Zur Rose besorgt sich XXL-Reserve Patrick Hollstein, 29.04.2022 09:27 Uhr
Das Management von Zur Rose hat sich bei den Aktionären die Erlaubnis geholt, frisches Kapital zu besorgen – und dafür neue Aktien im rekordverdächtigen Umfang von bis zu 50 Prozent des derzeitigen Aktienkapitals auszugeben. Die Generalversammlung, die rein virtuell stattfand, gab dem Antrag des Verwaltungsrats statt.
Die Aktionäre stimmten dem Antrag zur Schaffung von genehmigtem Aktienkapital in Höhe von 30 Prozent des eingetragenen Aktienkapitals sowie die Erhöhung des bedingten Aktienkapitals für Finanzierungen und andere Zwecke auf 20 Prozent des eingetragenen Aktienkapitals zu. Verwaltungsratspräsident Professor Dr. Stefan Feuerstein rechtfertigte die Maßnahme damit, dass man sich finanzielle Flexibilität sichern wolle, um das jeweils passende Finanzinstrument einsetzen zu können.
8 beziehungsweise 14 Prozent der Aktionäre überzeugte der Antrag nicht, sie stimmten dagegen. Das Aktionärstreffen fand rein virtuell statt; noch nicht einmal eine Diskussion zu den Anträgen war möglich. Die Aktionäre konnten ihre Rechte an der Generalversammlung ausschließlich über einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter ausüben. Entsprechend wurden die Beschlüsse mit nur 37 Prozent des Aktienkapitals gefasst beziehungsweise 63 Prozent des stimmberechtigten Kapitals – also jenen 59 Prozent der Aktien, die auch im Aktienbuch eingetragen sind.
Gleichzeitig wurde eine Obergrenze festgesetzt: Maximal 10 Prozent des eingetragenen Kapitals können unter Beschränkung oder Aufhebung des Bezugs- beziehungsweise Vorwegzeichnungsrechts ausgegeben, sprich: unter Umgehung der Aktionäre an einen bestimmten Investor abgegeben werden. Außerdem wurde das bedingte Kapital für Mitarbeiterbeteiligungen routinemäßig auf 1,79 Prozent des eingetragenen Aktienkapitals erhöht.
Rein rechnerisch sinkt der Wert der Aktie bei voller Ausschöpfung um ein Drittel. Schon im Vorfeld hatte eine Sprecherin aber versichert, dass es aktuell weder konkrete Pläne für eine kurzfristige Durchführung einer Eigenkapitalmaßnahme gebe noch darüber, die vollen 50 Prozent tatsächlich auszuschöpfen. „In der aktuellen Zeit ist für uns als Unternehmen die Wahrung von Flexibilität besonders wichtig“, so ihre Begründung.
Immer wieder hatte Zur Rose durch die Ausgabe von neuen Aktien frisches Geld am Kapitalmarkt besorgt, alleine drei Kapitalerhöhungen im Umfang von jeweils rund 200 Millionen Euro gingen in den vergangenen drei Jahren über die Bühne. Seit dem Börsengang hat sich die Zahl der Aktien auf diese Weise ungefähr verdoppelt, seit dem Einstieg des ersten Großinvestors im Jahr 2016 sogar fast verdreifacht. Der Umsatz ist seitdem aber um weniger als den Faktor 2 gewachsen.
Aktuell käme die Ausgabe neuer Aktien zur Unzeit: Der Aktienkurs liegt mit rund 120 Euro derzeit auf dem Niveau vor Beginn der Corona-Krise – und ungefähr auf dem Niveau, zu dem im Sommer 2017 beim Börsengang die Aktien ausgegeben wurden. Aktuell wird Zur Rose entsprechend mit knapp 1,4 Milliarden Euro bewertet, bei voller Ausschöpfung des Betrags könnten also zu diesem Kurs brutto rund 700 Millionen Euro in die Kasse gespült werden.
Eine Ausgabe ebenso vieler Aktien hätte im vergangenen Jahr, als Zur Rose bei einem Kurs von 400 Euro zeitweise mit bis zu 4,5 Milliarden Euro bewertet wurde, im besten Fall 2,2 Milliarden Euro bringen können. Oder andersherum: Um 700 Millionen Euro einzutreiben, hätte nur eine Verwässerung um 16 Prozent in Kauf genommen werden müssen. Selbst die Ausgabe zu rund 290 Euro wie bei den letzten beiden Kapitalerhöhungen hätte die Aktionäre deutlich weniger belastet beziehungsweise mehr Cash für das Unternehmen generiert.
Im günstigen Fall werden Kapitalmaßnahmen bei guten Börsenkursen durchgeführt, doch diesen Zeitpunkt hat man bei Zur Rose verpasst. Offenbar hatte man darauf gewettet, dass E-Rezept kommt und einerseits erheblichen Umsatz bringt und andererseits den Aktienkurs beflügelt. Schon die letzte Kapitalerhöhung wurde noch im Dezember in Windeseile über die Bühne gebracht – kurz bevor der Start des E-Rezepts offiziell abgeblasen wurde und der Börsenkurs um rund 50 Prozent abrutschte.
Je länger das E-Rezept – und selbst das ist noch eine Wette – auf sich warten lässt, desto größer werden die Löcher, die Zur Rose stopfen muss. Alleine im vergangenen Jahr stand unter dem Strich ein Fehlbetrag von rund 220 Millionen Euro. Jeder Euro Umsatz kostete den DocMorris-Mutterkonzern also rein rechnerisch 11 Cent. Oder: Pro Werktag wurden fast 900.000 Euro verbrannt. Ein Ende ist derzeit nicht in Sicht.
Neu wurden Oberhänsli zum Verwaltungsratspräsidenten und Rongrong Hu als Mitglied des Verwaltungsrats sowie beide in den Vergütungs- und Nominationsausschuss gewählt. Feuerstein amtiert neu als Vizepräsident. Den CEO-Posten übernimmt Walter Hess.