Presse als letzten Versuch gab es nicht eine einzige Rückmeldung.
Den Wunsch, sich selbstständig zu machen, hatte Achterberg schon Mitte 20. Damals habe er in ganz Rheinland-Pfalz nach einer Apotheke gesucht, die zur Übernahme frei war. Auf den Standort in Daaden hat er sich schließlich beworben. Der vorherige Inhaber war verstorben. Dessen Sohn hat als Vorexaminierter schon ein ganzes Jahr die Apotheke weitergeführt, was der Kammer zunächst nicht aufgefallen sein muss. Schließlich sollte der Betrieb von Amtswegen geschlossen werden. Achterberg war damals der letzte Anker. Schnell wurde er aus seinem Angestelltenverhältnis rausgekauft, zog mit Frau und Kind in den 200 Kilometer entfernten Ort und ließ sich als Verwalter der Apotheke anstellen. „Einen Monat später habe ich sie dann komplett übernommen. Da war ich 27 Jahre alt“, berichtet er.
Achterbergs Wochenarbeitszeit beträgt seit geraumer Zeit 70 bis 75 Stunden. Nach seinem Dienst sei er stets schweißgebadet. Wenn er am Nachmittag allein in der Offizin stehe und innerhalb von vier Stunden etwa 70 Kund:innen in der Offizin bediene, habe das am Ende kaum noch was mit qualitativer Beratung zu tun, findet Achterberg. Nicht einmal dreieinhalb Minuten bleiben rechnerisch für einen einzelnen Patient:innen übrig. Und das bei der Vielzahl an weiteren Aufgaben in der Apotheke: Botendienstkontrollen, telefonische Beratungen zu Arzneimitteln, Arztgespräche bei Unklarheiten mit dem Rezept und und und ...
Die wirtschaftliche Situation sei nicht der Grund, weshalb er aufgebe – er habe immer gutes Geld verdient. Durch wenig Personal und die damit verbundenen Kosten hat er unfreiwillig Finanzen eingespart. „Dieses Geld hätte ich gerne für Mitarbeiter ausgegeben, um mehr vom Leben zu haben.“ Es sind gesundheitliche Aspekte, die ihn zur Schließung zwingen: „Ich bin dem Burnout ziemlich nah.“
Kaum einen einzigen Tag konnte sich Achterberg in den vergangenen Jahren freinehmen. Nicht einmal für die Beerdigung seiner Oma hat der Inhaber eine kurzfristige Vertretung finden können. Seine Tochter musste an einem Montag heiraten, weil für einen Freitag ebenfalls keine Vertretung einspringen konnte. „Wir haben viele Einschränkungen im Leben geschultert“, berichtet Achterbergs Ehefrau. Dass es kaum Urlaub gibt, führte auch schon das ein oder andere Mal zu Streitigkeiten innerhalb der Familie. Die letzte Auszeit ist beinahe vier Jahre her: Eine sechstägige Hurtigruten-Reise, die der Tochter zum Studienabschluss versprochen wurde.
In dem Moment, als Ende vergangenen Jahres eine Mitarbeiterin aufgrund ihrer Schwangerschaft ersatzlos ausfällt, war das Ende der Adler-Apotheke beschlossen. Vor einem Monat hat Achterberg seine Mitarbeiter:innen informiert. „Das ist mir sehr schwergefallen.“ Während seine PTA schnell einen neuen Arbeitsplatz in einer anderen Apotheke gefunden hat, habe seine PKA große Schwierigkeiten, eine Vollzeitstelle zu bekommen. „Das tut mir so leid. Wir vergießen hier auch ab und zu Tränen.“
Laut Achterberg haben die Angestellten dennoch Verständnis für die Schließung. „Sie wissen um den Zustand in der Apotheke.“ Er selbst wird weiter als Apotheker arbeiten – im Angestelltenverhältnis in der Nachbar-Apotheke. Im April geht es direkt mit einer reduzierten Arbeitszeit von 30 Wochenstunden los. „Ich möchte gesund bleiben und im Sommer vielleicht mal eine Woche Urlaub machen – das wäre ein Traum.“
Achterberg hätte eigentlich sehr gern weiter gemacht. Die Apotheke liege ihm am Herzen. Sein Plan, sich mit etwa 50 Jahren eine Partnerin oder einen Partner zu nehmen und sich Stück für Stück zurückziehen zu können, ist gescheitert. Mit 55 Jahren habe er einen Verkauf noch einmal stärker forciert. Ergebnislos. Achterberg vermutet, dass wirtschaftliche Punkte für junge Menschen heutzutage uninteressant sind. Viele seien nicht bereit, auch mal über die Vollzeit hinaus zu arbeiten. „Es zählt häufig nur noch Work-Life-Balance.“
Achterberg sieht die Schuld der miserablen Lage für Apotheken mitunter in der Politik. Die hat in den letzten Jahren viel kaputt gemacht: Die Wirtschaftlichkeitsreserven wurden permanent abgeschöpft.
Den Apotheken würde seit der Pandemie nur noch mehr zugemutet. Dank der Lieferengpässen bedeute die Arzneiversorgung ein enormer Mehraufwand. Über die 50 Cent-Aktion könne er nur lachen. Auch die Botendienstgebühr sei ein absoluter Witz.
Außerdem braucht eine Apotheke heutzutage für die Masse an Aufgaben und diverse Mammutprojekte, wie zuletzt während der Pandemie, eine ganze Menge „Manpower“, wie Achterberg sagt. „Unterm Strich hat man mit den Kosten für das Personal dann allerdings eventuell nicht viel mehr Netto als ein angestellter Apotheker.“
Achterberg ist bereits dabei, das Warenlager runterzufahren. Aktuell habe er deutlich weniger als 50 Prozent des ursprünglichen Volumens an Lager. Ende März möchte er schließlich in die Nähe von Null kommen. Der Großhandel habe ihm glücklicherweise offeriert, zwei Monate unbegrenzt Retouren anzunehmen. Die Schließung ist noch gar nicht richtig begreiflich, erzählt Achterbergs Ehefrau. Freunde und Familie würden sich allerdings schon sehr auf etwas mehr gemeinsame Zeit freuen.
Der letzte Tag, an dem die Adler-Apotheke im März öffnet und folglich für immer schließt, wird hart für alle – da ist sich Achterberg sicher.
APOTHEKE ADHOC Debatte