Mehrere tausend Apotheken könnten Opfer einer Firma mit unlauteren Geschäftspraktiken geworden sein – und zwar in einem potenziell existenziellen Bereich. Das Versicherungsunternehmen Aporisk hat nämlich Verträge beworben, die die darin versprochenen Leistungen gar nicht abdecken. Im Falle einer Cyberversicherung ist das bereits rechtskräftig gerichtlich belegt. Mehrere Mitbewerber gehen jedoch bedeutend weiter: Nicht nur sei das Spektrum der beworbenen, aber nicht abgedeckten Leistungen viel größer, Aporisk verschleiere auch die wahre Identität seines Geschäftsführers.
Aporisk versichert nicht selbst, sondern bietet eigene Versicherungskonzepte an, bei denen große Versicherungsgesellschaften wie die Helvetia als Risikoträger fungieren. Nach eigenen Angaben bedient das Unternehmen damit 4900 Apotheker:innen in Deutschland, darunter rund 2000 Inhaber:innen. Dabei hat der Versicherungsmakler der Wahrheit aber offensichtlich mehr als nur nachgeholfen: Aporisk vermittelte in mindestens einem Fall Versicherungspolicen mit Versprechen, die gar nicht in ihnen abgedeckt waren. Im Falle einer Cyber-Versicherung ist das rechtskräftig gerichtlich bestätigt: Ende Juli hatte das Landgericht Lübeck in einem Rechtsstreit zwischen Aporisk und dem Hamburger Versicherungsmakler Steffen Benecke eine einstweilige Verfügung aus dem November 2020 bestätigt. Darin wird Aporisk untersagt, im Falle einer Cyberrisk-Versicherung gegenüber Apotheken mit einer sogenannten Marktgarantie und einer Bestandsgarantie zu werben.
Dahinter verbirgt sich das Versprechen, dass bei der verkauften Police „sämtliche zum Zeitpunkt des Schadens am deutschen Markt angebotenen Deckungserweiterungen als mitversichert gelten“, sowie bei der Bestandsgarantie alle Leistungen des Vorversicherers übernommen werden. Aporisk verwies auf eine Rahmenvereinbarung mit der Helvetia, konnte vor Gericht jedoch keine Dokumente vorlegen, die beweisen würden, dass die von ihm beworbenen Leistungen tatsächlich auch von der Helvetia abgedeckt werden. Mehr noch: Aus einer im Verfahren vorgelegten Stellungnahme der Helvetia ging hervor, dass die Versprechen von Aporisk weder mit ihr abgestimmt waren noch von ihr getragen werden. „Die Beklagte tätigte im geschäftlichen Verkehr irreführende Aussagen über so nicht vorhandene Eigenschaften der von ihr als Versicherungsmaklerin angebotenen Cyber-Versicherungskonzepte“, schlussfolgern die Richter und verboten Aporisk, weiterhin mit der Markt- und Bestandsgarantie zu werben.
Aporisk verteidigt sein Vorgehen auf Anfrage und erklärt, das Verfahren vor allem deshalb verloren zu haben, weil besagter Rahmenvertrag erst im November 2020 dokumentiert und deshalb vom Gericht nicht anerkannt worden sei. Das widerspricht jedoch der Urteilsbegründung: Die Lübecker Richter hatten darin explizit herausgestellt, dass auch eine frühere Dokumentierung nichts geändert hätte, weil die versprochenen Garantien nicht im Rahmenvertrag enthalten sind.
„Unsere ursprüngliche Werbemaßnahme und unser Vorhaben wurde durch die einstweilige Verfügung ohnehin beendet, sodass wir mit diesen Werbeaussagen bei der Cyberversicherung nicht arbeiten“, so eine Sprecherin von Aporisk. Tatsächlich fanden sich jedoch auf der Aporisk-Homepage noch Ende Oktober dieselben vom Landgericht Lübeck untersagten Werbeversprechen zu Marktgarantie und Bestandsgarantie. Anders als in der Cyberversicherung gebe es jedoch Geschäftsversicherungslösungen, bei denen Aporisk „sehr wohl die Marktgarantie, rahmenvertragsrechtlich, zusichern können.“ In der Cyberversicherung sei das vorerst nicht so möglich gewesen, „wie wir es gerne gesehen hätten.“ Allerdings: „Dadurch abzuleiten, dass wir die Apotheker in Deutschland benachteiligen würden und im Schadenfall sogar im Stich lassen könnten, ist eindeutig falsch.“ Die Apotheken hätten zu keiner Zeit einen Nachteil gehabt.
Große Zweifel an der Seriosität von Aporisk schürt allerdings auch eine zentrale Personalie, denn es steht auch ein anderer schwerer Vorwurf im Raum: Der Geschäftsführer von Aporisk betreibe Identitätsverschleierung. Laut einem Auszug der Wirtschaftsauskunft Creditreform, der APOTHEKE ADHOC vorliegt, ist Geschäftsführer Arslan Günder im August 1940 geboren, also 81 Jahre alt. Das deckt sich jedoch nicht mit der Person, die sich gegenüber Kunden – und mutmaßlich auch Versicherungsgesellschaften – regelmäßig als Geschäftsführer Arslan Günder vorstellt: Ein deutlich jüngerer Mann, der durch seine Eloquenz und seinen Redefluss auffällt. Zwei weitere Versicherungsmakler, die unabhängig voneinander in juristischen Auseinandersetzungen mit Aporisk vor Gericht standen, erklären, beide Personen zu kennen: Demnach handelt es sich um Seyfettin Günder, den Sohn des offiziellen Geschäftsführers.*
„Bei den Verhandlungstagen war stets der junge Günder aufgetreten, bis explizit der eingetragene Geschäftsführer geladen wurde“, erinnert sich einer der Beteiligten. Doch der Auftritt des echten Geschäftsführers sei wenig zielführend gewesen: Arslan Günder selbst sei gar nicht mehr handlungsfähig, erzählen beide ehemaligen Prozessgegner übereinstimmend. Er könne einem Gerichtsverfahren nicht mehr folgen und spreche kaum mehr ein Wort Deutsch. Vermutlich sei er gesundheitlich beeinträchtigt. Das Unternehmen führe deshalb sein Sohn und gebe sich dabei gegenüber Kunden als Arslan Günder aus. Am Telefon klingt die Person, die angibt, Arslan Günder zu sein, ganz anders als von den Prozessteilnehmern beschrieben: eloquent und ohne jeglichen Akzent. „Doch, ich bin 1940 geboren. Ich bin ein jung gebliebener Mann“, erwidert er auf die Frage nach seinem Geburtsdatum. „Der alte Günder hätte niemals so reagieren können“, meint einer der beiden Versicherungsmakler dazu.
Doch nicht nur die Identität, auch die Geschäftspraktiken des tatsächlichen oder vermeintlichen Geschäftsführers von Aporisk stehen weiter zur Debatte: Über den bereits durch das Landgericht Lübeck bestätigten Fall hinaus liegen weitere Indizien dafür vor, dass Aporisk Kunden über die tatsächliche Höhe von Versicherungsleistungen getäuscht haben könnte. So bewirbt Aporisk unter dem Namen „PharmaRisk Fixum“ einen Inventar- und Haftpflichtschutz, bei dem als Risikoträger ebenfalls die Helvetia benannt ist und dessen Leistungsinhalte große Fragen aufwerfen.
So bewirbt Aporisk unter Nennung der Helvetia mehrere Leistungen, die sich in den einschlägigen Bedingungswerken so nicht wiederfinden: eine Versicherung des Verderbs von Medikamenten bei Ausfall von Kühlschränken pauschal bis 750.000 Euro pro Versicherungsfall ohne weitere Einschränkungen wird da beispielsweise angepriesen, während im Sideletter der Helvetia zur Rahmenvereinbarung mit Aporisk nur die Rede von 150.000 Euro je Versicherungsfall ist. In einem Angebotsschreiben von Aporisk, das APOTHEKE ADHOC vorliegt, bewirbt das Maklerunternehmen außerdem einen Verzicht auf den Einwand der Leistungskürzung bei grob fahrlässiger Verursachung von Schäden ohne Einschränkung – also bis zu einer Summe von 5 Millionen Euro. Auf der Homepage wiederum ändern sich die Angaben und reichen von 500.000 bis 1 Million Euro. Und was steht in der Zusatzvereinbarung mit der Helvetia? Hier ist die Rede von 50.000 Euro.
Ebenso sieht es bei Retaxationen aus: Hier wirbt Aporisk mit der Möglichkeit einer pauschalen Versicherung bis 1 Million Euro und ohne Zuschlag bis 60.000 Euro. Die Helvetia-Vereinbarung hingegen umfasst nur 60.000 Euro bei Zuzahlung. Ähnliche Vorwürfe stehen mit Blick auf Policen mit dem anderen von Aporisk vermittelten Risikoträger Basler im Raum. Sollten sie ebenfalls zutreffen, könnte das schlimmstenfalls für betroffene Apotheken gravierende Folgen haben: Versicherungsleistungen wären bei weitem nicht in dem Maße abgedeckt, von dem sie ausgehen und wie es ihnen versprochen wurde.
*Anm. d. Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, Seyfettin Günder sei der Neffe von Arslan Günder und zwischen 40 und 50 Jahren alt. Aporisk stellte daraufhin klar, Seyfettin Günder sei 57 Jahre alt und der Sohn von Arslan Günder, der nicht gesundheitlich beeinträchtigt sei, ihm aber eine Vollmacht zur Vertretung in allen geschäftlichen Belangen ausgestellt habe.
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