Zwei Jahre alte Rezepte: Apothekerin soll Abgabe nachweisen Alexandra Negt, 06.09.2021 10:23 Uhr
Apothekerin Birigt Möllenkamp staunte nicht schlecht, als sie vor kurzem Post von Haemato erhielt. Der Reimporteur forderte einen Nachweis, dass ein bestimmtes Präparat auch tatsächlich abgegeben wurde. Es handelte sich um den Hochpreiser Ninlaro. Abgegeben hatte Möllenkamp das Präparat im April 2019 – also vor zweieinhalb Jahren.
Seine Nachfrage erklärte der Reimporteur mit der Aussage, dass Möllenkamp nicht direkt bestellt habe. An den Großhandel seien nur geringe Mengen des Zytostatikums ausgeliefert worden. Da aber das Rechenzentrum den Zwangsrabatt in Rechnung gestellt habe, brauche man nun einen entsprechenden Bezugsnachweis. „Wir benötigen diese Angaben, um unnötige Kürzungen gegenüber Ihrem Abrechnungszentrum zu vermeiden“, wurde der Importeur deutlich.
„Ich habe das fragliche Arzneimittel nur für eine Patientin abgegeben“, berichtet Möllenkamp. „Natürlich habe ich das Präparat bestellt und auch abgegeben. Das konnte ich auch relativ schnell nachweisen. Die ganzen Rechnungen müssen wir ja jahrelang aufbewahren.“
Dennoch blieb sie skeptisch und wollte den Fall näher beleuchten. „Ich wusste nicht ganz genau, in welchem zeitlichen Rahmen die Herstellerrabatte vom Rechenzentrum den Herstellern in Rechnung gestellt und von diesen beglichen werden. Auch ist einem die Höhe des Rabatts, der auf so eine einzelne Packung entfällt, gar nicht so bewusst“, erzählt die Apothekerin. „Deshalb habe ich mich an mein Rechenzentrum gewandt und um Auskunft gebeten.“ Im ersten Moment musste Möllenkamp an den Insolvenzfall Docpharm denken und befürchtete, dass eventuell auch Haemato „knapp bei Kasse“ sein könnte.
„Bei meinem Rechenzentrum geriet ich direkt an kompetente Mitarbeiter:innen, die mir den genauen zeitlichen Ablauf erklärten und versichern konnten, dass der Herstellerrabatt für das Präparat seinerzeit vom Hersteller erstattet wurde. Auch die von mir ermittelte Summe wurde bestätigt. Bisher hatte ich mich mit nicht so intensiv mit dem Thema Herstellerrabatte beschäftigt – gut 360 Euro waren es für die eine Packung.“ Möllenkamp informierte sich näher zu dem Thema und musste feststellen, dass die Regelungen zu den Abschlägen relativ komplex sind. „Dann habe ich mit meinen Mitarbeiterinnen darüber gesprochen, dort war die Problematik nicht wirklich bewusst. Ich denke, das Thema sollte in den Apotheken mehr Beachtung finden. Am Ende geht die Apotheke ja ein großes Risiko ein – neben der Gefahr der Retaxation durch die Krankenkassen haften wir im Zweifelsfall auch für die Herstellerrabatte.“
Auch bei Haemato meldete sie sich und erhielt eine überraschende Antwort: „Dort sagte man mir, dass dieses Schreiben an alle Apotheken geschickt wurde, die das genannte Präparat ohne Direktbezug abgegeben hätten. Da werden dann alle Apotheken erst einmal unter Generalverdacht gestellt.“
Möllenkamp weiß, dass es im Handverkauf auch mal stressig werden kann und daraus Fehler resultieren: „Aber diese Fehler passieren ja einmalig und aus Versehen, nicht wiederholend. Ich finde es unverschämt, dass die Apotheke für einen fälschlicherweise nicht korrekt ausgewählten Reimporteur mit solchen Summen belangt werden kann.“ Auf ihre Bitte, mit der Geschäftsführung von Haemato sprechen zu können, erhielt sie bislang keine Antwort.
Möllenkamp war zunächst wütend und beschwerte sich am Telefon. Sie wollte keine Präparate von Haemato mehr abgeben. „Daraufhin wurde die Dame am Telefon auffallend verständnisvoll und versuchte, die Wogen zu glätten. Man könne sich da sicherlich einigen – und in Zukunft würde es solche Schreiben dann nicht mehr geben.“
Möllenkamp wusste nicht so recht, was sie mit diesen Aussagen anfangen sollte und übermittelte den Fall ihrem Landesapothekerverband. Dieser hat sich bislang nicht dazu geäußert. Dabei wäre eine zeitnahe Reaktion gut, denn der Inhaberin wurde eine Frist von sieben Tagen gesetzt – für einen Fall, der über zwei Jahre zurückliegt. „Am Telefon entschuldigte man sich beim Haemato für das späte Anschreiben, weiter sei man in der Bearbeitung noch nicht gekommen“, berichtet die Apothekerin.
Ob Möllenkamp zukünftig doch noch auf Haemato als Reimporteur setzen wird, bleibt erstmal fraglich. „Von anderen Reimporteuren habe ich noch nie solch ein Schreiben bekommen. Dieses Vorgehen kenne ich bis jetzt nur von Haematopharm. Da es wohl keine bindende Regelung gibt, wie lange Haematopharm Liefernachweise fordern kann, bleibt es spannend was in der kommenden Zeit noch so für Schreiben eintreffen, insbesondere, da wir das strittige Präparat nicht nur einmal geliefert haben“
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Haemato von Apotheken Bezugsnachweise verlangt. Schon vor zehn Jahren wollte der Reimporteur entsprechende Unterlagen sehen. Gerade kleinere Reimporteure haben ein Problem, wenn sie den Zwangsrabatt zahlen sollen, obwohl ihre Produkte nie abgegeben wurden, die Rezepte aber entsprechend bedruckt beziehungsweise nicht korrigiert wurden.
Prominentestes Beispiel in dem Zusammenhang war der Generikahersteller Betapharm mit Metoprolol. 30.000 falsch bedruckte Rezepte waren 2011 aufgefallen, weil dem AOK-Rabattpartner der Herstellerrabatt für das seinerzeit noch gar nicht verfügbare Arzneimittel in Rechnung gestellt worden war. Strafanzeigen der Kassen hatten keinen Erfolg, doch der Fall ging bis vor das Bundessozialgericht (BSG).
Am Ende wurden sogar Vertragsstrafen gegen Apotheken verhängt. Begründet wurde dies mit dem Rahmenvertrag, der für die „sanktionsfähigen Pflichtverletzungen“ wiederum auf den Arzneiliefervertrag (ALV) verweist. Zu den „schweren Verstößen“ zählt hier die „Berechnung nicht ausgeführter Leistungen und Lieferungen“. Die Kassen dürfen in solchen Fällen bis zu 25.000 Euro ansetzen.