Amazon macht als Apotheke ernst. Abda-Präsident Friedemann Schmidt macht sich noch keine Sorgen, dass der Versandriese bald auch in Deutschland ein Geschäft aufbaut. Doch Marketingexperte Fabian Kaske (Dr. Kaske), der sich viel mit Amazon befasst, warnt: Mit dem E-Rezept wird der Markt hierzulande schlagartig interessanter und einen der großen Versender wie Shop-Apotheke oder DocMorris könne Amazon sich aus der Portokasse kaufen.
ADHOC: Was bedeutet Amazon Pharmacy für deutsche Apotheken?
KASKE: Zum Glück ist es erstmal nur in den USA. Die USA sind der mit Abstand wichtigste Markt. 2019 erzielte Amazon im eCommerce-Geschäft – als direkt und marketplace – 194 Milliarden US-Dollar Umsatz. Deutschland ist immerhin zweitwichtigster eCommerce-Markt mit 22,2 Milliarden Umsatz. Die USA sind also fast neunmal größer als Deutschland. Bisher war Amazon hierzulande glücklich mit dem Marketplace-Modell für den rund 9 Milliarden Euro schweren Non-Rx-Markt; OTC, NEM und Kosmetika. Die etwa 20 Prozent Onlineanteil aus 2019 bedeuten knapp 2 Milliarden Euro Onlineumsatz insgesamt. Selbst 50 Prozent Marktanteil wäre aus Amazon-Sicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
ADHOC: Aber wir reden jetzt vom Einstieg in das Rx-Geschäft
KASKE: Der deutsche Rx-Markt ist tatsächlich eine ganz andere Hausnummer. Mit 42 Milliarden Euro ist er mehr als doppelt so groß wie der gesamte deutsche Amazon-Umsatz. Ein riesiges Potenzial, das bisher unerschlossen ist bei 1,5 Prozent Online-Rx-Anteil. Wenn allerdings durch das E-Rezept der Online-Rx-Anteil irgendwann bei 15-20 Prozent liegt, sind es - inklusive der jährlich 5 bis 7 Prozent Marktwachstum – auf einmal 10 Milliarden Euro. Das würde für Amazon ein sehr attraktives Wachstumspotenzial darstellen. Es gibt sehr wenige Märkte weltweit, die sowohl diese absolute Größe haben, so unerschlossen sind und sich gerade gegenüber dem Onlinehandel öffnen.
ADHOC: Rx-Versand lockt die Patienten bislang kaum. Was kann Amazon bieten?
KASKE: Generell gilt für den Onlinehandel, dass die zwei Hebel Preis und Convenience Haupttreiber für den Verbraucher sind. Preis ist bei 30 Prozent Durchschnittsrabatt bei OTC ein großer Treiber, während bei Rx der Patient das Präparat nicht bezahlen muss und somit keinen Onlinevorteil hat. Convenience sprach bisher auch gegen Rx, denn der aufwändige Versand eines Papierrezepts in Verbindung mit höheren Wartezeiten sind das Gegenteil von komfortabel. Mit dem E-Rezept wird der Convenience-Faktor allerdings viel wichtiger. Man kann sich leicht vorstellen, wie ein Patient nach dem Arzt-Besuch sein Smartphone zückt, den Rezept-Barcode einscannt und die Amazon-Rx-App sich automatisch um alles Weitere kümmert: One-Click-Rx statt mühsamem Gang zur Apotheke.
ADHOC: Wann wird das Realität?
KASKE: In einem Interview mit dem Wall Street Journal spricht Amazon offen davon, dass das Pharmacy-Angebot eine direkte Folge der PillPack-Übernahme im Juni 2018 ist. Ähnlich wie bei früheren Übernahmen wie Audible (Audiobooks) und Zappos (Schuhe), hat man sich mit PillPack das branchenspezifische Know-How eingekauft, das übernommene Geschäft erstmal weiterlaufen lassen und Schritt für Schritt das Wissen, die Prozesse und Strukturen auf das Amazon-Kerngeschäft übertragen. Der Blick auf Amazon Pharmacy gibt hier insoweit Hoffnung, dass es selbst im Heimatmarkt USA nach der Übernahme zweieinhalb Jahre dauerte, bis man voll in den Markt eingestiegen ist.
ADHOC: Ist das ein realistisches Zeitfenster für den deutschen Markt?
KASKE: In den nächsten Jahren scheint für Vor-Ort-Apotheken die größere Bedrohung weiter aus Holland statt USA zu kommen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich durch eine Übernahme und eine schnellere Umsetzung dank kleinerem Markt und US-Pharma-Know-How die Situation in Deutschland schneller ändert als gehofft.
ADHOC: Wer wäre der wahrscheinlichste Übernahme-Kandidat?
KASKE: Durch Übernahme der Shop Apotheke wäre der Einstieg am schnellsten geschafft. Die zwei Milliarden Euro Marktkapitalisierung von Shop Apotheke sind für Amazon Portokasse, das selbst mit 1350 Milliarden an der Börse bewertet wird, also etwa Faktor 600 größer ist. Wir sprachen im September 2017 darüber und die gleichen Argumente gelten heute für eine Übernahme. Das Logistik-Know-How und die pharmazeutische Beratung sind am relevantesten für Amazon.
ADHOC: Was ist mit Zur Rose / DocMorris?
KASKE: Dafür gelten ähnliche Argumente. Die Gruppe ist beim E-Rezept nicht zuletzt mit eHealth-Tec noch besser aufgestellt, würde allerdings mit den vielen Übernahmen und dem Schweiz-Geschäft eine viel komplexere Übernahme darstellen. Auch läuft das operative Geschäft bei Zur Rose deutlich schlechter als bei Shop Apotheke. In den jüngsten öffentlichen Aussagen hat Zur Rose ganz offen über eine Fusion mit Shop Apotheke gesprochen – wohlwissend, dass man wahrscheinlich aus eigener Kraft den Markt nicht für sich gewinnen wird.
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